Vor dem Derby am Sonnabend kriselt es beim Hamburger SV und bei Werder Bremen. Wir haben die beiden Stadionsprecher vor dem Spiel befragt.
Lotto King Karl, gehört zu einem echten HSV-Fan eigentlich auch, dass man Werder Bremen nicht leiden kann?
Als ich als kleiner Junge angefangen habe, mich für den Hamburger SV zu interessieren, habe ich gar nicht darüber nachgedacht, ob ich dann auch gleichzeitig gegen Werder Bremen sein muss. Und das ist eigentlich bis heute meine Einstellung geblieben und mittlerweile für mich auch eine Frage der Altersmilde und der Effizienz. Denn wenn ich jetzt gegen alle Vereine auf diesem Planeten sein wollte, dann hätte ich ja viel zu tun.
Sind die Spiele gegen Werder Bremen für Sie aber trotzdem etwas Besonderes?
Natürlich, ja. Aber ich sehe das alles nicht ganz so mega-mega-verbissen wie manch anderer. Für mich als Stadionsprecher des HSV sind genauso die Spiele gegen Bayern oder Dortmund etwas Besonderes. Oder auch gegen Hannover 96, den kleinen HSV, zu dem wir eine Fanfreundschaft pflegen. Man darf ja auch nicht vergessen, dass da auf beiden Seiten nicht mehr ganz so viele Spieler stehen, die bisher eine allzu lange Historie in den jeweiligen Vereinen hinter sich gebracht haben.
Was müsste man Ihnen anbieten, damit Sie einmal ein Werder-Trikot in aller Öffentlichkeit tragen würden?
Ach, hören Sie auf! Das wären Summen, für die wir Zlatan Ibrahimovic zum HSV holen könnten. Höchstens bei einer Bad-Taste-Party, da könnte man das Werder-Trikot vielleicht gut tragen (lacht).
Geht es Ihnen besser, wenn es Werder Bremen schlecht geht?
Mir geht es tatsächlich nur besser, wenn es dem HSV gut geht. Ich muss schon zugeben, dass ich ab und zu einmal mit Schadenfreude rübergucke nach Bremen. Aber das beinhaltet immer auch einen sicheren und guten Tabellenplatz des HSV. Und im Moment haben ja beide Vereine Probleme, wie sie sie eigentlich lange nicht gehabt haben. Wir hätten dieses Duell natürlich alle viel lieber um Platz eins und zwei – und nicht um Platz 14 und 15. Aber das ist jetzt nun einmal so.
Haben Sie sich denn beispielsweise – zumindest ein bisschen – gefreut, als das Erfolgsduo Klaus Allofs/Thomas Schaaf bei Werder Bremen gesprengt wurde?
Ein bisschen feixen ist schon immer erlaubt. Aber die Trennung von Klaus und Thomas hat mich schon auch getroffen. Aber zum Beispiel auch damals der Wechsel von Manuel Neuer zum FC Bayern hat mich getroffen. Nicht, weil ich eine besonders innige Beziehung zu Schalke habe. Aber wenn es jemand wie Neuer aus der Ultra-Szene bis in die Bundesliga auf den Rasen schafft, dann ist das einfach ein Traum, den jeder Junge träumt. Und diesen Traum hat Manuel Neuer mit seinem Wechsel nach München für viele Jungen beerdigt. Umgekehrt bin ich ein solch fanatischer Fußballfan: Wenn Ryan Giggs auf dem Fußballplatz steht, dann klatsche ich automatisch. Weil ich es für eine bemerkenswerte Leistung halte, so lange für ein und denselben Verein zu spielen. Das sind die Sachen, die ich sehr schätze am Fußball – auch wenn sich mein Verein da gar nichts von kaufen kann.
Was würden Sie wählen: Derbysieg morgen oder Klassenerhalt am Saisonende?
Das kann ja durchaus miteinander zusammenhängen (lacht). Wir nehmen im Moment jeden Punkt, den wir kriegen können. Und so werden die Bremer wahrscheinlich auch denken. Für mich spielt das ganze Drumherum und die vermeintliche Brisanz beim morgigen Spiel eine weit weniger wichtige Rolle als in den vergangenen Jahren.
Haben Sie aber auch Angst vor einer Niederlage gegen Bremen?
Es würde allen Beteiligten natürlich sehr gut passen, wenn wir gewinnen würden. Mal wieder eine Woche ohne diesen elendigen Spießrutenlauf. Ich bin wirklich so: Wenn es meinem Verein schlecht geht, dann geht es mir auch schlecht. Ich darf mir das auf der Bühne nicht anmerken lassen, aber mich als Mensch belastet das deutlich. So beknackt bin ich schon, wenn es um Fußball geht. Aber ich habe mich über die Jahre langsam an diese psychische Labilität gewöhnt.
Wie erklären Sie sich den momentanen Tiefflug des HSV?
Was wir jetzt erleben, die vielen Umbrüche mit Spielern ohne die ganz großen Namen, das ist ja anderswo auch passiert. Nur haben wir hier in Hamburg gedacht, dass wir da schon anderthalb Jahre weiter sind. Und jetzt fangen wir schon wieder bei null an – zumindest auf der Trainerposition.
Da könnte mit Thomas Schaaf ja bald ein alter Bremer sitzen, will man der Bild-Zeitung glauben.
Alles, für das Thomas Schaaf steht, ist genau das, was dem HSV fehlt. Ich könnte aber absolut verstehen, wenn Thomas Schaaf sagen würde, ich habe so und so lange von den Bremer Fans gelebt, das will ich keinem von denen antun. Ich könnte mir aber auch umgekehrt vorstellen, dass viele Bremer Fans sagen würden, gut, der ist nicht mehr bei uns und der ist noch keine 90, dann geht der jetzt halt zum HSV.
Sie persönlich würden sich also freuen?
Würde das ganze Thema in drei oder vier Jahren noch einmal aktuell werden, wäre das wahrscheinlich weit weniger turbulent. Aber man weiß ja nie. Vielleicht sitzt er ja am Sonnabend bereits auf unserer Bank gegen seinen alten Klub (lacht).
So wie Wolfgang Rolff lange in Bremen.
Genau. Wir Hamburger haben ja auch nicht so laut mit den Zähnen geknirscht, dass ein HSV-Urgestein ewig der Co-Trainer von Schaaf gewesen ist.
Arnd Zeigler, sind Sie schon im Derbyfieber?
Es ist ein anderes Derbyfieber als sonst. Laut Tabelle spielt morgen ja nur die Nummer drei im Norden gegen die Nummer vier. Aber in diesem Spiel können beide eine ganze Menge geradebiegen. Es ist nicht alles gut bei einem Sieg, aber es ist schon sehr vieles besser.
Gibt es bei diesen Aufeinandertreffen eigentlich auch so etwas wie Abnutzungserscheinungen?
Nein, gar nicht. Im Prinzip funktioniert Fußball ja wie Evolution. Alles ist immer wieder neu und man hat immer neue Gesamtlagen. Für uns Bremer gewinnt es die Brisanz ja unter anderem dadurch, dass wir uns immer von den Hamburgern anhören müssen – egal, wer von beiden jetzt besser dasteht – der HSV sei die ewig eingebaute Nummer eins im Norden. Wir Bremer müssen uns sagen lassen, dass man in einem bedeutungslosen Provinznest lebe – und Hamburg ein Weltverein sei.
Wird man als Bremer mit diesem Derbygefühl geboren?
Es mag bei manchen Menschen so sein, dass die sich das früh aneignen. Bei mir ist es gar nicht so. Ich habe immer noch Mannschaften, die ich weniger gerne mag. Ich mache auch nicht mit bei dieser verordneten Rivalität. Der HSV ist definitiv kein Verein, der mir besonders nahesteht. Aber ich würde sehr viel vermissen, wenn es diese Duelle und Sticheleien nicht gäbe. Ich gucke mir das Spiel am Sonnabend zusammen mit Olli Dittrich an, der ja nun beinharter HSV-Fan ist. Und das wird bestimmt lustig. Für einen von uns.
Sie mussten in Ihrer Sendung als Wettschuld einmal ein HSV-Trikot überstreifen. Tat es richtig weh oder war das eher lustig?
So lustig war das nun nicht (lacht). Während der Sendung habe ich das auch gar nicht so negativ wahrgenommen. Als ich dann hinterher aber Fotos von mir im HSV-Trikot gesehen habe, musste ich schon schlucken. Das ist nichts, was man als Bremer gerne macht.
Sie sind gut befreundet mit dem HSV-Stadionsprecher Lotto King Karl. Wie kann das eigentlich sein?
(Lacht) Zwischen Lotto und mir ist es relativ harmonisch. Wir sehen ja beide unsere Klubs durchaus auch kritisch und können darüber lachen, wenn mal wieder ganz viel schiefgeht. Man muss das eben in schlechten Phasen auch mit einem gewissen Fatalismus sehen. Und das können wir gut. Der einzige Nachteil bei einer Freundschaft mit Lotto ist nur, dass man wenig zu Wort kommt.
Herr Zeigler, was sind heutzutage die elementaren Unterscheide zwischen dem Hamburger SV und Werder Bremen?
Das ist vor allem die Selbstwahrnehmung. Wenn ich zum Beispiel höre, dass HSV-Manager Oliver Kreuzer vor wenigen Wochen bei seiner Vorstellung sagt, der Verein stünde auf Augenhöhe mit Bayern, Dortmund und Schalke … so etwas würde man von einem Bremer einfach nicht hören. Die Hamburger sehen sich als Weltmetropole und definieren sich über Größe und Bedeutung ihrer Stadt. Und so sehen sie auch den Verein: als schlummernden Weltverein. In Bremen ist das alles unaufgeregter, entspannter, mehr Understatement.
Also geht es den Bremern in der jetzigen Situation besser als den Hamburgern?
Wir leiden auch. Ich glaube aber, wir sind nicht der Meinung, dass wir ganz schnell wieder in die Champions League gehören. Wir wissen, dass das jetzt eine Durststrecke ist. Nach einem tollen Jahrzehnt müssen wir erst einmal ein paar Jahre Anlauf nehmen, um dann wieder mal oben zu stehen. Das ist nichts, was man gerne verinnerlicht.
Geht es Ihnen denn prinzipiell besser, wenn es dem HSV schlecht geht?
Nein. Es mag zwar ein kleiner Trost sein in einer Phase wie jetzt, wenn man sieht, was in Hamburg für ein Chaos herrscht. Dann denkt man als Bremer, es könnte ja doch noch schlimmer kommen. Aber was ich nicht mag, ist diese Fixierung auf Schadenfreude dem HSV gegenüber. Dann spielst du zu Hause gegen Frankfurt, liegst 0:1 zurück und die Fans singen irgendwelche Hasslieder auf den HSV. Das ist mir fremd. Ich freue mich, wenn ich mit Lotto oder Olli Dittrich ein bisschen rumsticheln kann, aber ich bin weit davon entfernt, eine Niederlage des HSV gleichzusetzen mit dem Sieg meiner Mannschaft.
Wird man nächste Woche in Bremen merken, ob man dieses Spiel gegen den HSV gewonnen oder verloren hat?
Im Moment liegt eine graue Stimmung über der Stadt. Wenn du nach dem 0:3 gegen Frankfurt die Kneipenmeile entlanggehst, geht es dir auch nicht besser, als hättest du gerade gegen Hamburg verloren. Aber es ist einfach so, dass ganz Bremen im Moment hungert nach einem Befreiungsschlag. Und ein Sieg gegen Hamburg wäre ein solcher.
Bremen gegen Hamburg: Vor vier Jahren noch Europapokalschlacht, jetzt Kellerduell. Wie konnte das passieren?
Das ist wahrscheinlich eine ganz logische Entwicklung, die viele Vereine hinter sich haben, die eben nicht auf ganz so soliden Füßen stehen wie der FC Bayern oder Dortmund. Der HSV hat ja auch mal Champions League gespielt, Hertha auch. Und wenn man als so ein Verein mal oben steht und den Druck hat, die Erfolge zu konservieren, dann bekommt man irgendwann ein Problem. In Bremen hatten wir einfach eine sehr teure Mannschaft und dann bald die Wahl: Mache ich diese Spieler jetzt zu Geld oder versuche ich diese Mannschaft zusammenzuhalten, um weiter oben mitspielen zu können? Wir haben dann aber all unsere Ziele verpasst. Von daher ist das jetzige Gesundschrumpfen etwas tiefer in der Tabelle eine natürliche, aber schmerzliche Entwicklung, die Werder da gerade durchmacht.
Herr Zeigler, auf der Hälfte zwischen Bremen und Hamburg liegt das Örtchen Sittensen. Welchen Stadionsprecher hört man dort besser?
Ich glaube, dass Lotto lauter ist als ich. Ich muss das dann eben wettmachen mit feingeistigen Zwischentönen, die ihm nicht so liegen (lacht).