Der Profifußball glaubt, nach der Pandemie einfach weitermachen zu können wie vorher. Ein fataler Irrtum.
Nun fordern inzwischen viele einen Kulturwandel im Spitzenfußball. Und einige, die gerade versuchen, sich mit Verve an die Spitze der Reformbewegung zu setzen, tun dies, damit sie dort kräftig auf die Bremse steigen können. Wenn der Weltverband FIFA verkündet, er kämpfe mit Online-Diskussionen für einen „noch besseren Fußball“, dann genügt ein Blick auf den Unterzeichner des einschlägigen Briefes an die Mitgliedsverbände. Verfasst und signiert wurde der nämlich von Präsident Gianni Infantino, der in den letzten Jahren so ziemlich jede Anstrengung unternommen hat, zu persönlichem Vorteil das Tafelsilber der FIFA-Turniere und TV-Rechte meistbietend zu verhökern. Welches Damaskuserlebnis dem Präsidenten wohl widerfahren ist, dass künftig nicht mehr der schnöde Mammon im Zentrum all seines Strebens steht?
Nein, die Revolution im Weltfußball wird nicht von Zürich ausgehen und auch nicht von der Otto-Fleck-Schneise in Frankfurt. Das muss sie auch nicht, denn bei Licht besehen fordert niemand, der ernsthaft an Verbesserungen interessiert ist, die umfassende Abkehr vom gegenwärtigen Geschäftsprinzip. Schon gar nicht die aktiven Fanszenen übrigens, denen ja gern in oft stumpfer Diktion vorgeworfen wird, sie wollten zu Holztribünen, Baumwolltrikots und aufgepumpten Schweineblasen zurück. Wer jedoch das studierte, was die Kurven seit Jahr und Tag fordern, konnte dort einiges entdecken, was in diesen Wochen und Monaten als brandaktuelle Forderung durch die Medien gereicht wird. Und dabei geht es keinesfalls um das Dauerthema Pyrotechnik, sondern um die Frage nach der grundsätzlichen Systematik des Profifußballs hierzulande und in Europa.
Die Fanszenen haben beharrlich darauf hingewiesen, dass der Fußball in den letzten Jahrzehnten eine für den Sport, seine Kultur und seine Wirtschaft schädliche Gewichtsverlagerung vorgenommen hat. Die enormen Summen, die der Fußball durch globale TV-Rechte erlösen konnte, haben dazu geführt, dass bei der Gestaltung des Spielbetriebs nahezu ausschließlich auf die Interessen und Bedürfnisse der Zuschauer vor den Fernsehern Rücksicht genommen wurde. Die heutige Fächerung des Fußballbetriebs über die ganze Woche folgt der Erkenntnis, dass mehr Spiele auch neue Sendeplätze und in der Konsequenz deutlich mehr Geld bedeuten.
Ob Fans auch nur ansatzweise Lust haben, am Montagabend oder Sonntagmittag ins Stadion zu gehen, war da stets Nebensache. Die Hauptsache war, diesen gefräßigen Betrieb zu füttern, mehr noch, ihn immer größer werden zu lassen. Nicht zufällig wurden auch in der Bundesliga auf den Jahreshauptversammlungen immer neue Umsatzrekorde und erlöste Transfermillionen mindestens ebenso stolz präsentiert wie errungene Pokale. Wer’s nicht glaubt, sichte noch einmal die Jubelmeldungen aus dem Januar 2019, als Christian Pulisic von Borussia Dortmund für über 60 Millionen Euro an den FC Chelsea verkauft wurde. So freudestrahlende Mienen sah man beim BVB zuletzt nach der ersten Meisterschaft unter Jürgen Klopp. Fast überraschend, dass die dazugehörigen Geldkoffer nicht auch noch im offenen Wagen um den Borsigplatz gefahren wurden.
Die Suche nach immer neuen Erlösquellen war das Mantra der letzten Jahrzehnte. Wer findig war, wer neue Geschäftsfelder entdeckte – und sei es nur das, auch noch den Einlaufkindern ein Preisschild umzuhängen –, und wer damit auch noch durchkam, dem wurde auf einschlägigen Sportbusinesskongressen anerkennend auf die Schulter gehauen und ehrfurchtsvoll zugenickt, wenn er weltmännisch über Audience Flow, Customer Journey und die anstehende Eroberung südostasiatischer Märkte parlierte.