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Als Mauro Icardi am ver­gan­genen Sonntag ins Giu­seppe Meazza-Sta­dion ein­lief, wurde er emp­fangen, wie noch kein Inter-Kapitän vor ihm. Du bist kein Mann, du bist kein Kapitän, du bist nur ein feiges Stück Dreck“, stand auf einem der Spruch­banner in der Nord­kurve, aus der ebenso Pfiffe und wüste Belei­di­gungen ertönten. Das Spiel gegen Cagliari ging mit 1:2 ver­loren, Icardi ver­schoss einen Elf­meter. Inter Mai­land, seit Jahren weit ent­fernt vom Glanz ver­gan­gener Tage, hatte sich mal wieder selbst geschlagen.

Es begann im Mapei-Sta­dion von Sas­suolo, im Februar 2015. Das seit Jahren kri­selnde Inter hatte gerade wieder eine pein­liche 3:1 Pleite ein­ste­cken müssen, als einige Spieler beschließen, die mit­ge­reisten und auf­ge­brachten Fans zu beru­higen. Icardi, damals 21 Jahre alt, geht voran und wirft sein Trikot auf die Tri­büne, nach eigenen Angaben zu einem Kind, das darum gebeten hatte.

Ein Poli­tikum unge­ahntes Aus­maßes

Gemeinsam mit dem Kolum­bianer Fredy Guarín sucht er den direkten Aus­tausch mit den Ultras, doch die Situa­tion eska­liert. Es folgen wüste Beschimp­fungen in Rich­tung der Spieler, die sich das nicht gefallen lassen und wild vor dem Fan­block ges­ti­ku­lieren. Das Trikot von Icardi kommt zu ihm zurück­ge­flogen, nun ist er auch vom dama­ligen Kapitän Andrea Ranoc­chia kaum mehr zu bän­digen und schimpft laut­hals in Rich­tung der Ultras.



Eigent­lich ist all das viel zu lange her, um aus der Sache heute noch ein Poli­tikum zu machen, das in diesem Ausmaß selbst das ohnehin schon unru­hige Umfeld von Inter Mai­land nur alle paar Jahre heim­sucht. Und den­noch scheint es, als würden die ita­lie­ni­schen Gaz­zetten seit Tagen von nichts anderem mehr berichten.

Hun­dert Kri­mi­nelle aus Argen­ti­nien, die sie auf der Stelle töten

Und trotzdem herrscht noch immer Unklar­heit über die Situa­tion damals. Die Ultras bezich­tigen Icardi der Lüge. Das Trikot sei nie bei einem Kind gelandet, sagen sie. Der Argen­ti­nier hatte zuvor behauptet, er habe gesehen wie ein Erwach­sener dem Kind das Trikot aus der Hand riss und es zurück­warf.

Die Video­auf­nahmen von besagtem Tag geben keinen Auf­schluss dar­über, was wirk­lich geschah. Doch die Nie­der­lage von Sas­suolo ist mitt­ler­weile nur mehr eine Rand­er­schei­nung in dieser Geschichte, der eigent­liche Aus­löser sind die Pas­sagen, die Icardi in seiner Auto­bio­gra­phie Sempre Avanti“ zu besagter Situa­tion nie­der­ge­schrieben hat.

Er sei, nachdem er den Ultras die Stirn bot, von den Mann­schafts­kol­legen wie ein Held emp­fangen worden und wählte in der Kabine deut­liche Worte in Rich­tung der auf­müp­figen Anhänger: Wie viele von ihnen sind es? Fünfzig? Hun­dert? Zwei­hun­dert? Okay, merkt euch meine Worte und sagt es ihnen weiter. Ich bringe hun­dert Kri­mi­nelle aus Argen­ti­nien, die sie auf der Stelle töten.“

Mord­dro­hungen gegen die eigenen Ultras, ob ernst gemeint oder nicht, ziehen gerade in Ita­lien Kon­se­quenzen nach sich. Nur hat es die Ver­ant­wort­li­chen der Inter-Pres­se­stelle offenbar gar nicht inter­es­siert, was in der Bio­gra­phie des 23-Jäh­rigen so drin­steht. Keiner hatte es vor der Ver­öf­fent­li­chung gegen­ge­lesen. Für die Inter-Ultras ein gefun­denes Fressen, um in Zeiten des Wan­dels auf sich auf­merksam zu machen. 

Es geht um weitaus mehr, als nur um Icardi und die unbe­dacht gewählten Worte in seinem Buch. Dieser Mei­nung zumin­dest ist Richard Hall, eng­li­scher Inter-Experte, der unter anderem für den Guar­dian oder ESPN schreibt: Die neuen Eigen­tümer ver­un­si­chern viele treue Anhänger. Sie wollen sich Gehör ver­schaffen und zeigen, dass sie immer Ein­fluss auf den Klub haben werden, egal wer ihn letzt­lich kon­trol­liert.“

Vize­prä­si­dent Javier Zanetti stellt sich hinter die Fans

Die Fans seien nach ihrem eigenen Selbst­ver­ständnis die ein­zige Kon­stante in der sich so schnell dre­henden Fuß­ball­welt, in der Spieler, Funk­tio­näre und mitt­ler­weile sogar Klub­be­sitzer alle paar Jahre wech­seln. Das ein­zige, was sie im Gegenzug for­dern, sei Respekt und Aner­ken­nung für ihre Treue, sagt Hall.

Das ist auch den Ver­ant­wort­li­chen von Inter bewusst, die sich in der Affäre demons­trativ hinter die eigenen Anhänger stellten. Wir werden alles tun, um unsere Tifosi zu schützen“, sagte etwa der ehe­ma­lige Kapitän und Inter-Legende Javier Zanetti, mitt­ler­weile Vize­prä­si­dent des Klubs, vor der Partie gegen Cagliari.

Im Klub ver­wur­zelte Ultras

Wie schnell das Ver­hältnis zwi­schen aus­län­di­schen Eigen­tü­mern und den eigenen Ultras zer­rüttet ist, wenn offi­zi­elle Rücken­de­ckung und Kom­mu­ni­ka­tion aus­bleiben, lässt sich der­zeit beim AS Rom beob­achten.

Hall hat bereits hautnah mit­er­lebt, wie eng der Kon­takt zwi­schen hoch­ran­gingen Inter-Ultras und dem Klub ist. Er sprach für eine Film­pro­duk­tion des Guar­dian mit einigen Anhän­gern, besuchte auch schon gemeinsam mit ihnen das Sta­dion.

So etwa am letzten Spieltag der ver­gan­genen Saison, ein mageres 1:1 gegen Sampdoria Genua. Ein Ultra und ich waren nach dem Spiel vor dem San Siro, als er mir sagte, dass ich ihm folgen soll“, erzählt Hall und fügt hinzu: Wir gingen in das Park­haus der Spieler, vorbei an Secu­ri­ties und Poli­zisten, die ihn offenbar alle kannten und grüßten.“ Unten ange­kommen, habe der Ultra dann Il Capi­tano!“ gerufen.

Javier Zanetti, der vor dem Ein­gang zum Kabi­nen­trakt stand, grüßte den Fan nament­lich zurück und ging auf ihn zu. Es folgte eine lockere Unter­hal­tung, wie sie offenbar jede Woche statt­findet. Auch seien sie nicht die ein­zigen gewesen, im Kabi­nen­gang waren noch wei­tere füh­rende Ultras, die einen mun­teren Plausch mit Spie­lern und ihren Fami­lien führten.

Die Ultras haben viel­leicht nicht mehr ganz den Ein­fluss wie vor 20 Jahren, sie sind aber immer noch wichtig“, erzählt Hall abschlie­ßend zu dieser Anek­dote, die zeigt, warum der Klub immer wieder den Inter­essen der Anhän­ger­schaft nach­kommt.

Die rest­li­chen Fans stärkten Icardi demons­trativ den Rücken

Es ist ein Trug­schluss, wenn man die Inter-Ultras mit Hoo­li­gans gleich­setzt“, bekräf­tigt Hall. Viel­mehr seien sie gut orga­ni­siert, es herr­schen fast schon Struk­turen wie in einem Unter­nehmen. Das sind Lehrer, Banker, Anwälte und Geschäfts­leute, die wissen, wie man für die eigenen Inter­essen und die des Klubs ein­steht“, erzählt der Jour­na­list. Natür­lich gebe es auch Idioten und Ras­sisten in der Kurve, aber das seien nicht die Leute, die im direkten Aus­tausch mit dem Verein stehen.

Und doch lassen sich die ein­fluss­rei­chen Ultras nicht mit dem Rest der Inter-Fans gleich­setzen, es herrscht ein gewal­tiger Kon­trast in der Sicht­weise der Dinge. Wäh­rend der Groß­teils des Sta­dions Icardi nach dem ver­ge­benen Elf­meter mit Applaus demons­trativ den Rücken stärkte, zogen nach dem Spiel etwa 40 Ultras vor die Woh­nung des Argen­ti­niers, wo sie ihm einmal mehr ver­deut­li­chen wollten, dass er für sie als Spieler und Kapitän gestorben ist.

Die Ultras haben bekommen, was sie wollten

Ohnehin hatte der 23-Jäh­rige immer einen schweren Stand bei den Ultras. Er führt das Leben eines Promis und sorgt auch privat immer wieder für Schlag­zeilen. So modelt er für den deut­schen Mode­des­inger Philipp Plein und spannte Kumpel Maxi López seine jet­zige Ehe­frau und Agentin Wanda Nara aus.

Der Kern der Inter-Anhän­ger­schaft sehnt sich nach einer anderen Per­sön­lich­keit für die Kapi­täns­binde“, sagt Hall, der aber glaubt, dass sich die Wogen bald glätten werden: Wenn Icardi 30 Sai­son­tore macht, dann pfeift sicher keiner mehr.“

Letzt­end­lich haben die Ultras bekommen, was sie wollen. Sie haben sich Gehör ver­schafft und die Causa Icardi gewonnen. Der Argen­ti­nier bleibt ent­gegen ihrer For­de­rung zwar Kapitän, muss die die Sas­suolo-Epi­sode jedoch aus dem Buch strei­chen und an seinen Klub 50 000 Euro Strafe zahlen. Auch sich der 23-Jäh­rige für die har­sche Wort­wahl mit einem öffent­li­chen Brief bei den Ultras ent­schul­digt.