Als die Hamburgerin Shabnam Ruhin für die afghanische Nationalmannschaft berufen wird, geht für sie ein Traum in Erfüllung. Doch dann wird sie Zeugin von sexuellem Missbrauch. Mit uns sprach sie über ihre Erlebnisse, ihren Rücktritt und die Ermittlungen der FIFA.
Wie ging es weiter?
Wir haben die Einladung zur Nationalmannschaft zunächst abgelehnt, weil uns die Kontaktaufnahme zu unseriös war. Die Verbandsvertreter ließen allerdings nicht locker und meldeten sich nach einiger Zeit erneut bei uns. Diesmal kündigten sie an, uns bei einem Training von Scouts beobachten zu lassen und stellten uns die Teilnahme an der Asienmeisterschaft in Sri Lanka in Aussicht. Diesmal nahmen wir das Angebot an.
Können Sie sich an den Moment erinnern an dem Sie Nationalspielerin wurden?
In Anbetracht der Sicherheits- und Frauenrechtslage in Afghanistan schien mir das Thema Frauenfußball in Afghanistan total fern. Ich habe nie damit gerechnet, einmal in diesem Trikot auflaufen zu dürfen. Um ehrlich zu sein, wusste ich noch nicht mal, dass es überhaupt eine Frauenmannschaft gibt. Ich recherchierte nach der ersten Kontaktaufnahme im Internet, blieb allerdings sehr skeptisch, ob diese Mannschaft wirklich existiert. Erst als ich die Trainer und Spielerinnen bei meiner Ankunft im Trainingslager in Sri Lanka sah, realisierte ich, was gerade passiert. Es war ein unglaublich tolles Gefühl.
Welche Erwartungen und Vorstellungen hatten Sie damals von Ihrem Engagement angesichts der sicherheitspolitischen Lage in Afghanistan?
Ich war mir der damaligen Zustände in Afghanistan sehr bewusst. Natürlich schreckte mich die Situation in Afghanistan auch ab. Die ehemalige Kapitänin der Mannschaft hatte Afghanistan 2011 verlassen, nachdem Sie von radikalen Gruppen wegen ihres Engagements im Fußball Morddrohungen erhalten hatte. Ich kann nicht leugnen, dass ich bei der ersten Reise nach Sri Lanka Angst verspürt habe und ich mich gefragt habe, wo ich landen und was mir bevorstehen würde. Auf der anderen Seite habe ich die Chance gesehen, den Konservatismus und die patriarchalen Strukturen, die mich schon immer gestört hatten, aufzubrechen. Ich wollte mich als Frau dafür einsetzen, dass andere Frauen das Recht dazu haben, diesen Sport auszuüben. Irgendjemand musste es ja machen.
In den Folgejahren reisten Sie nach den Turnieren in Sri Lanka und Indien mit der afghanischen Mannschaft im Februar 2018 ins Trainingslager nach Jordanien, wo Sie schließlich ihr Länderspieldebüt gaben. Sie haben gesagt, dass Sie dort zum ersten Mal ein „ungutes Gefühl” hatten. Inwiefern?
Einige Spielerinnen unterhielten sich immer öfter kritisch über die Föderation. Immer öfter wurde in gewissen Situationen getuschelt und leise gesprochen. Ich fand es immer komischer, dass sich einige Mädchen immer distanzierter zu Verbandsmitgliedern verhielten. Und auch die Männer veränderten sich uns gegenüber. Wenn man zum Beispiel einen Antrag für neue Klamotten gestellt hat, wurden einem ständig Steine in den Weg gelegt. Die Männer wollten darüber entscheiden, wie wir gekleidet waren. Ich hatte das Gefühl sie wollten uns kontrollieren.
Heute ist klar, dass es auch in diesem Trainingslager zu sexuellen Übergriffen an Teamkolleginnen gekommen ist. Ja.
In der Folge der Vorfälle, kam es zu weiteren Anschuldigungen an Verbandsmitglieder. Konkret sollen Verbandspräsident Keramuddin Keram und enge Mitarbeiter in den vergangenen Jahren Spielerinnen physischer, psychischer und sexueller Gewalt ausgesetzt haben. Keram wurden systematische Vergewaltigungen von Spielerinnen vorgeworfen. Wann und wie haben Sie von den Taten erfahren?
Ich habe erst ein- bis zwei Monate nach dem Trainingslager von der sexuellen Gewalt, dem System dahinter und dem Ausmaß durch meine Teamkolleginnen erfahren.
Welche Gedanken gingen Ihnen in den Tagen danach durch den Kopf?
Der erste Gedanke, der mir in den Kopf schoss, war: „Ich wusste es.” Ich fand es in gewisser Weise auch traurig, dass ich so gedacht habe und ich konnte meine Gefühle nicht spezifizieren, aber sie sagten mir in den Wochen vor dem Bekanntwerden der Vorfälle, dass etwas nicht stimmte. Zugleich fühlte ich mich hilflos, weil ich etwas vermutete, aber daran nichts ändern konnte. Nun wusste ich, dass die Mädchen, mit denen ich zusammen gegessen, gelacht und gespielt habe, über Monate systematischer sexueller Gewalt ausgesetzt waren. Dass niemand ihnen helfen konnte und Ihnen auch niemand geholfen hat, hat mich zutiefst traurig gemacht.