Ein zeitloser Klassiker: den Schiedsrichter beschimpfen. Acht gute Ratschläge unter anderem an Bo Svensson, damit das DFB-Gericht die Anklageschrift beim nächsten Mal nicht zustellt.
Schlusspfiff. Ihre Mannschaft hat verloren, nach desolater Leistung in der zweiten Halbzeit. Wütende Pfiffe der Anhänger begleiten die Spieler in die Kabine, auf der Tribüne tuscheln Präsident und Aufsichtsratsvorsitzender mit ernster Miene. Die Reporter der Fernsehsender drängen heran, die fünfte Niederlage in Serie, seit Dezember kein Heimsieg mehr, erreichen Sie die Mannschaft überhaupt noch? Sie könnten nun die Thomas-Doll-Endlosschleife aktivieren, auf die zahllosen Verletzten verweisen und als Einziger im Stadion positive Ansätze in der ersten Spielhälfte gesehen haben. Oder Sie suchen sich einen Schuldigen für die ganze Misere. Und das machen Sie am besten so:
Mimen Sie zunächst den tadellosen Sportsmann. Lassen Sie nicht den Eindruck entstehen, Sie suchten nur nach billigen Ausreden für das Versagen Ihrer Mannschaft. Schauen Sie also zunächst nachdenklich und stellen dann mit mokantem Lächeln fest: „Zur Leistung des Schiedsrichters sage ich nichts.“ Dann schweigen Sie zwei Sekunden lang bedeutungsvoll. Die Zuschauer an den Bildschirmen werden Sie für einen Mann der vollendeten Selbstbeherrschung halten. Bevor nun aber der Reporter nach den Gründen für den Leistungsabfall fragen kann, fahren Sie fort: „Aber was sich der Unparteiische heute erlaubt hat, war eine Frechheit.“ Dann zählen Sie all die Fehlentscheidungen auf, die Ihnen noch erinnerlich sind, vor allem natürlich das nicht erkannte Foulspiel, das elf Minuten später zum 1:0 für die Gäste führte. Lässt der Reporter schließlich erschöpft das Mikrofon sinken, fügen Sie noch gönnerhaft hinzu: „Das soll nicht davon ablenken, dass wir in der zweiten Halbzeit durchaus mehr hätten tun müssen.“ Aber da sind Sie schon nicht mehr auf Sendung.
Halten Sie sich nicht jedes Mal mit der Leistung eines einzelnen Referees auf, das wirkt dann doch kleinlich und provinziell. Zumal wenn die Fernsehbilder längst bewiesen haben, dass Ihr Stürmer bei dem nicht gegebenen Treffer tatsächlich etwa drei Meter im Abseits stand und sich somit Ihre spontane Analyse („Gleiche Höhe!“) mittlerweile erledigt hat. Vermuten Sie stattdessen eine ebenso heimtückische wie groß angelegte Verschwörung ungenannt bleibend wollender Kreise. Bleiben Sie dabei möglichst unkonkret, um den Häschern des DFB keinen Anlass zu bieten. Geht doch auch so: „Was gegen uns passiert, ist unbegreiflich. Das hat Methode!“ (Willi Reimann). „Langsam bekommt die Sache eine gewisse Tendenz. Es reicht!“ (Dieter Hoeneß). „Es ist schon schlimm, was mit uns passiert“ (Bernd Krauss). „Wir werden doch seit Rückrundenbeginn verarscht!“ (Jens Lehmann). Genau! Musste mal so gesagt werden
Wenn Sie sich den ganz großen Auftritt zutrauen, dann greifen Sie ruhig zur Neutronenbombe. „Wenn ihr uns nicht in der Liga haben wollt, dann könnt ihr uns das auch sagen“, barmte einst Lauterns Trainer Wolfgang Wolf und ließ dabei geschickt offen, wen er denn mit „ihr“ so alles meinte. DFB? CIA? DSF? ADAC? ACAB? Den gleichen bewährten Trick bemühte Peter Neururer in Diensten des VfL Bochum und grantelte nebulös: „Wenn einige Leute etwas dagegen haben, dass wir drin bleiben, können wir den Spielbetrieb auch einstellen.“ Auch gerne gesehen: die „Aber“-Variante von Cottbus-Präsident Ulrich Lepsch: „Ich will an eine Verschwörung nicht glauben, aber angesichts der vielen Entscheidungen gegen uns geht die Tendenz eindeutig gegen den Klub.“ Tja, da kann man schon mal an eine Verschwörung glauben. Aber nur, wenn man Ulrich Lepsch heißt.
Auch wenn sich die Beteiligung hoher Regierungskreise an der Verschwörung gegen Ihren Klub nicht bis ins Detail beweisen lässt, einen Nutznießer des Komplotts können alle benennen: den Rekordmeister aus München. „Ich kann nicht verstehen, warum sich die Riege der Schiedsrichter immer auf die Seite der Bayern schlägt“ (Friedhelm Runge, Präsident des Wuppertaler SV). Aber auch als Angestellter des FC Bayern müssen Sie nicht auf Verschwörungstheorien verzichten. Halten Sie sich an die ebenfalls sehr schlüssige Argumentationslinie von Manager Uli Hoeneß: „Schiedsrichter sind im Zweifelsfall immer daran interessiert, Bayern München keinen Vorteil zu verschaffen, weil sie dann in der nächsten Woche Telefonterror haben und nicht zur Arbeit gehen können.“ Oder Sie halten sich an den Argumentationsleitfaden von FCB-Vorstand Kalle Rummenigge, dem das Bedauern über die Maueröffnung 1989 noch heute anzumerken ist: „Wir sind alle nicht angenehm überrascht, dass ein Russe, ein sehr unerfahrener dazu, das Spiel leitet. Im vergangenen Jahr hat auch ein Russe gegen uns sehr unglücklich gepfiffen.“ Exakt! Und Tofik Bachramow erst! Auch ein Russe! Fast jedenfalls.
Natürlich können auch Spieler die Schiedsrichter beschimpfen. Oft entfalten schon konventionell-stumpfe Attacken auf Saalwetten-Niveau gehörige Schlagwirkung. „Ich habe schon viele Blinde gesehen, aber das war die Krönung“ (Tim Wiese). „Anscheinend haben die Unparteiischen etwas gegen mich. Der Schiri war der schlechteste Mann auf dem Platz“ (Torsten Frings). Wer etwas auf sich hält, versieht seine Attacken aber mit einer skurrilen Note. Vorbildhaft hier der Dortmunder Alex Frei, der alpine Minderwertigkeitskomplexe kongenial mit ostdeutschem Herrentags-Slang verschmilzt. „Die Schweizer Fußballer genießen hier so viel Anerkennung wie die von den Fidschi-Inseln“, schnaubte der Eidgenosse Frei sinnfrei aber amüsant, als ihm ein Tor aberkannt worden war.
Dass du paranoid bist, heißt nicht, dass sie nicht hinter dir her sind. Sagt der Volksmund. Konstruieren Sie also zur Abwechslung einen persönlichen Rachefeldzug des Schiedsrichters. Und zwar gegen Sie ganz allein! Kap der Angst auf dem Fußballplatz, Max Cady im schwarzen Kittel! „Ich kann mittlerweile schon glauben, dass Herr Merk mit mir irgendwas am Hut hat“, argwöhnte Nürnbergs Ex-Coach Hans Meyer, nachdem Markus Merk auf eine Schwalbe des Bielefelders Artur Wichniarek hereingefallen war. Was genau, wusste Meyer nicht zu sagen, und auch nicht, warum ihn Merk mit seinem unbändigen Hass verfolgen sollte. Klang dennoch sehr schlüssig. Noch ein wenig melodramatischer inszenierte sich dann Kölns Christoph Daum, der es nach der Heimpleite gegen Borussia Mönchengladbach hinbekam, mindestens so geschafft auszusehen wie Nick Nolte auf dem Hausboot und mit flackerndem Blick in die Mikrofone zu jammern: „Solange ich beim 1. FC Köln bin, fallen die meisten Entscheidungen gegen uns. Das werde ich nicht mehr hinnehmen.“ Um dann melancholisch zu werden, wie ein indischer Teepflücker: „Ich möchte zukünftig fair behandelt werden.“ Große Schauspielkunst
Auch wenn sich der Referee bis auf einen nicht gegebenen Einwurf an der Mittellinie nichts hat zu Schulden kommen lassen, müssen Sie nicht auf die Schiedsrichter-Schelte verzichten. Um ihr aber die nötige Schlagkraft zu verleihen, vermengen Sie die Kritik am Referee mit kritischen Anmerkungen zur Entwicklung des modernen Fußballs. Das muss keinen Sinn machen und darf gerne so schlicht daher kommen wie ein Leserbrief an die Sportredaktion der „Bild“-Zeitung. Machen Sie es einfach wie Engelbert Kupka, Präsident der Spvgg. Unterhaching. Der polterte nach einer verdienten 0:1‑Schlappe gegen den Lokalrivalen 1860: „Man schwächt ganz bewusst kleine Mannschaften, die man nicht in der Liga haben will. Beim DFB ist das ganze System marode: Die Schiedsrichter spielen verrückt und tote Vereine holen sich große Investoren ins Haus.“ Noch nicht wirr genug? Noch einmal Kupka: „Diese Arroganz der Schiedsrichter ist nicht mehr zu ertragen, die verhalten sich wie geistige Sklaven!“ Investoren! Arroganz! Sklaven! So gewinnt man die Lufthoheit über die Stammtische.
Sie können es natürlich auch so machen wie Jürgen Klopp. „Ey du Idiot“, sprach der Trainer von Mainz 05 geradeheraus zu Schiedsrichter Kinhöfer. Aber das kostet dann 12 500 Euro.
Dieser Text ist im Grunde ein Archivfund. Er erschien erstmals in unserer Ausgabe 11FREUNDE #76.