Weil der Fußball eine einzige Ungerechtigkeit ist, verliert Eintracht Frankfurt seine besten Spieler. Für unseren Autor, der seine Neffen gerade mit der SGE anfixt, ein echtes Problem. Denn der nächsten Fangeneration droht ein neues Trauma.
Meinen Neffen die Liebe zu Eintracht Frankfurt zu vermitteln, ist harte Arbeit, aber es gibt diverse Dinge, die ihren Teil dazu beitragen, dass ich die Fackel erfolgreich weiterreichen kann. Schamlos überverkaufte Heldensagen aus der Vergangenheit. Taktisch clever eingesetzte Geschenke. Das Panini-artige Klebeheftchen vom Supermarkt. Nach einigen Jahren intensivster Beschäftigung mit dem Projekt Fanwerdung kann ich aber sagen: Zentral bei dessen Gelingen sind geile Spieler.
Als ich in dem Alter war, in dem meine Neffen jetzt sind, und mein Onkel jene Aufgabe übernahm, die ich nun als die meine verstehe, waren diese geilen Spieler Tony Yeboah, Uwe Bein und Jay-Jay Okocha. Ich verliebte mich schnell und heftig, das erste Trikot und der erste Stadionbesuch trugen ihren Teil dazu bei, auch dass wir im Auto Fanlieder sangen. Dann kam ein wütender Mann aus Mönchengladbach, dessen vor Anspannung roter Kopf mehr zu sein schien als das Ergebnis schnöden Bluthochdrucks, eher eine Art Lebenseinstellung, und die Dinge gingen den Bach runter. Und mir dämmerte, dass der Fußball, wenn man nicht gerade Bayern-Fan war, zu weiten Teilen aus Enttäuschung bestehen würde. Yeboah, Bein und Jay-Jay waren weg, und sie würden nicht wieder kommen.
Der aufregendste Dreiersturm seit Balakov/Bobic/Elber
Nur, naja, irgendwie doch. Auch wenn es fast ein Vierteljahrhundert dauerte, aber in den letzten beiden Jahren bekam die Eintracht relativ plötzlich und über wundersame und verschlungene Wege auf einmal wieder eine Top-Mannschaft zusammen. Der Pokalsieg, das Halbfinale im Europacup, über 50 Pflichtspieltore von Luka Jovic, Ante Rebic und Sebastien Haller, dem wahrscheinlich aufregendsten Dreiersturm, den die Liga seit Balakov/Bobic/Elber gesehen hatte. Von der Büffelherde war die Rede, für mich waren die drei vor allem ein Ass im Ärmel. Die Anrufe meiner Neffen, die das Handy meiner Schwester zu bedienen gelernt hatten, häuften sich. Die Themen waren meist die gleichen: Jovic, Haller, Rebic und wie sie sich so schlugen, auf dem Platz und auch im Klebeheftchen. An beiden Fronten waren die Ergebnisse sehr gut.
Ich sehe meine Neffen in regelmäßigen, wenn auch zu großen Abständen. Beim letzten Treffen hatte der größere von beiden noch am Wechsel Luka Jovics zu knabbern, den er beim Treffen zuvor mit salbungsvollen Worten zu seinem Lieblingsspieler erklärt hatte. Dass Jovic ja zu Real Madrid gewechselt sei, erklärte er mir in ernstem Ton. Und dass das sehr traurig sei. Mit beidem hatte er Recht, aber wir verständigten uns darauf, dass es noch andere, ebenfalls tolle Spieler gibt. Dass dann eben Sebastien Haller nun sein neuer Lieblingsspieler sei, sagte er trotzig. Jagut, äh.
LIeblingsspieler zu haben ist wie ein Haustier zu besitzen
Da schwante mir schon Böses. Denn eine zentrale Wahrheit über den Fußball habe ich meinen Neffen bislang verschwiegen. Nämlich dass er ein mieser Verräter ist. Man hängt sein Herz an einen Klub und kriegt zumeist nur Nackenschläge zurück. Schäbige Nullzunulls in Bielelfeld oder sonstwo. Die erneut vergeigte Europacup-Teilnahme. Das auch in dieser Höhe verdiente 0:4. Michael Skibbe. Abstiege. Meppen. Oder eben auch der Abschied von Yeboah oder Jovic, Okocha oder Haller, Bein oder Rebic oder wer immer es sein mag. Als Kind einen Lieblingsspieler zu haben, ist wie als Kind ein Haustier zu besitzen. Alles ist schön und toll, aber dann ist er irgendwann einfach weg, ohne dass man richtig versteht, warum. Und es tut verdammt weh.
Für 2019 gilt das wahrscheinlich noch mehr als für 1994. Damals hatte das Elend zumindest das hochrote, angestrengt blickende Gesicht von Jupp Heynckes. Heute ist es irgendein West Ham oder Watford oder Bournemouth, das einfach das Scheckbuch zückt und dir die besten Leute wegholt. Real kann man einem Neunjährigen ja noch als Erfolg verkaufen, aber fucking West Ham? Deren letzter Titel war der UEFA Intertoto Cup 1999. Irgendetwas ist da doch sehr aus dem Gleichgewicht geraten.
Wahrscheinlich ist das eine neue, unangenehme, zentrale Wahrheit über den Fußball: Dass dir irgendwelche Fantasieklubs überlegen sind, weil der Scheich/Oligarch/Vampir, der sie besitzt, hochlukrativ angereichertes Uran verkauft oder Waffen oder Soilent Grün und mit der Kohle dann machen kann, was er will. Zum Beispiel deinen Lieblingsklub fleddern und im Handumdrehen ein ganzes Klebeheftchen zu einer Art Mausoleum machen, über dem die Neffen traurig brüten. Denn wenn es blöd läuft, wiederholt sich die Geschichte und die nächste Eintracht-Mannschaft, die zu Höherem berufen schien, bricht auseinander. Neue Fan-Generation, neues Trauma.
Bald ist nur noch Marco Russ da
Immerhin gibt es Schmerzensgeld, und davon nicht wenig. Und Kids sind ja leicht zu begeistern, der nächste Spieler, der für die SGE halb geradeauslaufen kann, wird eiskalt zum Superstar hochgejazzt, und wenn ich dafür ein eigenes Klebeheftchen auf den Markt bringen muss. Aber mir schwant, dass meinen Neffen schwant, dass eben doch nicht alles Ponyhof und Büffelherde ist. Sie werden älter und klüger, bald verstehen sie vielleicht die Lebensdramatik eines uneingelösten Fußballversprechens, an das du dich als Kind geklammert hast, und dass die verdammten Großen die Kleineren fressen. Und mit ein wenig Pech ereilt sie diese Einsicht im herbstlichen Nieselregen in Meppen oder Bielefeld, während sie ein auch in dieser Höhe verdientes 0:4 der Eintracht sehen. Ihr anderer Onkel ist Dortmund-Anhänger, es war ein zähes Ringen. Hätte ich es kampflos aufgeben sollen, quasi im Sinne des Kindeswohls?
Jovic weg, Haller weg, bald ist nur noch Marco Russ da, wenn es so weitergeht. Aber dann weiß ich wenigstens, welcher Trikotflock auf das Weihnachtsgeschenk kommt.