Heute wird Zvjezdan Misimović 40 Jahre alt. Auch dank seiner Spielmacher-Qualitäten wurde der VfL Wolfsburg 2009 Deutscher Meister. Hier erinnert er sich an nonverbale Kommunikation mit Makoto Hasebe, Party-Verbote von Felix Magath und einen ohnmächtigen Torjäger.
Dieses Interview erschien erstmals im April 2019.
Zvjezdan Misimović, vor der Rückrunde der Saison 2008/09 stand der VfL Wolfsburg noch auf Platz neun. Wie konnten Sie trotzdem noch Meister werden?
Wir waren ein zusammengeschweißter Haufen, der trotz der vielen verschiedenen Nationalitäten innerhalb des Kaders super miteinander auskam. Nicht nur auf dem Platz, sondern auch außerhalb. Das war ein großer Pluspunkt für uns. Zur Rückrunde hin haben wir uns auf dem Platz stark weiter entwickelt, plötzlich stimmten die Ergebnisse. Nach zehn Siegen in Serie war das Selbstvertrauen dann enorm, es lief einfach. Dadurch, dass wir eine sehr junge Mannschaft waren, hat es eben nur ein bisschen länger gedauert. Herr Magath hat uns immer drauf hingewiesen, was möglich ist und unser Selbstvertrauen wurde von Tag zu Tag immer größer. Und am Ende der Saison, als es drauf ankam, konnte sich jeder auf den Anderen verlassen.
Sie haben sich so gut als Mannschaft verstanden, dass sie oft zusammen Abendessen gegangen sind.
Das stimmt. Ich erinnere mich noch an ein Abendessen, bei dem ich mit Edin Dzeko, Makoto Hasebe, Grafite und Andrea Barzagli unterwegs war. Eigentlich konnten nur Edin und ich uns richtig verständigen, weil „Grafa“ damals noch nicht richtig Deutsch konnte und Barzagli sowieso nur Italienisch, Makoto Japanisch. Aber wir hatten trotzdem ein super Abendessen und ich denke, das zeigt am besten, wie wir uns verstanden haben. Trotz der Sprachprobleme hat alles super geklappt. Wir haben uns mit Händen und Füßen verständigt. Und wie meine Frau behauptet: mit Hilfe des Weins. (Lacht.)
Es wurde also auch mal getrunken. Gab es da nicht Ärger mit dem strengen Trainer Felix Magath?
Nee, Herr Magath hat immer gesagt, dass die Freizeitgestaltung Privatsache sei und solange man am nächsten Tag um zehn Uhr beim Training Gas geben könne, dürfte man vorher machen, was man will. Dementsprechend musste jeder Spieler für sich selber wissen, was er für richtig hält oder was er braucht, um am nächsten Tag bei der Trainingseinheit oder beim Spiel hundert Prozent geben zu können.
„Nach dem 5:1 über Bayern ließ Magath uns eine Stunde laufen“
Also gab es keine Bestrafungen, wenn man nicht fit genug war?
Das Training war meistens Strafe genug. Bei Herrn Magath war es eigentlich die Norm, dass wir das Auslaufen am Morgen nach einem Spiel sausen lassen durften, wenn es gut gelaufen war. Stattdessen haben wir dann auf vier kleine Tore gespielt. Nach dem 5:1‑Sieg über die Bayern in der Rückrunde sind wir am nächsten Morgen natürlich alle davon ausgegangen, dass wir auch wieder nur ganz locker auf vier kleine Tore spielen würden. Ich meine mich auch zu erinnern, dass ein paar Spieler nicht mehr im besten Zustand waren nach dem Sieg am Vorabend. (Lacht.) Doch als wir dann am Sonntag am Trainingsgelände ankamen, war keine Rede von vier kleinen Toren. Wir mussten stattdessen über eine Stunde lang auslaufen. Was ich damit sagen will: Herr Magath wusste genau, wann er die Zügel wieder anziehen musste.
Waren Magaths Trainingsmethoden der Schlüssel zum Erfolg?
Ja sicherlich, man kennt ja die Methoden von Felix Magath. Der hat seinen Stil und zieht das durch. Was die Kondition und Fitness angeht, waren wir im Vergleich zu den anderen Mannschaften auf einem anderen Level.
Wie hat er das geschafft?
Ich kann mich an das Sommertrainingslager in Österreich erinnern. Da haben wir Laufschuhe angezogen und sind mit dem Bus irgendwohin gefahren. Als wir ausgestiegen sind, sagte Magath: „So Jungs, jetzt gibts Kaffee und Kuchen.“ Da haben wir uns natürlich riesig gefreut. Doch dann fügte er noch hinzu, dass es den Kuchen nicht hier am Bus, sondern erst auf 2.200 Meter Höhe geben würde. Also mussten wir den Berg hoch marschieren. Mir fiel das nicht so schwer, aber Grafite hat es kurz vor dem Ziel erwischt. Der ist in Ohnmacht gefallen und musste von den Sanitätern hochgetragen werden. Daher kam er ein bisschen später als alle anderen oben an. Ich bin mir nicht mal sicher, ob wir ihm was von dem Kuchen übrig gelassen haben. Wir waren so ausgehungert.
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Mal abgesehen von dem Ziel, es hoch auf den Berg zum Kuchenessen zu schaffen: Was für Ziele hatten Sie sich als Mannschaft im Sommer vor der Saison gesetzt?
Wir wollten wieder international spielen. Das Jahr davor hatten wir uns ja auch für den internationalen Wettbewerb qualifiziert. Also war das auch für diese Saison wieder unser Ziel. Doch dann kamen unsere Ups and Downs in der Vorrunde. Zuhause waren wir recht erfolgreich, aber auswärts haben wir wenig auf die Reihe gekriegt. Im Laufe der Rückrunde hat sich das dann ja zum Glück geändert.
Das letzte Spiel der Hinrunde verloren Sie in Bremen mit 1:2, danach verabschiedeten sie sich als Bundesliga-Neunter in die Winterpause. Haben Sie damals daran geglaubt, dass Sie noch Meister werden könnten?
Ich denke, dass das zu der Zeit nicht realistisch war. Obwohl die Bayern nicht so dominant spielten wie in den Jahren zuvor, waren sie der klare Favorit. Aber der Trainer hat uns ständig unsere Ziele vor Augen geführt und uns dran erinnert, was wir uns vor der Saison vorgenommen hatten. Und wir wussten ja auch, was wir eigentlich drauf haben. In der Rückrunde konnten wir das dann wieder umsetzen und haben angegriffen.
„Wir haben die Party organisiert, obwohl der Trainer es verboten hatte“
Vor dem 34. Spieltag und dem Rückspiel gegen Bremen trennten Sie nur zwei Punkte vom FC Bayern und dem VfB Stuttgart. Doch gegen Werder wirkte die Wolsfburger Mannschaft nicht so, als stünde sie unter Druck.
Weil das Spiel sehr schnell eindeutig in unsere Richtung kippte, nach 15 Minuten stand es schon 2:0. Die letzten zwanzig Minuten war dann klar, dass uns nichts mehr passieren würde. Da war die Stimmung natürlich am Kochen und alle sind ausgeflippt. Die Zuschauer standen am Spielfeldrand und konnten den Apfiff kaum erwarten. Ein unglaublicher Tag. Aber man realisiert nicht sofort, was da passiert ist. Das kommt erst Monate oder Jahre später.
Gefeiert wurde trotzdem direkt nach Spielende und nicht erst Monate später.
Wir waren essen, danach haben wir eine private Feier gemacht. Die hatte die Mannschaft schon vor dem Spiel organisiert, obwohl das zuvor eigentlich vom Trainer verboten worden war. Er sagte uns, so etwas würde man nicht machen. Es sei ein schlechtes Omen, weil ja auch noch etwas schief laufen könnte. Aber wir haben uns trotzdem dafür entschieden, die Party zu organisieren und hatten am Ende ja auch Recht damit. Ich konnte leider nicht so lange machen, weil ich für die letzten drei Spiele wegen meiner Verletzung fit gespritzt wurde. Auf der Feier haben die Schmerzmittel dann nachgelassen, deshalb musste ich leider früher nach Hause.
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