Der Profifußball glaubt, nach der Pandemie einfach weitermachen zu können wie vorher. Ein fataler Irrtum.
Dabei basierte die überbordende Geschäftstätigkeit rund um den Fußball auf der immer gewagteren Wette, dass das Stammpublikum am Ende jede kommerzielle Volte mitmachen würde. Die Stadiongänger, die Fahnenschwenker und Allesfahrer, die Fanklubvorsitzenden und Dauerkartenkäufer, sie alle sollten trotz alledem in die Stadien gehen, die Auswärtsblöcke füllen und auch die sechste Sonderedition des zweiten Ausweichtrikots kaufen. Das ging lange Zeit gut. Und wer nicht genau hinschaute, konnte die Zeichen der Krise leicht übersehen. Als die aktive Dortmunder Szene vor ein paar Jahren ankündigte, nicht zum Auswärtsspiel zum Getränkestützpunkt nach Leipzig zu fahren, und zum Fernbleiben aufrief, rissen sich andere Fans um das freigewordene Kartenkontingent. Welch anderen Schluss sollte man daraus ziehen als jenen, dass sich die Anhänger am Ende alles bieten lassen?
Dabei hatte die Entfremdung, die heute viele einstmals leidenschaftliche Anhänger ziemlich gleichgültig auf den Fußballbetrieb blicken lässt, da bereits mit Wucht eingesetzt. Und im Nachhinein schüttelt man über manche naive Projektion des Fußballbetriebs den Kopf. Etwa die lustige Vorstellung, es lasse einen normalen Schichtarbeiter kalt, in der Zeitung von einem Keeper zu lesen, der ausschließlich ein Jahresgehalt jenseits der zwanzig Millionen Euro als Anerkennung seiner Lebensleistung akzeptiert. Oder die kuriose Vorstellung, die Anhänger würden sich jedes Jahr aufs Neue wie Schneekönige auf die Bundesliga freuen, obwohl kein Drittklässler jemals einen anderen Deutschen Meister kennengelernt hat als den FC Bayern. Und schließlich die gänzlich absurde Vorstellung, es wäre den Fußballfans am Ende doch egal, dass nicht ein einziges WM-Turnier der letzten Jahrzehnte ohne Schmiergeldzahlungen vergeben wurde. Und all das, während sich der europäische Spitzenfußball zugleich als Hort der Fairness, der Völkerverständigung und der prickelnden Hochglanzunterhaltung verkaufte.
Wer also ernsthaft daran interessiert ist, den Fußball zu reformieren, muss sich fragen, wie diese Kluft zwischen den Zuschauern und dem Fußballbetrieb wieder zu verkleinern ist. Ganz zu schließen ist sie nicht und sollte sie auch nicht sein. Schließlich entsteht auch durch die Reibung der Anhänger an den Zumutungen des Profifußballs, aus der Opposition gegen zu viel Kommerz, die notwendige Hitze, um Kultur zu schaffen. Zu groß darf die Kluft aber eben auch nicht werden, weil dann die Bindung reißt, die Beziehung keinen Sinn mehr gibt und ergibt. Nur wenn Anhänger den Eindruck haben, dass sie gebraucht werden, dass ihre Stimmen zählen, dass sie gehört werden und dass sie nicht nur benötigt werden, damit das Stadion im Fernsehen gut aussieht, dann werden sie sich weiter engagieren, Dauerkarten kaufen und Fahnen schwenken.
Es braucht, um es radikal zu formulieren, ein neues Verhältnis zwischen den Anhängern und den Vereinen, den Common Sense, elementar aufeinander angewiesen zu sein und einander auf Augenhöhe zu begegnen. Das bedeutet einen oft anstrengenden Dialog, das bedeutet konträre Ansichten und Bedürfnisse. Ein auf diese Weise neu justiertes Verhältnis ist jedoch zugleich die einzige Chance, gestärkt aus dieser Krise herauszugehen. Jetzt ist die Möglichkeit, mit all den Beteiligten des Fußballs, der zugleich Volkssport, Entertainment, Kultur und knallhartes Geschäft ist, zu verhandeln – mit klarer Sicht auf die Deformationen des Geschäfts, aber auch mit anerkennendem Blick auf das, was in den letzten beiden Jahrzehnten aufgebaut worden ist.
Denn das ist eine Angst vieler Funktionäre, die zunächst entkräftet werden muss und kann. Ziel kann keine Kulturrevolution sein, keine mutwillige Zerstörung wirtschaftlicher Strukturen. Dafür arbeiten im Profifußball inzwischen viel zu viele Menschen, dafür sind die Klubs viel zu wichtig für ihre Städte und Regionen. Aber es kann eben auch nicht nur um Lippenbekenntnisse gehen, um mal schnell hingeworfene Bekundungen, nun aber das Ohr noch näher am Volksmund zu haben. Eine selbstbewusste Fankultur als elementaren Teil des Fußballbetriebs anzuerkennen, ist kein Statement, sondern ein Prozess. Und genauso ist die Erkenntnis, dass immer absurdere Spielergehälter dem Publikum nicht mehr vermittelbar sind, nicht allzu viel wert, wenn ihr nicht verbindliche Regeln und Beschlüsse folgen.
Und all das kann natürlich auch nicht auf Deutschland beschränkt bleiben. Wer im Profifußball etwas verändern will, muss global, mindestens aber europäisch denken und handeln. Wenn die Premier League, die Serie A oder die spanische Liga weiterhin Mondgehälter zahlen, wird eine Gehaltsbremse in Deutschland nur dazu führen, dass noch mehr junge Talente ins Ausland wechseln. Zugleich bedeutet europäisches Denken aber auch, vorangehen zu können. Die Bundesliga gilt als fanfreundlichste der großen Ligen. Die Stehplatzareale machen viele Engländer blass vor Neid. Nun kann sie den anderen großen Ligen vormachen, dass sie noch viel mehr kann, dass sie Wirtschaft und Kultur versöhnen kann, dass sie vorausschauend plant, dass sie ein moralisches Geländer hat. Vor allem aber muss sie zeigen, dass sie die Anhänger ernst nimmt. Das ist ein großer Schritt. Aber sie muss ihn jetzt gehen.