Weil Englands Trainer so gut gekleidet ist, eifern ihm die Fans nach. Und in Deutschland? Gibt es Grund zur Hoffnung.
Die deutsche Mannschaft mag mit dem WM-Aus die größte sportliche Bruchlandung seit Jahren hingelegt haben, aber für wen das Glas eher halb voll ist, der darf sich daran erfreuen, dass die Nationalelf zumindest auf nicht-sportlicher Ebene in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht hat. Nicht in Sachen Krisenmanagement oder Medienkompetenz, so viel ist klar, zumindest aber in Sachen Erscheinungsbild.
Denn auch wenn der Ausflug nach Russland eher von kurzer Dauer war, dank einer Kooperation mit einem bekannten Modemacher waren die Nationalspieler immerhin zu jeder Zeit top gekleidet. Das ist im Land der roten Reinhold-Beckmann-Jeansjacken, speckigen Udo-Latteck-Müllermilch-Käppis und Peter-Neururer-Autohaus-Ansteckpins keine Selbstverständlichkeit. Dass stilmäßig im Lager der Deutschen traditionell ein gewisser Nachholbedarf besteht, zeigt sich auch daran, dass der gute alte Vokuhila in Dänemark noch immer „Bundesliga-Haar“ genannt wird.
Althauer in Merinowolle
Ob die Kooperation einen wirtschaftlichen Effekt für den Modemacher hatte, ist derweil noch nicht überliefert. In anderen Ländern lassen sich solcherlei Phänomene aber bereits beobachten. Seit etwa Englands Nationaltrainer Gareth Southgate, der ja ohnehin eine gute Figur abgibt, seinen Business-Look an der Seitenlinie mit einer eleganten Weste über dem Hemd abrundet, ist die Nachfrage in England nach diesem prinzipiell eher randständigen Kleidungsstück um 35 Prozent angestiegen.
Das Modehaus „Marks & Spencer“, bei dem Southgates gesamter Anzug für fanfreundliche 265 Pfund zu haben ist, nennt das den Gareth-Southgate-Effekt. Noch sieht man keine in Westen gekleideten englischen Schlachtenbummler auf Russlands WM-Rängen, aber eine Rückkopplung des Southgateschen Stils auf die Stehtribünen Englands lässt sich gar nicht schnell genug herbeisehnen: stiernackige, dickbäuchige Althauer, die sich die Logos ihrer Klubs großflächig auf die speckigen Hinterköpfe tätowiert haben und dem nächstbesten armen Tropf grundlos Schläge androhen, mit biersaurem Atem, während sich die 65 Pfund teure, aus feinster Merinowolle gefertigte Weste von „Marks & Spencer“ elegant über die Wampe spannt.
Bevor sie sich dann das Blut von den Knöcheln wischen, mit dem Einstecktuch aus der gleichen Kollektion, und anschließend auf der an einer Kette befestigten Taschenuhr nachsehen, wann Anpfiff ist, oder das nächste Ackermatch, möglicherweise mit einem Monokel im Auge.
Allein die Häufigkeit, mit der Senf‑, Ketchup‑, Bier- oder eben Blutflecken auf dem gängigen Fan-Outfit, dem guten alten Trikot landen, macht die Southgate-Weste als dauerhaftes Fan-Utensil aber leider eher unwahrscheinlich. Trikots kosten ja mittlerweile ebenfalls ein kleines Vermögen, immerhin aber kann man sie einfach in der Maschine waschen, und muss sie nicht nach jedem Tragen in die Reinigung bringen.
Außerdem hat auch der Southgate-Look seine Tücken, denn obschon sein Auftreten in der Heimat mit Wohlwollen begleitet wird, waren auch leise kritische Stimmen zu vernehmen, die darauf hinwiesen, dass bei einer Weste wie Southgate sie trägt, der unterste Knopf offen zu bleiben hat. Das mag nach Erbsenzählerei klingen, aber in den entsprechenden gesellschaftlichen Kreisen ist man ruiniert, wenn die Knopf-Kniggeregeln missachtet werden. Dann lieber ein fleckiges, schweißiges Trikot, gern mit einem anzüglichen Spitznamen auf dem Rücken.
Ramen-Nudeln auf dem Kopf
Dass es auch günstiger geht, bewies vor einigen Tagen ein namenloser Neymar-Fan, der während eines Brasilien-Spiels auf der Tribüne abgelichtet wurde. Neymar trägt zu jedem Spiel eine neue Frisur, die möglichst noch extravaganter ist als die vorige. Alle drei Tage zum Edel-Friseur zu gehen, können (und wollen) sich die meisten Fans aber natürlich nicht leisten, ganz gleich, wie sehr sie ihrem Idol nachzueifern versuchen.
Besagter Fan hatte sich für die Ein-Euro-Shop-Variante von Neymars blonden Minipli-Locken entschieden und sich kurzerhand eine Portion Ramen-Nudeln mit Plastikfolie auf dem Kopf befestigt. Ob er eine Southgate-Weste dazu trug, zeigten die TV-Bilder leider nicht. Man kann es wirklich nur hoffen.
Und die Deutschen? Noch sah man keine Fans in edlen schwarzen Nationalmannschafts-Anzügen auf russischen Fanmeilen. Immerhin aber auch kaum Vokuhilas oder Beckmann-Jacken. Möglicherweise sind die Deutschen stilmäßig also im grauen Mittelfeld angekommen. Und das wäre doch ein Erfolg.