1995 gründeten drei Fans aus München das Fußballmagazin „Der tödliche Pass“. Es war kritisch, klug und manchmal unverständlich. Dieses Jahr stellten die Macher das Magazin ein. Dabei wäre es heute wichtiger denn je.
Die meisten Texte im „Tödlichen Pass“ waren Essays, Rezensionen, Glossen, Kolumnen. Hätten Sie sich gerne mal kritisch mit einem sogenannten Fußballstar unterhalten?
Ich hätte mich gerne mit Peter Handke getroffen. Der ist nicht unbedingt Fußballfan, aber in seinem Werk spielt Fußball manchmal eine Rolle.
Hätte nicht jemand wie der argentinische Ex-Profi Jorge Valdano gut ins Heft gepasst? Er ist Buchautor und gibt Erzählungen heraus. Kaum jemand schreibt so poetisch über Fußball wie er.
Klar. Aber wir hatten nie die journalistische Relevanz, um überhaupt solche Anfragen stellen zu können. Einmal bekam allerdings unser Layouter Tim Oehler die Möglichkeit, Martin Kind zu interviewen. Es war ein wirklich tolles Gespräch, offen und ehrlich, auch Privates kam zur Sprache. Wir schickten es der Medienabteilung von Hannover 96 zur Autorisierung zu — und bekamen ein ganz anderes Interview zurück. Nun las es sich stinknormal, wie jedes andere Interview mit einem Fußballfunktionär. Wir haben es trotzdem abgedruckt, mit einem Kommentar, in dem wir die Entstehungsgeschichte erklärt haben.
„Ich fand diese übermäßige Abneigung des Gegners oft befremdlich“
Wie stand der „Tödliche Pass“ eigentlich zu Fußballfans?
Ich war und bin kein regelmäßiger Stadionbesucher, was an meinen Eltern liegt, die mich als Kind von Frankfurt nach Oberbayern verschleppt haben. Dort war die große Frage: Bayern oder Gladbach? Ich sagte: Eintracht! Heute lebe ich in München, und wenn Frankfurt früher in Unterhaching gespielt hat, bin ich gerne hingegangen. Dort war alles sehr klein und familiär, und ich konnte Thorsten Legat so lange von der Seite zurufen, dass sie mehr über außen spielen sollen, bis er genervt zu mir geschaut hat.
Fast zeitgleich mit dem „Tödlichen Pass“ kamen die Ultras in Deutschland auf — und formulierten eine ähnliche Kritik wie Sie.
Allerdings fand ich diese übermäßige Abneigung des Gegners oft befremdlich. Fans, die andere Fans anspucken, weil sie einen anderen Schal haben. Oder die Gewalt. Das ist mir vollkommen unverständlich. Andererseits, die farbenfrohen Choreografien der Frankfurter Ultras im Europapokal fand ich beeindruckend. Und es stimmt, in einigen Punkten sind wir uns gar nicht so fern. Die Kritik der Ultras an der Kommerzialisierung oder den Verbänden haben wir stets wohlwollend verfolgt.
Ist also ein richtiger Fußball im falschen möglich?
Es gibt ja nicht nur den einen Fußball. Ich finde etwa den AFC Wimbledon auch spannend, ein Verein, der von Fans gegründet wurde, nachdem ihr alter Verein in eine Retortenstadt verlegt wurde. Trotzdem dürfen wir uns keine Illusionen machen: Die Ultras, die Fans aus Wimbledon, der „Tödliche Pass“ — wir alle sind oder waren Teil der Show und des Geschäfts. Aber das ist okay, solange wir kritisch darauf schauen und etwas abseits stehen.
Stefan Erhardt, sind Sie ein Fußballromantiker?
Ich mag den alten Fußball und denke gerne an tolle Eintracht-Spieler wie Jürgen Grabowski, Uwe Bein oder Jay-Jay Okocha. Aber ich gucke mir auch heute Fußball an. Momentan interessiert mich die Psychologie des Zusammenspiels. Wie hat sich etwa die Eintracht-Mannschaft verändert, seit Luka Jovic wieder da ist? Filip Kostic hat die Rückkehr offenbar sehr beflügelt. Ich glaube, eine Männerfreundschaft im Fußball ist viel wichtiger, als wir bislang angenommen haben.