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Daniel Stendel, in Glasgow emp­fingen die Ran­gers noch Bayer Lever­kusen vor vollen Rängen, als in Deutsch­land bereits alle Groß­ver­an­stal­tungen abge­sagt bzw. Geis­ter­spiele beschlossen waren. Kam die Corona-Krise in Schott­land erst später an?
Ja, es war eine skur­rile Situa­tion. Wir haben die Nach­richten von den Schul­schlie­ßungen aus Deutsch­land ver­folgt, aber gleich­zeitig lief in Schott­land das nor­male Leben noch eine Woche länger. Das war befremd­lich. Der bri­ti­sche Pre­mier­mi­nister Boris Johnson hatte damals von sol­chen Maß­nahmen wie Schul­schlie­ßungen noch abge­sehen, doch nun sind die Regle­men­tie­rungen umso schärfer: Die Leute dürfen nur noch einmal pro Tag das Haus ver­lassen.

Wie lange lief der regu­läre Fuß­ball­be­trieb weiter?
Am 15. März wurde unsere Partie gegen Living­ston abge­sagt, auch das Trai­ning sollte fortan her­un­ter­ge­re­gelt werden. Wir haben den Spie­lern frei­ge­stellt, ob sie in den Kraft­raum oder laufen gehen. Am zweiten Tag habe ich dann vom Büro aus gesehen, wie sechs Spieler in einer Gruppe zusammen joggen gegangen sind. Das ist dann auch nicht der Sinn der Sache. Seither haben wir den Jungs Fit­ness­übungen für daheim mit­ge­geben.

Wann haben Sie Edin­burgh ver­lassen?
Ich bin am fol­genden Don­nerstag nach Hause geflogen. Es war da schon gar nicht mehr klar, ob und wie man über­haupt noch aus dem Land kam. Die Preise für die Flüge schossen in die Höhe. Unsere deut­schen Spieler Donis Avdijaj und Marcel Langer sind nun zum Bei­spiel in Edin­burgh geblieben und wohnen dort in einer WG zusammen. Ich bin nach Berlin geflogen und von da aus mit dem Zug nach Han­nover gefahren. Dort war sogar mehr los als in der Haupt­stadt. Der Ber­liner Haupt­bahnhof war gespens­tisch leer – ein Kon­trast zu Edin­burgh.

Die Vor­sit­zende Ihres Klubs bat die Mit­ar­beiter um einen Gehalts­ver­zicht von 50 Pro­zent, um das Über­leben des Ver­eins zu sichern. Wie akut ist die Lage für die Hearts?
Ich kenne die Zahlen nicht im Detail. Aber durch das ent­gan­gene Halb­fi­nale hätten wir sicher eine halbe Mil­lion ein­ge­nommen, pro Heim­spiel kann man sicher­lich auch von sechs­stel­ligen Summen aus­gehen. In Schott­land sind die Fern­seh­ver­träge nicht so lukrativ wie in anderen Län­dern, von daher haben die Zuschau­er­ein­nahmen ein enormes Gewicht. Die Finanzen der Klubs sind mit der deut­schen Dritten Liga ver­gleichbar. Es besteht schon eine reelle Gefahr für finan­zi­elle Pleiten.

Ich habe mir gedacht: Bevor diese Jungs auf Geld ver­zichten müssen, mache ich das.“

Daniel Stendel

Sie haben kom­plett auf Ihr Gehalt ver­zichtet. Hat Sie die Vor­sit­zende darum gebeten?
Nein, das war meine eigene Ent­schei­dung. Ich habe dabei auch an meinen Trai­ner­stab gedacht. Ein schot­ti­scher Kol­lege kommt von der Jugend­aka­demie, sein Ver­trag läuft im Sommer aus. Einer meiner Co-Trainer hat auf Geld ver­zichtet, um von Barn­sley zu den Hearts zu kommen. Er wird in wenigen Wochen Vater. Bei Jörg (Sie­vers) ist es außerdem eine spe­zi­elle Situa­tion, weil er nach all den Jahr­zehnten Han­nover ver­lassen hat, um mir bei den Hearts zu helfen. Ich habe mir gedacht: Bevor diese Jungs auf Geld ver­zichten müssen, mache ich das.

Nicht allzu viele Fuß­baller oder Trainer haben in der der­zei­tigen Lage auf Ihr kom­plettes Ein­kommen ver­zichtet.
Es ist nicht so, dass ich Geld nicht brauche. Und ich beziehe sicher nicht das gleiche Gehalt wie ein Zweit­li­ga­trainer in Deutsch­land. Aber wir wollen, dass der Klub erhalten bleibt. Was nutzt es mir, wenn ich mein Geld bekomme, aber der Verein nicht mehr exis­tiert? Ich habe mit meiner Familie gespro­chen und sie hat die Ent­schei­dung so mit­ge­tragen.

Ver­zichten die Spieler auch auf ihr Gehalt?
Steven Nais­mith ist der Erste, der vor­an­ge­gangen ist. Die anderen warten noch auf die Erklä­rung der Spie­ler­ge­werk­schaft. In einem ersten State­ment hat sie den Spie­lern geraten, sich erst einmal nicht zu äußern. Die Klubs haben wohl eine Klausel in den Ver­trägen, die ihnen eine Kün­di­gung der Spieler erlauben würde, wenn der Spiel­be­trieb ein­ge­stellt ist. Bei den Hearts haben aber einige Leute im Vor­stand auf Gehalt ver­zichtet.

Ehe­ma­lige Klub­funk­tio­näre kri­ti­sieren die Vor­sit­zende, schlecht gewirt­schaftet zu haben. Sie sagen zum einen, dass die Fans in den letzten Jahren rund zehn Mil­lionen für den Klub gesam­melt haben. Zum anderen seien die Hearts der ein­zige Klub mit diesen dras­ti­schen Spar­maß­nahmen.
Ein Groß­teil der gespen­deten Gelder ist in den Bau der neuen Tri­büne geflossen. Und man muss eines fest­halten: Unsere Vor­sit­zende will den Klub an die Fans über­geben – und das in einem wirt­schaft­lich gesunden Zustand. Des­wegen agiert sie jetzt mit Vor­sicht. Sie will keinen Mit­ar­beiter ent­lassen und geht auf Nummer sicher. Bis auf die Ran­gers und Celtic werden auch andere schot­ti­sche Ver­eine ihre Pro­bleme bekommen.

Wenn die Saison beim der­zei­tigen Stand abge­bro­chen wird, steigen die Hearts ab.
Dagegen würden wir uns recht­lich wehren, das ist ja klar. Es sind theo­re­tisch noch 24 Punkte zu ver­geben, da kann man uns nicht ein­fach in die zweite Liga schi­cken. Unter den mög­li­chen Sze­na­rien kur­siert auch die Mög­lich­keit einer Auf­sto­ckung der Liga. Bei zwölf Teams wäre es kein großes Pro­blem, zwei wei­tere dazu zu nehmen. Ich per­sön­lich will die Sprüche nicht ertragen wie Eigent­lich wärt ihr abge­stiegen“. Am liebsten würde ich sport­lich den Klas­sen­er­halt schaffen, auch wenn das in der jet­zigen Situa­tion schwer vor­stellbar erscheint.

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Daniel Stendel über­nahm nach Sta­tionen bei Han­nover und in Barn­sley im ver­gan­genen Dezember die Hearts. Eine lange Repor­tage über sein Wirken in Schott­land findet ihr im Heft 220: https://​shop​.11freunde​.de/11fr…

Fotos: Robert Ormerod

Ihnen ent­geht wohl auch ein High­light: Sie hätten im schot­ti­schen Pokal­halb­fi­nale im Hampden Park das Edin­burgh Derby“ gegen die Hibs aus­ge­tragen.
Ja, fernab von den Mehr­ein­nahmen für den Klub schmerzt das unge­mein. Wir haben das Derby vor einigen Wochen gewonnen – und die Atmo­sphäre war groß­artig. Keine Gewalt im Sta­dion, son­dern nur pures Adre­nalin und Freude. Mit diesem Der­by­sieg und dem Erfolg gegen die Ran­gers hatten wir eine Top-Woche, bevor eine Nie­der­lage gegen St. Mirren und die Absage kamen. Eigent­lich waren wir auf einem guten Weg.

Wie ver­bringen Sie jetzt Ihre Tage?
Wir tele­fo­nieren mit den Spie­lern, geben Ihnen weiter wöchent­liche Trai­nings­pläne mit. Gleich­zeitig betreiben wir unglaub­lich viel Video­scou­ting. Wir bereiten uns weiter vor – auf dass es irgend­wann weiter geht. Was bleibt uns anderes übrig?!