Wir schreiben den 4. Juli 2004: In Lissabon hat man den Sekt schon kalt gestellt. Etliche Portugal-Fahnen schmücken die Fassaden der mit Azulejos verkleideten Häuser. Die Menschen sind glücklich. Neben dem Geruch von gebratenem Fisch, liegt Vorfreude in der Luft. Es riecht nach dem ersten großen Titel. Es riecht nach einem Triumph im eigenen Land. Final-Gegner Griechenland hat zwar im Halbfinale die munter aufspielenden Tschechen aus dem Turnier gekegelt, doch das ist jetzt egal. Sicherlich bloß eine Eintagsfliege. Endlich ein Erfolg, die langersehnte Errungenschaft. Annerkennung für die kleine Nation aus dem Westen der iberischen Halbinsel. Schließlich bekommt man in Portugal seit Jahrzehnten trotz fähiger und populärer Ballzauberer bei großen Turnieren stets nur die Rücklichter zu sehen.
Es kam, wie es immer kommt. Irgendwie typisch Portugiesisch eben. Man hätte nach dem lusitanischen Waterloo meinen: Portugal wäre nicht Portugal, wenn es nicht das Endspiel als Lokalmatador gegen den krassen Außenseiter Griechenland verlieren würde . Stets hoch gehandelt. Weltstars wie Rui Costa, Luis Figo oder Cristiano Ronaldo in den eigenen Reihen. Alle spielten anno 2004 bei den besten Klubs der Welt. Aber Titel-Sterne auf der Brust? Fehlanzeige.
Während die Selecção noch immer an dem Final-Trauma knabbert, erlebt der portugiesische Fußball auf Vereinsebene zum zigsten Male eine höchst vielversprechende Wiederbelebung. In der Vergangenheit erfolgte diese Renaissance nach einem verlässlichen Schema: Auf die Besteigung des europäischen Fußball-Throns, die vermeintlich glorreiche Zeiten provezeite, folgte stets eine lang andauernde und qualvolle Durststrecke. Heute Abend stehen wieder Feierlichkeiten vor der Tür. Denn diesjährig haben portugiesische Vereine die Europa-League nach Belieben dominiert. Folgerichtig stehen im Finale der Serienmeister FC Porto und die Überraschungsmannschaft des SC Braga gegenüber.
Erste Erfolge in den 1960er Jahren
Rückblick: Erstmalig feiern durfte eine portugiesische Mannschaft in den sechziger Jahren. Im Finale des Europapokals der Landesmeister 1961 schlug Benfica Lissabon im Berner Wankdorf-Stadion die favorisierte Elf des FC Barcelona. Kurzer Kommentar des Barca-Stars Koscis damals: „Wir Ungarn haben auf diesem Platz einfach kein Glück. Es war doch wie 1954.“
Ein Jahr später entdeckte der ungarische Trainerfuchs Béla Guttmann Jahrhunderttalent Eusébio für Benfica und wiederholte gegen Real Madrid den Überraschungs-Coup von Bern. Plötzlich, völlig unerklärlich: Ein schier unaufhörlicher Blick in die Röhre. Halbfinale. Endspiel. Das undankbare Prädikat Vize ging stets an Teams aus dem Land der „Fado“-Sänger und Portwein-Trinker. Alsdann die siebziger Jahre: Eine Dekade zum Vergessen, die in portugiesischen Chroniken besser zensiert werden sollte.
FC Porto an der Spitze
Ende der Achtziger hieß es dann: „Portugal is still alive“. Noch vor dem Finale gegen den FC Bayern München posaunte der Präsident des FC Porto selbstsicher: „Wir kehren auch aus Wien als Sieger heim!“ Er sollte Recht behalten. Der Außenseiter besiegte die Bayern im Mai 1987 mit 2:1. Zwei knappe Finalniederlagen der „Adler“ von Benfica in den Folgejahren stimmten die „adeptos“ – Anhänger – in der europäischen Peripherie zuversichtlich. Der Startschuss eines Zeitalters der kontinuierlichen portugiesischen Vormachtstellung schien ertönt. Auf zu neuen Ufern? Mal wieder: Pusteblume! Die Neunziger: Kollektive Misserfolge portugiesischer Klubs auf hohem Niveau. Eine Halbfinal-Teilnahme des FC Porto in der Spielzeit 1993/94. Das Höchste der Gefühle auf internationaler Bühne. Was sich Anfang des neuen Jahrtausends abspielte, entsprach geradezu einem Abziehbild vergangener Tage.
Denn 2003 folgte ein weiterer Anlauf zur Errichtung eines nationalen Fußball-Credos: Rüde Engländer, arrogante Italiener und erfolgsverwöhnte Spanier auf Jahre in die Schranken weisen. Zur Erinnerung: José Mourinho. FC Porto. Genau. Erst den UEFA-Cup, dann die Champions-League gewonnen. „Mou“ nach dem Sieg 2004: „Wir haben Geschichte geschrieben“.
Seither greifen portugiesische Vereine wieder vermehrt zu den Pokal-Sternen am Fußball-Himmel. Das liegt auch darin begründet, dass der Underdog aus Braga begonnen hat, die Hegemonie der großen Drei – Porto, Benfica und Sporting Lissabon – zu gefährden. Auch auf internationaler Ebene. Der FC Liverpool beispielsweise biss sich in dieser Spielrunde an der organisierten Abwehr Sporting Bragas ein ums andere Mal die Zähne aus.
Während sich die renommierten Vereine aus Porto und der Hauptstadt stets mit teuren ausländischen Stars schmücken, setzt der SC Braga auf die Dienste seiner Nachwuchs- und mutmaßlicher Ergänzungsspieler. Als Strippenzieher bei den Nordportugiesen fungiert kein geringerer als der einstige Weltklasse-Verteidiger Fernando Couto. Geschickte Transfers und ein goldenes Näschen bei der Trainerwahl zeichnen den tüchtigen Sportdirektor aus. Die Meistertrainer der letzten beiden Spielzeiten, Jesualdo Ferreira und Jorge Jesus, arbeiteten vor ihren Anstellungen bei Porto und Benfica erfolgreich in der nordportugiesischen Provinz.
Spieler-Exodus nimmt kein Ende
So polieren fortan nicht nur zwei, sondern vier Klubs aus der „Liga Zon Sagres“ das Image Portugals auf. Ob jedoch eine reale Chance besteht, langfristig und konstant auf den ganz großen Hochzeiten zu tanzen, bleibt äußerst fragwürdig. Der jährliche Exodus guter Spieler und auch Übungsleiter schwächt einfach zu gravierend die Qualität der heimischen Liga. Bekanntlich sehen und nutzen viele Kicker sowie Trainer die atlantische Westküste nur als Durchgangsstation. Und erliegen fast immer den finanziell lukrativen Lockrufen aus der Ferne.
Die Liste ist endlos: Luis Figo, Cristiano Ronaldo,José Mourinho, Pepe, Nani, Ricardo Quaresma, Anderson, David Luiz…
Mehr als zufrieden darf der portugiesische Fußball aber sein. Denn was Politikern im krisengeschüttelten Land derzeit nicht gelingt, erreicht das runde Leder: Es bringt seine Bewohner wieder zum Lachen.