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Mittig vor dem Tor, nicht zu weit ent­fernt, auch nicht zu nah – viel­leicht die per­fekte Frei­stoß­po­si­tion. Und tat­säch­lich nimmt der von Diego Souza getre­tene Ball Sekunden später die erhoffte Flug­kurve und schlägt sauber im linken Eck ein. Souza streckt den rechten Zei­ge­finger gen Himmel, auf den Tri­bünen lösen sich auch die letzten Ver­kramp­fungen. In nur 20 Spiel­mi­nuten hat Grêmio Porto Alegre dem desi­gnierten Meister aus Mineiro drei Tore ein­ge­schenkt und ist damit auf dem besten Weg, seinen Teil der Bedin­gungen für den Nicht­ab­stieg, einen Sieg, zu erfüllen. Natür­lich war sie längst zurück: die Hoff­nung der Fans.

Doch sie sollten bitter ent­täuscht werden. Am Ende zit­terte Grêmio zwar ein 4:3 ins Ziel, nur war der nötige Patzer von Kon­kur­rent Juventude aus­ge­blieben – der Verein aus Caxias hatte par­allel gegen Corin­thians Sao Paulo gewonnen. Am späten Don­ners­tag­abend stand es also fest: Grêmio steigt zum dritten Mal in seiner Geschichte in die Série B ab.

Es folgten Fern­seh­bilder, auf denen zumeist wei­nende Men­schen zu sehen waren. Aller­dings flossen die Tränen nicht bei allen Fans. Man­ches Gesicht schien viel­mehr erstarrt und drückte damit etwas anderes als Trauer aus: Ungläu­big­keit. Kein Wunder. Denn der Nie­der­gang der Imortal Tri­color“, der unsterb­li­chen drei Farben, kam über­ra­schend. Der Klub aus dem bra­si­lia­ni­schen Bun­des­staat Rio Grande do Sul gehört zu den größten in ganz Bra­si­lien und wollte in der nun abge­schlos­senen Saison eigent­lich oben mit­spielen. Was ist da schief­ge­gangen?

Porto Alegre, meine Perle

Um Porto Ale­gres Absturz zu ver­stehen, kann der Ver­gleich mit einem deut­schen Verein helfen, der die glei­chen Farben trägt und hier­zu­lande bei­nahe als Syn­onym für die gepflegte Bruch­lan­dung dient: der Ham­burger SV. Ohnehin spielen die Han­se­städter in der Geschichte Grê­mios eine wich­tige Rolle. So errangen die Bra­si­lianer Anfang der Acht­ziger einen ihrer größten Erfolge, den Welt­pokal, durch ein 2:1 über Ham­burg. Der Tri­umph besitzt eine solch große Bedeu­tung für Grêmio, dass sie zur Eröff­nung des neuen Sta­dions 2012 ein Freund­schafts­kick gegen den HSV aus­trugen.

In Sachen Ambi­tionen waren lange Zeit sogar Par­al­lelen zwi­schen den Ver­einen erkennbar. Wäh­rend Ham­burg früher dem über­mäch­tigen FC Bayern Paroli bot und den Status des Her­aus­for­de­rers immer wieder anpeilte, lehnt sich Grêmio tra­di­tio­nell gegen die Domi­nanz der Ver­eine aus Sao Paulo auf. Das spie­gelte sich auch in der Trans­fer­po­litik beider Klubs wider. Wie der HSV ver­suchte Porto Alegre immer wieder große Namen an Land zu ziehen, um die Rolle als ernst­zu­neh­mender Kon­kur­rent der Top­klubs wie Pal­meiras oder FC Sao Paulo zu unter­mauern. Wäh­rend der HSV schon vor Jahren an seinen Ansprü­chen schei­terte und die finan­zi­elle Situa­tion mit zwei­fel­haften Ver­pflich­tungen weiter ver­schlech­terte, scheint Grêmio den eigenen Absturz im letzten Früh­jahr ein­ge­leitet zu haben.

Ich kehre zu dem Verein zurück, der mich her­vor­ge­bracht hat, der mir alles gegeben hat. Alles zurück­zu­geben ist nun das, woran ich jeden Tag hart arbeite“, sagte ein nam­hafter Grêmio-Neu­zu­gang im Mai. Es war der aus Europa zurück­ge­kehrte Dou­glas Costa. Schnell stellte sich jedoch heraus: Er hatte nicht mehr allzu viel zu geben. Ver­let­zungs­aus­fälle wech­selten sich mit durch­wach­senen Auf­tritten ab. Damit war der frü­here Bayern-Profi aller­dings nicht der ein­zige. Die kom­plette Mann­schaft fand keine Kon­stanz, gewann auf der einen Seite die bedeut­same Staats­meis­ter­schaft gegen Lokal­ri­vale SC Inter­na­cional, schei­terte auf der anderen Seite in der Copa Suda­me­ri­cana am ecua­do­ria­ni­schen Underdog Quito. Das gleiche Bild zeigte sich in der Liga.

Nie­mand darf an unserer Größe zwei­feln“

Nach und nach nahm der Abwärts­trend an Fahrt auf, sodass sich die Ver­eins­füh­rung zum Han­deln gezwungen sah. Einzig: Das machte es nicht besser. Der ehe­ma­lige Schalke- und Bayern-Profi Raf­inha konnte das Ruder ebenso wenig her­um­reißen wie der im August aus der Türkei geholte chi­le­ni­sche Natio­nal­spieler César Pinares. Begleitet wurden die Spie­l­er­ro­chaden von meh­reren Trai­ner­wech­seln. Nachdem Grêmio-Legende Renato Gaucho“ Port­a­luppi im April seine vierte Amts­zeit bei Porto Alegre beendet hatte, kam es zu einem drei­mo­na­tigen Inter­mezzo mit Tiago Nunes. Schließ­lich über­nahm mit Luiz Felipe Sco­lari der bra­si­lia­ni­sche Welt­meis­ter­trainer von 2002.

Kurz vor Sai­son­ende ging es dann richtig rund. Marcos Herr­mann trat als Vize­prä­si­dent zurück, Vor­stands­mit­glied Denis Abrahão rückte dafür auf – und holte zu einem letzten Rund­um­schlag aus. Er warf den Profis feh­lendes Enga­ge­ment vor und strich sieben von ihnen aus dem Kader. Das Chaos im Verein war spä­tes­tens zu diesem Zeit­punkt per­fekt. Nur sinn­bild­lich: Dou­glas Costa legte sich gleich­zeitig im Internet mit den eigenen Fans an. Es war nur noch eine Frage der Zeit“, schreibt das bra­si­lia­ni­sche Fach­blatt Lance!“ über den Abstieg – und trifft den Nagel damit wohl auf den Kopf.

In einem anderen Artikel ver­öf­fent­lichte die Zeit­schrift eine offi­zi­elle Stel­lung­nahme des Ver­eins. Darin ent­schul­digt sich die Klub­spitze bei den Fans und ver­spricht eine tief­grei­fende Neu­for­mie­rung“. Gleich­zeitig heißt es: Nie­mand darf es wagen, an unserer Größe zu zwei­feln.“ Der zwei­fache Meister und drei­fache Libert­adores-Sieger zählt sich also weiter zu den Schwer­ge­wichten. Eine Selbst­ein­schät­zung, die gefähr­lich werden kann. Auch in Ham­burg hatte man bis kurz vor dem Abstieg im Jahr 2018 geglaubt, eigent­lich zu den Großen zu gehören – für irgendwas musste die His­torie schließ­lich gut sein. War sie aber nicht.