Die Fakten und die Fans sprechen für ihn. Doch trotz allem wird Niko Kovac mehr geduldet als geliebt. Die Szenen aus Berlin erzählen die ganze bizarre Bayern-Saison.
Niko Kovac stockte und schaute immer wieder nervös zur Seite. Während der Pressekonferenz tummelten sich mehr und mehr Personen hinter der überdimensionalen Plakatwand mit dem goldenen DFB-Pokalmotiv. „Ich weiß nicht, ob das Spieler sind oder Journalisten“, sprach Kovac irritiert und verlor den Faden seiner Antwort, wie es selten bei ihm vorkommt. Der Trainer befürchtete eine Bierdusche. Doch an der Seite schlurften bloß Journalisten hinzu. Wie Kovac also da saß und mit feiernden Spielern rechnete, wirkte er wie ein Geburtstagskind, das vergebens auf eine Überraschungsparty hofft.
Dieser Abend war eben nicht die Explosion der Gefühle, dieser Wirbelsturm an Emotionen im Berliner Olympiastadion, in dem sich Kovac ein Jahr zuvor mit Eintracht Frankfurt befunden hatte. Dieser Pokalerfolg war eine erfolgreiche, aber kühle Missionserfüllung. Kovac hat in seiner ersten Saison das Double gewonnen – und sich wohl erst damit seinen Job bewahrt. Kovac selbst wirkt in diesem unwürdigen Spiel um seine Person jedenfalls weiterhin gefasst und keinesfalls zynisch. „Ein Jahr mehr an Erfahrungen. In allen Belangen“, bilanzierte er trocken.
Die Fans feiern Kovac schon vor dem Spiel
Auch die Spieler agierten nach dem Pokalsieg im wahrsten Sinne des Wortes zugeknöpft, in Anzug und Krawatte marschierten sie zum Bus, sprachen fast unhörbar leise, einzig Niklas Süle trug eine Weißbier-Flasche mit sich herum. Sie zollten ihrem Trainer auf Nachfrage artig Respekt, der Vorstandsvorsitzende Karl-Heinz Rummenigge deutete immerhin dessen Weiterbeschäftigung an. Es klang aus seinem Mund wie eine Duldung.
Auf Liebesbekundungen von diesen Stellen muss Kovac weiter vergeblich warten – umso inniger kamen sie aber von den Rängen. Bereits vor dem Anpfiff des Finales hatte die Bayern-Kurve im Berliner Olympiastadion seinen Namen skandiert, bei der Siegesfeier forderte sie dann: „Kovac auf den Zaun“. Der Trainer bedankte sich in ehrlicher Ergriffenheit. Rummenigge sachlich am Mikrofon, Kovac heiser am Megafon. Bei Bayern München regierte in dieser Saison der Widerspruch – und viele Geschichten von diesem irren ersten Kovac-Jahr schnurrten beim Pokalfinale auf kleine Momente zusammen.
Boateng und Ribery laufen zu früh los
Da war Jerome Boateng, der geradewegs die Treppen in die Kabine hinunterjoggte, als seine Mitspieler sich zur großen Feier mit den Fans aufmachten. Boateng gewann das Laufduell gegen die Etikette. Vor einem Jahr wollte Boateng nach Paris gehen, doch Kovac hatte den Wechsel verboten, weil er fürchtete, so schnell keinen gleichwertigen Ersatz zu finden. Da war Franck Ribery, der in Berlin schon in der 57. Minute zur Bank gelaufen war, weil er aus seiner Sicht schon 57 Minuten zu lange auf seine Einwechslung warten musste. Er durfte erst eine halbe Stunde später aufs Feld.
An den zwei Personalien lässt sich ablesen, welche Aufgabe die Bayern Kovac im Sommer 2018 oktroyierten: Er übernahm einen Kader ohne eigene Wunschspieler, in dem er Weltmeister mit Formabschwung und Klublegenden vor dem Pensionsalter bei Laune halten sollte. Kovac probierte es mit Rotation, doch setzte so die Automatismen des Teams auf dem Platz außer Kraft. Hinzu kam die zickige Attitüde eines James Rodriguez („Das ist hier nicht Eintracht Frankfurt“) und ein Maulwurf des Boulevard. Mag sein, dass andere Bayern-Trainer noch schwierigere Kabinen zu moderieren hatten – aber sie genossen dabei auch mehr Rückendeckung von den Offiziellen.
Nach dem 3:3 gegen Düsseldorf stand der Job von Kovac auf der Kippe, da nahmen ihn die Bosse ins Gebet; er verbannte die Rotation. Das Datum der Wende konnte er in Berlin noch haargenau aufsagen: der 27. November, das folgende Spiel gegen Benfica. „Danach haben wir nur zwei Spiele verloren, in Leverkusen und gegen Liverpool“, referierte er nach dem Pokalsieg. Doch gerade das Rückspiel gegen Liverpool hängt ihm noch nach. Im Achtelfinale der Champions League spielten seine Bayern in der zweiten Halbzeit wie erstarrt und ohne Plan B.
Das war auch im Endspiel gegen Leipzig zu beobachten, als das nicht gerade überraschende Pressing des Gegners den Meister vor Probleme stellte. Beim Abstoß sortierten sich die Verteidiger und Thiago am eigenen Sechzehner und spürten schon da den Atem der jagenden Leipziger. Es dauerte lange, bis die Bayern beim Aufbau vorschoben und sich aus der Umklammerung lösen konnten. Vielleicht hätte es in der Champions League oder ohne den überragenden Manuel Neuer im Tor zu lange gedauert.
Mitten in den Machtspielchen des Klubs beweist Kovac Anstand
Zwei Verdienste sind Kovac aber zweifelsohne in diesem Jahr hoch anzurechnen: Er hat die Aufholjagd in der Liga wie kein Zweiter angetrieben. Und er hat sich von den Machtspielchen im Klub nicht anstecken lassen. Während Rummenigge und Uli Hoeneß öffentlich in unterschiedliche Richtungen ruderten und Sportdirektor Hasan Salihamidzic dazwischen ins Schwimmen geriet, bewahrte Kovac Anstand und Stil. Bayern München war in diesem Jahr zerrissen vom alten Leitsatz „Laptop und Lederhose“, zwischen dem weltmännischen Anspruch und dem urigen Vereinskolorit.
Viele Spieler träumen noch von den taktischen Finessen eines Pep Guardiola, Rummenigge von den Ideen seines Wunschtrainers Thomas Tuchel. Sie denken in Champions-League-Dimensionen, das Double ist nicht genug. Die andere Seite um Hoeneß und den Fans stellt sich aber hinter die Männer mit langer Lederhosen-Vergangenheit wie Salihamidzic und Kovac. Diese Zerrissenheit wird fortbestehen, auch in der kommenden Saison. Sie wird sich nach der ersten Niederlage zuspitzen. Für den Trainer wird der Druck auch durch die teuren Zugänge wahrlich nicht geringer.
Niko Kovac holte als Spieler und Trainer das Double mit Bayern. Er ist ein Gewinner der Nacht von Berlin. Und dennoch wirkt es so, als habe er mit dem Pokal und der Schale nur etwas anderes gewonnen: nämlich Zeit.