Noch nie von Roy McDonough gehört? Eigentlich schade. Einen wie ihn gab es kein zweites Mal – und wird es gewiss nie wieder geben.
„Wie ich im heutigen Fußball zurechtkäme?“ Am anderen Ende der Leitung entsteht eine lange Pause. „Ich würde nicht mal das Aufwärmen überstehen!“
Dabei war die Kondition nun wirklich nicht sein einziges Problem. Roy McDonough, genannt „Donut“, wurde in seiner Karriere 22 Mal vom Platz gestellt, daher der Titel seiner Autobiografie „Red Card Roy“, mit dem aufschlussreichen Zusatz: „Sex, Booze and Early Baths: The Life of Britain’s Wildest Ever Footballer.“ Sex, Schnaps und vorzeitiges Duschen. McDonough foulte sich in schöner Regelmäßigkeit in die Notizbücher der Schiris, und auch seine Frauengeschichten sind legendär. Doch es war vor allem das Trinken, das einen fassungslos macht. In seinen härtesten Zeiten trank McDonough siebzig Pints die Woche; 24 in einer einzigen Sitzung; zwölf am Abend vor einem Spiel. Sein Partytrick war, ein Pint in sieben Sekunden zu stürzen. Auf dem Kopf stehend. „Ich habe ihn das mal in einem fahrenden Zug machen sehen“, erinnert sich sein ehemaliger Mitspieler Perry Groves. „Ziemlich beeindruckend.“
Jenseits der Prahlerei und des rüpelhaften Gebarens aber war McDonough nach eigener Aussage „eine sanftmütige Seele, die nur einen Arm um die Schulter brauchte“. Ein Mann, der sich aus „Frust und Unsicherheit“ im Picheln, Prügeln und Vögeln verlor. Ein Spieler, dessen Karriere von falschen Entscheidungen, Tragödien und Reue geprägt war. Selbst der schlimme Schnauzbart, den damals so viele harte Hunde kultivierten, war im Teenageralter nur gezüchtet worden, um einen Makel auf der Oberlippe zu kaschieren. „Auf dem Platz war er ein Rottweiler, abseits davon ein Pudel“, sagt Groves. Was also ist schief gelaufen?
„Nächste Saison komme ich ganz groß raus!“
Seinen ersten Platzverweis erhielt McDonough im Alter von 16 Jahren, als er im Finale der Schulmeisterschaft einen Schiedsrichter an der Kehle packte. Er tat selbst das damals als „McEnroe-Syndrom“ ab und glaubte nicht, dass sein impulsives Temperament seinem unbestrittenen Talent im Wege stünde. Geboren und aufgewachsen in Solihull in den West Midlands, brachte McDonough alle Voraussetzungen für einen hervorragenden Mittelstürmer mit. „Die Fußballwelt lag ihm zu Füßen“, erinnert sich Ian Atkins, ein Freund aus Kindertagen, der auf eine dreißig Jahre währende Karriere als Spieler und Trainer zurückblickt. „Er war pfeilschnell, über 1,80 Meter groß und ein erstklassiger Sturmführer. Was wäre ein solcher Stürmer heute wert?“
Angespornt von der Enttäuschung, als Schüler bei Aston Villa aussortiert worden zu sein, schloss sich McDonough als ehrgeiziger, enthaltsamer Jungprofi dem Stadtrivalen Birmingham City an. 1977 debütierte er im Alter von 18 Jahren an der Seite des legendären Trevor Francis, dessen Schuhe er wenige Monate zuvor noch geputzt hatte. In seinem zweiten Match erzielte McDonough sein erstes Profitor, einen Kopfball zum Ausgleich bei den Queens Park Rangers am letzten Spieltag der Saison. Auf der Heimfahrt im Bus war er das erste Mal in seinem Leben betrunken. „Nächste Saison“, schwor er, „komme ich ganz groß raus.“ Tatsächlich sollte er nie wieder in der ersten Liga spielen.
„Was zum Geier hatte mich geritten?“
In jenem Sommer trat Englands Weltmeistertrainer Alf Ramsey in Birminghams Vorstand ein und machte sich umgehend für die Verpflichtung des U21-Nationalstürmers Keith Bertschin stark. McDonough wurde wieder in die Reserve versetzt. Als man ihm wenig später sagte, er könne sich einen neuen Verein suchen, war er am Boden zerstört.
Der Drittligist Walsall schien nicht gerade der ideale Ort zu sein, um eine vielversprechende Karriere wieder in die Spur zu bringen, aber McDonough wollte nahe der Heimat bleiben. Es war eine Entscheidung, die er schon bald bitter bereute. „Was zum Geier hatte mich geritten, von Birmingham nach Walsall zu gehen?“, sagt er. „Binnen einer Woche waren Francis und Bertschin beide verletzt. Das wäre meine Chance gewesen, doch es war zu spät.“ Als Walsall nicht in die Gänge kam und der neue Stürmer nicht traf, hatten die Nörgler ihren Sündenbock schnell gefunden.
In einem Spiel musste McDonough zurückgehalten werden, damit er nicht wie einst Cantona in die Menge sprang, als er von einem „großmäuligen Pisser“ mit einem Schwall an Beleidigungen bedacht wurde. Walsall stieg ab und McDonoughs Saison war nur wegen seiner ersten Roten Karte als Profi bemerkenswert, die er nach einem Zusammenstoß mit Liverpools legendärem Raubein Tommy Smith sah, der damals für Wrexham spielte. „Der Ball ging Richtung Seitenaus und er war mir einen Schritt voraus“, sagt McDonough, der sich außerdem erinnert, „direkt in ihn reingerasselt“ zu sein und den Kontrahenten „in einem Schneehaufen abgeladen“ zu haben.
„Schiebt ihn euch in den Arsch!“
Zwar schaffte Walsall sofort den Wiederaufstieg, aber McDonough war inzwischen mehr damit beschäftigt, abseits des Platzes zum Zuge zu kommen. So verabschiedete er sich standesgemäß mit einem Tripper, den er sich auf der Saisonabschlussfahrt nach Mallorca einfing. Nun, da er seinen Ruf als Quertreiber weghatte, bot ihm Walsall einen neuen Vertrag zu verringerten Bezügen an. „Schiebt ihn euch in den Arsch“, lautete die Antwort.
Als er im September 1980 an die Stamford Bridge kam, glaubte McDonough zurück im großen Geschäft zu sein und nahm sich vor, Chelsea in die erste Liga zu schießen. Doch er hatte die Rechnung ohne seinen neuen Boss gemacht, einen der Helden von 1966: „Bei Chelsea ging es zu wie im Zirkus, und Geoff Hurst war der Clown. Der schlechteste Trainer, den ich jemals hatte.“ Nicht, dass er die englische Legende viel zu sehen bekommen hätte. In seinem einzigen Einsatz bei der ersten Mannschaft, einem Freundschaftsspiel gegen Dordrecht, wurde McDonough als Innenverteidiger eingesetzt und war mit der Aufgabe betraut, den holländischen WM-Star Rob Rensenbrink in Manndeckung zu nehmen. Chelsea gewann 4:2 und Hurst machte McDonough für die „schlechten zehn Minuten“ der Blues verantwortlich.
Ein Wendepunkt in der Karriere des 22-Jährigen, der damals heimwehkrank in einer Sozialwohnung in der Nähe des Flughafens Heathrow bei einem verheirateten Paar zur Untermiete hauste und in den Plänen des Trainers offenbar keine Rolle spielte. „Chelsea brach mir das Herz“, sagt er. „Rückblickend wünschte ich, ich hätte mit einem Psychologen sprechen können, denn ich verlor nach und nach meine Selbstachtung und meine Liebe zum Spiel. Von da an wurde ich zum Trinker und Frauenhelden. Scheiß drauf, dachte ich, dann mache ich eben einen drauf!“
„Wir waren verdammte Monster!“
Um von Chelsea wegzukommen, schloss sich McDonough dem erstbesten Klub an, der Interesse zeigte. „In welcher Liga spielen wir?“, fragte er bei seiner Ankunft beim drittklassigen Verein Colchester United. Nicht, dass es ihn wirklich interessiert hätte. McDonough hatte jetzt vor allem Wein und Weib im Kopf. Ein Gelage mit Stars des nahegelegenen Ipswich, das damals unter Bobby Robson erfolgreiche Zeiten erlebte, endete damit, dass Englands Nationalverteidiger Terry Butcher nackt mit der Hand über einem Auge durch eine Kneipe hopste – ein Schabernack, der „Pirat“ genannt wurde. „Terry war ein guter Kerl, aber er konnte mit uns nicht mithalten“, sagt McDonough. „Wir waren verdammte Monster.“
Doch mit dem Spaß war es bald vorbei. McDonoughs Sturmpartner David Lyons, mit dem er nur Stunden zuvor gebechert hatte, nahm sich kurz nach seinem 26. Geburtstag das Leben, das tragische Ende einer immer tieferen Depression, die weitgehend unbemerkt geblieben war. Zwei Tage später trug McDonough im Spiel gegen Tranmere das Trikot seines Freundes mit der Nummer 9 und jubelte ausgelassen, als er nach nur 45 Sekunden traf. Bald aber verfiel er wieder in den alten Trott. In einem Spiel für die Reservemannschaft flog er vom Platz, nachdem er einem ehemaligen Mannschaftskollegen „einen rechten Haken“ verpasst hatte.
Geschwafel über Jesus
Danach wird die Sache langsam unübersichtlich. Es folgten Stationen in Southend, Exeter und Cambridge, jedes Engagement war kürzer als eine Saison, zwei endeten mit einem Abstieg. Bei Cambridge United spielte er in der sogenannten God Squad um David Moyes. McDonough wunderte sich: „Wie kann ein riesiger schottischer Rotschopf von Celtic mit so wenig Mumm spielen und stattdessen seine Energie für Geschwafel über Jesus verschwenden?“
Cambridge war auch Schauplatz der bemerkenswertesten seiner zahlreichen Episoden von Trunkenheit am Steuer. Weil er nach der Weihnachtsfeier des Klubs zu besoffen war, um noch Kleingeld in den Parkautomaten zu stecken, gab McDonough einfach Gas und setzte den Wagen über die 25 Zentimeter hohe Rampe an der Einfahrt hinweg. An sein letztes Spiel für Cambridge kann er sich kaum erinnern: „Ich war so durch den Wind, dass ich zwei verzerrte Bälle sah.“
McDonoughs Karriere war da natürlich längst im Eimer. Irgendwann kehrte er nach Colchester zurück, wo er gleich im ersten Spiel vom Platz gestellt wurde. Anschließend hielt er erstaunliche zwei Jahre ohne Rote Karte durch. Er war nicht gerade zu einem neuen Menschen geworden, aber mit 32 Jahren und als Stürmer in der fünftklassigen Conference war dies wahrscheinlich seine letzte Chance, um es noch mal in den Profibereich zu schaffen. Was allerdings niemand ahnen konnte, war, wie dies geschehen würde. Als Trainer Atkins nach einer Saison seinen Hut nahm, löste McDonough ihn überraschend als Spielertrainer ab.
Beim Saufen und Schäkern war er ganz vorne dabei
„Roy war immer noch zuallererst Spieler“, erinnert sich Mark Kinsella, der spätere irische Nationalspieler, der damals als Jungprofi bei Colchester spielte. „Wenn es ums Saufen und Schäkern ging, war er ganz vorne dabei. Aber er nahm auch junge Spieler unter seine Fittiche, lehrte sie etwas über das Leben und den Fußball, verlangte hundert Prozent im Training und in den Spielen. Außerdem wollte er in einer Liga, in der viel kick ’n’ rush praktiziert wurde, richtigen Fußball spielen.“ Tatsächlich gewann United das Double aus Meisterschaft und FA Trophy (den Pokalwettbewerb der unterklassigen Klubs) in rekordverdächtiger Manier, wobei McDonough 29 Tore schoss.
Klar, seine Methoden waren bisweilen kontrovers. Einmal strich er eine Trainingseinheit, um Hallencricket zu spielen, ein anderes Mal zeigte er Pornos im Teambus. Doch der Erfolg gab ihm recht, zumindest vorübergehend. Am Ende scheiterte er aber daran, dass er als Spieler nicht umsetzen konnte, was er als Trainer predigte. Mark Kinsella erzählt: „Vor einem Spiel sagte er: ›Die werden alles probieren, um euch aus der Fassung zu bringen. Lasst euch nicht darauf ein, schluckt es runter, spielt euer Spiel und lasst uns hier mit drei Punkten wieder abhauen.‹ Keine zehn Minuten später sah er Rot!“
„Ich war ungestüm“
Letztlich versandete McDonoughs Trainerkarriere. Nach einer Zeit als Autoverkäufer zog er nach Spanien, wo er heute in der schicken Urlaubsregion La Manga Immobilien unter die Leute bringt. Und wenngleich er die Roten Karten nicht bereut („Ich war ungestüm, aber ich wollte nie jemanden absichtlich verletzen“) und seine Frauen- und Alkoholgeschichten abgeklärt beurteilt („War nicht toll und auch nicht schlau, doch es verschaffte mir Aufmerksamkeit“), weiß er, dass seine Karriere auch anders hätte verlaufen können. „Samstags abends schaue ich X Factor und mir kullert eine Träne über die Wange“, sagt er, „und ich weiß auch, warum. Diese Leute verwirklichen ihren Traum, so wie es ich tat, bevor mir das Spiel in die Eier trat.“ Man kann allerdings sagen, McDonough hat mit Schmackes zurückgetreten.