Viele Umarmungen, zahlreiche Hände schütteln und ein Blumenstrauß von Angela Merkel. Frank-Walter Steinmeier ist gerade zum Bundespräsidenten gewählt worden. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung im Parlament. Wäre da nicht Norbert Lammert: „Meine Damen und Herren, einen Augenblick mal“. Seine mahnenden Worte gehen unter im Applaus. Beharrlich, wie ein naiver Lehramtsreferendar, pocht Lammert auf sein Ruhemonopol.
Er setzt ein zweites Mal an: „Erst wenn festgestellt wird, dass er die notwendige gesetzliche Mehrheit erreicht hat und sich dann tatsächlich entschließt die Wahl auch anzunehmen, ist der Vorgang amtlich, der jetzt voreilig zur Übergabe von Blumen-Bouquets geführt hat“.
Lammert, die fleischgewordene Geschäftsordnung des Bundestags, bleibt konsequent. Steinmeier muss die Wahl erst offiziell annehmen. Währenddessen stapeln sich die Bouquets auf seinem Tisch.
Arsène Wenger als Prophet
Weniger Blumen und Tamtam gab es vor drei Wochen. Da versuchte sich Arsène Wenger, die fleischgewordene Trainerbank des FC Arsenal, als Lammert-Double. Seine Nationalversammlung: eine Pressekonferenz. Der Franzose sitzt hinter einer Handvoll Mikrofone. In seinem Rücken eine schnöde Pappwand mit Logos einer südamerikanischen Großkatze, einer arabischen Billig-Airline und lauter Arsenal-Wappen.
Er soll über die Premier-League-Partie gegen Watford reden. Die Konferenz tröpfelt vor sich hin. Eine Analyse hier, ein Späßchen dort. Doch als ein Reporter der BBC Africa nach Wengers Ex-Spieler Kolo Toure fragt, sieht der 68-Jährige seine Chance gekommen.
„Erst möchte ich einem meiner ehemaligen Spieler gratulieren, der Präsident von Liberia geworden ist: George Weah“, sagt Wenger. Seine letzten Worte: „Gut gemacht, Georgie“. Ein Musterbeispiel für unbürokratisches Handeln: keine amtliche Feststellung, keine Blumensträuße und vor allem keine Wahl.
Ziel: Präsident
Denn zu diesem Zeitpunkt ist George Weah vom Präsidentenamt genauso weit entfernt wie Philipp Lahm von seinem ersten Milchzahn. Auch wenn er bereits einen ersten Achtungserfolg verzeichnen kann: „King George“ steht in der Stichwahl. Der 51-Jährige ist ein Nationalheld in seiner Heimat Liberia.
Als Ronaldo und Messi noch kein Dauerabo auf den Ballon d’Or abgeschlossen hatten, gewann Weah 1995 die Trophäe des Weltfußballers. Noch heute ist er der einzige afrikanische Spieler mit dieser Auszeichnung. 2003 beendete er seine Karriere. Ein handelsüblicher Ex-Profi beginnt dann seine Trainerkarriere oder verscherbelt Auffahrrampen. Doch George Weah wagte den Schritt in die Politik. Sein Ziel stand früh fest: Er will Präsident werden.
2005 kandidierte Weah erstmals für das Amt. Der Novize gewann direkt die erste Wahlrunde und erreichte die Stichwahl gegen Ellen Johnson Sirleaf. Durch seine Popularität, gerade bei der jungen Bevölkerung, wurden Weah sogar Siegchancen eingeräumt. Als Johnson-Sirleaf trotzdem gewann, zeigte Weah wenig Verständnis für das Ergebnis. „Diese Wahl war weder frei noch fair“, sagte der ehemalige Weltfußballer. Diese schweren Vorwürfe von Weah und seiner Partei, dem Congress for Democratic Change (CDC), resultierten schließlich in gewaltätigen Unruhen. Bei einem Protestmarsch der CDC kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei und dem Einsatz von Tränengas.
Zudem mokierte sich das liberianische Establishment nur zu gerne über die mangelnde Ausbildung des Fußballers. Seine Widersacherin Johnson Sirleaf studierte in Havard. Er brach die Schule ab, um Profi zu werden „Ich brauche keinen akademischen Grad, um zu sehen, daß die Menschen keinen Strom und kein Wasser haben“, sagte Weah damals. Heute, zwölf Jahre später, hat der 51-Jährige einen Abschluss in Business Management.
„Das schlimmste Land der Welt“
Doch nur ein akademischer Grad reicht nicht aus, um ein Land wie Liberia zu regieren. Von 1989 bis 2003 tobte dort ein schrecklicher Bürgerkrieg. Der britische „Economist“ nannte den westafrikanischen Staat: „Das schlimmste Land der Welt“. Die Gräueltaten erreichten Umstände unermesslichen Ausmaßes.
Auch George Weah bekam die Härte des Regimes zu spüren. Während er noch in Europa spielte, forderte er das bewaffnete Eingreifen der Vereinten Nationen. Charles Taylor, damaliger Präsident und Warlord, war darüber wenig erfreut. Die Konsequenz: Er brannte Weahs Haus ab.
„Jobs, Jobs, Jobs“
Die Problemliste ist heute nach wie vor üppig. „Jobs, Jobs, Jobs – das ist es vor allem, was er liefern muss. Das ist die Grundlage. Dadurch erhöhen sich letztlich Steuereinnahmen und die Kaufkraft der Bevölkerung steigt“, sagt Dr. Judith Vorrath von der Stiftung für Wissenschaft und Politik. Liberia lebte lang vom Erzabbau und natürlichen Ressourcen. Doch die Preise befinden sich im Sinkflug. Neue, gewinnbringende Branchen müssen erst noch erschlossen werden.
Dabei stößt das Land schon beim Bau einer funktionierenden Infrastruktur an seine Grenzen. Ein Blick auf liberianische Straßen lässt Verkehrsbeamte latent aufstoßen. „In Regenzeiten sind die Straßen unpassierbar“, sagt Vorrath. Häufig kämpfen sich die Fahrzeuge über eine matschige, sandige Pad.
Die Unzahl an Aufgaben und die begrenzten Mittel machen die politische Arbeit langatmig. „Da hat sich Johnson Sirleaf schon dran versucht und man sieht wie weit oder nicht-weit sie gekommen ist“, sagt Vorrath über die aktuelle Präsidentin.
Das Land befindet sich in einem teuflischen Kreislauf. Alles fällt und steigt mit dem Geld. Das staatliche Budget ist viel zu klein, ein Großteil der Gelder verschwindet in fremden Taschen und es wird schlichtweg zu wenig erwirtschaftet. Diesen Kreislauf zu durchbrechen, wird die Aufgabe eines Präsidenten Weah sein.
„Wenn er im Amt ist, wird er eine Gruppe von Experten zusammenbringen. Diese Gruppe muss die Probleme identifizieren und dann in Angriff nehmen“, sagt Kwame Oldpa Weeks, Stellvertreter des Kommunikationskomitees. Unweigerlich damit verbunden ist auch die Bekämpfung der Korruption im Land. „Er wird ein Anti-Korruptions-Komitee einsetzen. Wenn jemand mit Korruption überführt wird, muss er den Preis dafür bezahlen“, sagt Weeks.
„Mandela von Liberia“
Weah will sich um den Gesundheitssektor, die Integration von Alten und Behinderten, die Grundschulbildung und natürlich die Infrastruktur kümmern. Auch der lückenhafte Sicherheitsapparat soll durch einen „radikalen Ansatz“ erneuert werden. Die Aufgaben gleichen einer Rundumerneruerung.
Doch seine Partei ist optimistisch. Denn die Chancen auf einen Wahlsieg stehen gut. Den ersten Wahlgang konnte Weah mit 39 Prozent gewinnen. Sein größter Widersacher Joseph Boakai erreichte lediglich 29,1 Prozent. Der Glaube seiner Anhänger ist ungebrochen. „Er kann der Mandela von Liberia sein“, sagt Weeks.
Die Ex-Frau des Warlords
Allerdings sorgte eine Personalentscheidung für Aufsehen. Weahs Kandidatin für die Vize-Präsidentschft heißt Jewel Taylor. Das große Problem: ihr Nachname. Jewel Taylor ist die Ex-Frau von Charles Taylor, der Mann, der das Land brutal beherrschte und seit 2012 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen in einem britischen Gefängnis sitzt.
„Sie teilt keine politischen Vorstellungen mit Taylor. Sie sind komplett unterschiedlich. Die einzige Gemeinsamkeit ist ihr Sohn“, sagt Weeks. Weah weist jegliche Kontakte zurück. „Ich habe keine persönliche Verbindung zu Charles Taylor, aber seine Familienmitglieder sind nicht meine Feinde“, sagt der Ex-Profi im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Die wirklichen Herausforderungen warten noch auf George Weah. Am 7.11* findet die Stichwahl statt. Wenn Weah gewählt wird muss er beweisen, ob er nicht nur als Fußballer, sondern auch als Präsident zum Nationalhelden aufsteigen kann. Falls ja, darf Arsène Wenger wieder vor die Mikrofone treten und sagen: „Gut gemacht, Georgie“
*Anmerkung vom 4.11.: Die Stichwahl in Liberia wird verschoben. Der Oberste Gerichtshof untersucht Betrugsvorwürfe in der ersten Runde der Abstimmung am 10. Oktober. Das Urteil wird am Montag erwartet.