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Seite 2: „Das ist eine kleine Genugtuung“

Sie haben Ihr Magazin nach 99 Aus­gaben ein­ge­stellt. Ein letztes State­ment gegen die Opti­mie­rung und die Per­fek­tion?
Ich habe es schon vorher in einer Rund­mail an unsere Autorinnen und Autoren for­mu­liert: Wir hören bei Nummer 99 auf, eine Jubi­lä­ums­aus­gabe 100 wird es nicht geben. (Lacht.) Nach außen hat das natür­lich über­haupt keine Wir­kung, aber nach innen ver­schafft es eine kleine Genug­tuung.

Woher kommt Ihre Ableh­nung des Eta­blierten und Prä­ten­tiösen?
Ableh­nung würde ich es nicht nennen. Ein schönes Fremd­wort, das hier passt, ist Idio­syn­krasie. Mich inter­es­sieren mehr das Unge­wöhn­liche, die Ecken, die Kanten. Dinge, die man nicht sofort sieht. Ich mag Free­jazz, Impro­vi­sa­tion.

Refle­xionen über Fuß­ball? Fuß­ball­kritik? Ich will, dass mein Verein gewinnt!“

1995, als die erste Aus­gabe des Töd­li­chen Pass“ erschien, gab es kaum deutsch­spra­chige Fuß­ball­ma­ga­zine. Woran haben Sie sich ori­en­tiert?
Einige Autoren — etwa von der Süd­deut­schen Zei­tung“ — haben schon damals anders über Fuß­ball berichtet. Sie haben Geschichten erzählt, den Fuß­ball sozio­kul­tu­rell begriffen, sie waren nah am Feuil­leton. Auch die Bei­träge von Radio­re­porter Gün­ther Koch gefielen uns gut. Keine tro­ckene 1:0‑Berichterstattung, aber auch kein hys­te­ri­sches ran“-Gekreische. Er hat es wie kein anderer geschafft, die beson­dere Atmo­sphäre eines Fuß­ball­spiels wie­der­zu­geben.

Waren auch Fan­zines Inspi­ra­tion für den Töd­li­chen Pass“?
Die Initi­al­zün­dung für den Pass“ hatte ich in einer Lon­doner Sport­buch­hand­lung. Dort fand ich zwei Maga­zin­ständer, die voll beladen waren mit Fuß­ball-Fan­zines. Wahn­sinn, dachte ich, was da für eine Liebe und auch Können rein­ge­steckt wird. Ich dachte, viel­leicht könnte man den Spagat zwi­schen Fuß­ball-Fan­zine und aka­de­mi­scher Vier­tel­jah­res­schrift hin­be­kommen.

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Magazin zur näheren Betrach­tung des Fuß­ball­spiels”, unter­ti­telten Stefan Erhardt und seine zwei Co-Her­aus­geber ihren Töd­li­chen Pass“. Hier Aus­gabe 15, Februar 1999.

Und der Name war eine iro­ni­sche Anspie­lung auf die Sprache der Fuß­ball­be­richt­erstat­tung?
Dieses Rei­ße­ri­sche! Ein Pass, der zum Tor führte, wurde zu einem töd­li­chen Pass“ sti­li­siert. Wir wollten dem Fuß­ball auch aufs Maul schauen. Seine Sprache ana­ly­sieren. Flos­keln wie Ein Star wird geboren“ hin­ter­fragen. Es ging uns um Fuß­ball­kritik. So war auch der Titel eines Buches, das wir her­aus­ge­geben haben.

Mit einem Begriff wie Fuß­ball­kritik“ erreicht man nicht unbe­dingt ein Mas­sen­pu­blikum.
Wobei da oft ein Miss­ver­ständnis vor­herrscht: Eine kri­ti­sche Aus­ein­an­der­set­zung mit einem Thema bedeutet nicht, dass man es per se schlecht findet. Es geht um Refle­xion. Aber klar, wir wussten natür­lich, dass wir mit unserem Ansatz eine Außen­sei­ter­po­si­tion ein­nehmen würden. Als wir unsere ersten Aus­gaben vor dem Sta­dion ver­kauften, war die Reak­tion oft: Refle­xionen über Fuß­ball? Fuß­ball­kritik? Ich will, dass mein Verein gewinnt!“ Ich erin­nere mich auch an eine Lesung, auf der wir gefragt wurden, warum wir über Fuß­ball schreiben, wenn wir ihn doch nur kri­ti­sieren. Muss man das alles auf­schreiben? Muss man nicht, haben wir gesagt, aber es macht uns halt Spaß.

Die aka­de­mi­sche Annä­he­rung an den Fuß­ball wurde in der Kurve lange abge­lehnt. In Ros­tock hing mal ein Banner der Ultras: Fuß­ball leben statt stu­dieren, 11FREUNDE boy­kot­tieren.“
In den Sieb­zi­gern war es eher so, dass unter Linken oder Intel­lek­tu­ellen kaum über Fuß­ball nach­ge­dacht wurde. Er war ein Proll­sport, ver­pönt, banal.

Immerhin gibt es bekannte Bon­mots von Camus oder Sartre zum Thema. Auch Adorno hat sich über Mas­sen­phä­no­mene wie die Fuß­ball-WM geäu­ßert.
Geschlos­sene Fuß­ball­texte von diesen Autoren sind mir aber nicht bekannt. In den Neun­zi­gern änderte sich das langsam, an Uni­ver­si­täten wurden bestimmte Fuß­ball­phä­no­mene unter­sucht, und heute ist es voll­kommen normal. Man bekennt sich offensiv zum Fuß­ball: Poli­tiker, Kul­tur­schaf­fende, Intel­lek­tu­elle. Vor einigen Jahren erschien im Suhr­kamp Verlag ein Buch über das Ver­hältnis von Fuß­ball und Macht. Das wäre vor 30 Jahren völlig undenkbar gewesen. Fuß­ball im Suhr­kamp-Verlag!

Mit-Her­aus­geber Johannes John schrieb in einer Aus­gabe über die Erotik des Fuß­balls: Diesen Zusam­men­hang von Erre­gung und Ennui hat keine Wen­dung besser in Worte gefasst als jenes aris­to­te­li­sche omne animal post coitum triste‘, an das uns Ecos Name der Rose‘ wieder erin­nert hat; ebenso prä­gnant ist ja die Formel vom großen Tod‚.„
Ja.

Haben Sie in den 25 Jahren je dar­über nach­ge­dacht, sich einem grö­ßeren Markt zu öffnen, etwa durch eine leich­tere Sprache oder neue Ver­triebs­wege?
Das Heft haben wir anfangs über Hand­ver­kauf und klei­nere Buch­hand­lungen selbst ver­trieben. 2006 sind wir für ein Jahr an Bahn­hofs­ki­oske gegangen, aber das hat sich nicht gelohnt. Wer­bung hatten wir in 99 Aus­gaben viel­leicht 20 Seiten. Die Auf­lage lag zwi­schen 400 und 1000. Nein, den Schritt hinaus aus der Nische haben wir nie gewagt. Wir hatten ja andere Berufe und konnten nicht mal Hono­rare zahlen. Im Gegen­teil. Einige unserer Autoren waren Abon­nenten.

Und die Sprache blieb absicht­lich sperrig?
Einmal schrieb ein Leser: Ich ver­stehe eure Texte oft beim ersten Mal nicht, also lese ich sie zweimal.“ Das war ein schönes Lob.