1995 gründeten drei Fans aus München das Fußballmagazin „Der tödliche Pass“. Es war kritisch, klug und manchmal unverständlich. Dieses Jahr stellten die Macher das Magazin ein. Dabei wäre es heute wichtiger denn je.
Sie haben Ihr Magazin nach 99 Ausgaben eingestellt. Ein letztes Statement gegen die Optimierung und die Perfektion?
Ich habe es schon vorher in einer Rundmail an unsere Autorinnen und Autoren formuliert: Wir hören bei Nummer 99 auf, eine Jubiläumsausgabe 100 wird es nicht geben. (Lacht.) Nach außen hat das natürlich überhaupt keine Wirkung, aber nach innen verschafft es eine kleine Genugtuung.
Woher kommt Ihre Ablehnung des Etablierten und Prätentiösen?
Ablehnung würde ich es nicht nennen. Ein schönes Fremdwort, das hier passt, ist Idiosynkrasie. Mich interessieren mehr das Ungewöhnliche, die Ecken, die Kanten. Dinge, die man nicht sofort sieht. Ich mag Freejazz, Improvisation.
„Reflexionen über Fußball? Fußballkritik? Ich will, dass mein Verein gewinnt!“
1995, als die erste Ausgabe des „Tödlichen Pass“ erschien, gab es kaum deutschsprachige Fußballmagazine. Woran haben Sie sich orientiert?
Einige Autoren — etwa von der „Süddeutschen Zeitung“ — haben schon damals anders über Fußball berichtet. Sie haben Geschichten erzählt, den Fußball soziokulturell begriffen, sie waren nah am Feuilleton. Auch die Beiträge von Radioreporter Günther Koch gefielen uns gut. Keine trockene 1:0‑Berichterstattung, aber auch kein hysterisches „ran“-Gekreische. Er hat es wie kein anderer geschafft, die besondere Atmosphäre eines Fußballspiels wiederzugeben.
Waren auch Fanzines Inspiration für den „Tödlichen Pass“?
Die Initialzündung für den „Pass“ hatte ich in einer Londoner Sportbuchhandlung. Dort fand ich zwei Magazinständer, die voll beladen waren mit Fußball-Fanzines. Wahnsinn, dachte ich, was da für eine Liebe und auch Können reingesteckt wird. Ich dachte, vielleicht könnte man den Spagat zwischen Fußball-Fanzine und akademischer Vierteljahresschrift hinbekommen.
Und der Name war eine ironische Anspielung auf die Sprache der Fußballberichterstattung?
Dieses Reißerische! Ein Pass, der zum Tor führte, wurde zu einem „tödlichen Pass“ stilisiert. Wir wollten dem Fußball auch aufs Maul schauen. Seine Sprache analysieren. Floskeln wie „Ein Star wird geboren“ hinterfragen. Es ging uns um Fußballkritik. So war auch der Titel eines Buches, das wir herausgegeben haben.
Mit einem Begriff wie „Fußballkritik“ erreicht man nicht unbedingt ein Massenpublikum.
Wobei da oft ein Missverständnis vorherrscht: Eine kritische Auseinandersetzung mit einem Thema bedeutet nicht, dass man es per se schlecht findet. Es geht um Reflexion. Aber klar, wir wussten natürlich, dass wir mit unserem Ansatz eine Außenseiterposition einnehmen würden. Als wir unsere ersten Ausgaben vor dem Stadion verkauften, war die Reaktion oft: „Reflexionen über Fußball? Fußballkritik? Ich will, dass mein Verein gewinnt!“ Ich erinnere mich auch an eine Lesung, auf der wir gefragt wurden, warum wir über Fußball schreiben, wenn wir ihn doch nur kritisieren. Muss man das alles aufschreiben? Muss man nicht, haben wir gesagt, aber es macht uns halt Spaß.
Die akademische Annäherung an den Fußball wurde in der Kurve lange abgelehnt. In Rostock hing mal ein Banner der Ultras: „Fußball leben statt studieren, 11FREUNDE boykottieren.“
In den Siebzigern war es eher so, dass unter Linken oder Intellektuellen kaum über Fußball nachgedacht wurde. Er war ein Prollsport, verpönt, banal.
Immerhin gibt es bekannte Bonmots von Camus oder Sartre zum Thema. Auch Adorno hat sich über Massenphänomene wie die Fußball-WM geäußert.
Geschlossene Fußballtexte von diesen Autoren sind mir aber nicht bekannt. In den Neunzigern änderte sich das langsam, an Universitäten wurden bestimmte Fußballphänomene untersucht, und heute ist es vollkommen normal. Man bekennt sich offensiv zum Fußball: Politiker, Kulturschaffende, Intellektuelle. Vor einigen Jahren erschien im Suhrkamp Verlag ein Buch über das Verhältnis von Fußball und Macht. Das wäre vor 30 Jahren völlig undenkbar gewesen. Fußball im Suhrkamp-Verlag!
Mit-Herausgeber Johannes John schrieb in einer Ausgabe über die Erotik des Fußballs: „Diesen Zusammenhang von Erregung und Ennui hat keine Wendung besser in Worte gefasst als jenes aristotelische ‚omne animal post coitum triste‘, an das uns Ecos ‚Name der Rose‘ wieder erinnert hat; ebenso prägnant ist ja die Formel vom ‚großen Tod‚.„
Ja.
Haben Sie in den 25 Jahren je darüber nachgedacht, sich einem größeren Markt zu öffnen, etwa durch eine leichtere Sprache oder neue Vertriebswege?
Das Heft haben wir anfangs über Handverkauf und kleinere Buchhandlungen selbst vertrieben. 2006 sind wir für ein Jahr an Bahnhofskioske gegangen, aber das hat sich nicht gelohnt. Werbung hatten wir in 99 Ausgaben vielleicht 20 Seiten. Die Auflage lag zwischen 400 und 1000. Nein, den Schritt hinaus aus der Nische haben wir nie gewagt. Wir hatten ja andere Berufe und konnten nicht mal Honorare zahlen. Im Gegenteil. Einige unserer Autoren waren Abonnenten.
Und die Sprache blieb absichtlich sperrig?
Einmal schrieb ein Leser: „Ich verstehe eure Texte oft beim ersten Mal nicht, also lese ich sie zweimal.“ Das war ein schönes Lob.