Vor zwei Jahren war der Amerikaner Alex Menta nur ein Fußballfan. Jetzt ist er Sportdirektor in der Serie A – in Venedig. Ein Gespräch über Fußballdaten, Kaderplanung und Michaël Cuisance.
Alex Menta, stimmt eigentlich die leicht märchenhaft klingende Geschichte, dass Sie sich vor zwei Jahren im Urlaub in Venedig auf gut Glück beim Besitzer des FC Venezia gemeldet haben und einen Job bekommen haben, obwohl Sie vorher nie im Fußball gearbeitet haben?
Ja, die stimmt genau so. Ich hatte neulich Geburtstag und bin da über die Mail gestolpert, denn ich hatte sie an meinem Geburtstag vor zwei Jahren geschrieben. Damals habe im Stadio Pierluigi Penzo gesessen und mir ein Spiel von Venezia in der Serie B angeschaut, als ich eine SMS von seinem Vater bekam. Er hatte gerade erfahren, dass Duncan Niederauer die Kontrolle über den Verein übernehmen würde.
Niederauer ist der ehemalige CEO der New Yorker Börse, der schon vorher Anteile an dem Klub hielt.
Genau, und direkt nach dem Spiel habe ich ihm aus einem Café am Canale Grande eine E‑Mail an eine Adresse geschickt, die ich bei Google gefunden hatte. Er hat mich innerhalb von einer halben Stunde angerufen, und ich hatte vorher wirklich nie beruflich mit Fußball zu tun.
Stimmt es, dass Sie zumindest Eishockeyprofi waren?
Wenn man meine Eltern fragen würde, war ich sogar der beste Spieler aller Zeiten. Immerhin wurde für ich fürs Spielen bezahlt, zwei Jahre in der zweiten Liga in Finnland und in der Top-Liga in Russland war ich auch. Aber ich musste meine Karriere schon mit 22 Jahren beenden, weil ich Knieprobleme hatte.
Venedig ist eine Stadt voller Wunder, wo der Fußball vergessen war, bis die Amerikaner kamen. Nun hat der Venezia FC weltberühmte Trikots und spielt in der Serie A – zum Befremden so mancher Fans.
Was haben Sie nach dem Ende Ihrer Karriere gemacht?
Ich habe daheim in den USA eine Immobilienfirma aufgebaut und verkauft. Anschließend wollte ich nicht zuhause rumsitzen und habe eher aus Langeweile angefangen, mit Aktien zu handeln.
Wie landet man dann beim Fußball?
2015 hat mir ein Freund nebenbei erzählte, dass er bei Fußballspielen immer auf ein 0:0 wettet. Weil ich dazu neige, obsessiv zu sein, bin ich anschließend tief in das Thema eingetaucht. Es ist ja wirklich verblüffend, wie viele Spiele torlos enden. Dann habe ich auf Reddit die Frage gepostet, wo man Daten findet, die einem helfen, auf Fußballspiele zu wetten. Von da aus ging es immer weiter. Letztlich hat mich diese kleine Bemerkung des Freundes in eine hoffentlich lebenslange Beschäftigung gezogen.
„Datenanalyse ist Teil meiner DNA“
Sie hatten vor Ihrer Anstellung beim FC Venezia bereits eigene Datensätze zur Bewertung von Spielern entwickelt, wie sehr bestimmt das Ihre Arbeit heute noch?
Datenanalyse ist Teil meiner DNA, das wird sich auch nicht mehr ändern. Die Daten werden im Fußball zunehmend komplex, so dass man sich andauernd weiterbilden muss. Deshalb freue ich mich, dass ich so viele Verbindungen in der Branche habe. Wenn ich den Eindruck habe, dass ich etwas vielleicht nicht richtig verstehe, gibt es immer jemanden, den ich fragen kann, der viel besser ist als ich.
Welche Rolle spielt die Arbeit mit Daten im italienischen Fußball?
In Italien ist da nichts. Natürlich wird hier und da mit Daten gearbeitet, aber mein Eindruck ist, dass diese Leute keine Entscheidungen treffen dürfen. Aber das ist ein generelles Problem. Es gibt zwar sehr viele intelligente Datenanalytiker im Fußball, aber bestenfalls 20 Klubs in der Welt, wo sie wirklich Entscheidungen treffen dürfen.
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Gleich die erste Mannschaft, die Sie zusammengestellt haben, ist im vergangenen Jahr in die Serie A aufgestiegen. Was war ihr Plan für diese Saison?
Wir haben die niedrigsten Gehaltskosten der Liga und das mit großem Abstand. Ich wollte eine junge Mannschaft, bei der uns die Spieler gehören. So dass wir beim Klassenerhalt den Kern einer Mannschaft zusammen haben, mit der wir in den nächsten drei oder vier Jahren arbeiten können. Kleinere Klubs in Italien machen oft den Fehler, dass sie nach einem Aufstieg zur Ausleihplattform von Juventus Turin, Inter oder AC Mailand werden. Dann rufen ihre Freunde von den großen Klubs an und sagen: Ich habe einen Spieler für dich. Natürlich sind das gute Spieler, aber wenn man absteigt und die Mannschaft ist um diese Spieler gebaut, fehlt ihr plötzlich die Seele.
Ihre Spieler haben auch erstaunlich langlaufende Verträge.
Wir haben relativ bald nach Saisonbeginn viele Verträge aufgestockt und verlängert, wenn wir davon überzeugt waren, dass die Spieler auf diesem Level mithalten können. Und zwar bei so vielen Spielern, wie ich es noch nie bei einer anderen Mannschaft gesehen habe, nämlich ungefähr zehn. Außerdem wollte ich einen internationalen Flavour in der Mannschaft.
„Italien schon zu kennen, wird total überschätzt“
Warum?
Meiner Meinung wird total überschätzt, dass es wichtig ist, über Erfahrung in der Serie A zu verfügen oder den italienischen Fußball zu kennen. Auch im Rückblick auf die bisherigen Spiele bestätigt sich das. Das einzige Problem war die Sprache und das Problem haben wir meiner Meinung nach gelöst. Vor einem Jahr konnte der Trainer quasi kein Englisch und inzwischen ist es kein Problem, sich mit ihm zu unterhalten.
Zum internationalen Flavour gehört auch Michaël Cuisance, den Sie im Januar vom FC Bayern geholt haben. Welche Idee steckte hinter dem Transfer?
Ich habe seine Daten aus der Zeit bei Borussia Mönchengladbach mit denen bei Bayern verglichen, und in Gladbach konnte man viel klarer einen kompletten Spieler sehen. Er ist so ein großer Kämpfer und statistisch gesehen, ist er der gefährlichste Spieler aus der Tiefe des Spiels, den ich je gesehen habe. Er bringt den Ball in viele gefährliche Bereiche und bereitet viel Torchancen vor. Meine Wette auf ihn ist, dass er ein Box-to-Box-Spieler wird, wenn er richtig fit ist.
Sie haben sicherlich auch diese Geschichten über ihn gehört, wie kompliziert und überheblich er ist.
Ich glaube, dieser Junge braucht nur etwas Liebe. Wenn man ihn trifft, ist er ein so netter, übersprudelnder Bursche. Ich hatte jedenfalls mit ihm sofort eine richtige Verbindung.
Ihre Mannschaft steht gerade auf einem Abstiegsplatz. Haben Sie mal in Ihre Daten geschaut, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass der FC Venezia sich nicht rettet?
Ich will die Zahlen nicht glauben, die ich da sehe.
Das ist aber nicht sehr analytisch.
Doch, denn ich glaube, dass ein Datenpunkt in diesen Algorithmen fehlt, den man Mannschaftswachstum nennen könnte. Ich bin fest überzeugt, dass es bei der Mannschaft noch klickt, denn ich kenne die Leute hier.
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