Seit neun Monaten ist im Fußball nichts mehr wie es war. Durch das Corona-Virus wurden Turniere verschoben, Ligen unter- und abgebrochen und die Zuschauer von den Stadien ausgesperrt. Eines ist klar: Die Rolle von König Fußball hat sich verändert.
Den ersten Auftritt im europäischen Fußball hat das Coronavirus beim Champions-League-Achtelfinale zwischen Atalanta Bergamo und Valencia. In den Tagen nach dem Spiel wird die Stadt in Norditalien zum europäischen Corona-Hotspot. Von vielen wird ein Zusammenhang zwischen dem Spiel und dem Ausbruch vermutet, es wird bekannt als das „Game Zero“.
Anfang März erreicht die Viruspandemie Deutschland und damit auch die Bundesliga. In den Stadien werden als Reaktion zunächst Hinweisschilder und Desinfektionsmittel angebracht, um bessere Hygiene zu gewährleisten.
Während in der Schweiz die Liga schon Ende Februar abgebrochen wird, wird in der Bundesliga bis Mitte März gespielt. Beim letzten Spiel vor Zuschauern am 9. März sind in den Fankurven noch ganz andere Themen präsent.
Für den nächsten Bundesliga-Spieltag eine Woche später stehen da bereits Geisterspiele im Raum. Manche Vereine wehren sich noch dagegen. „Ich gehe davon aus, dass kein Grund besteht, das Spiel ohne Zuschauer stattfinden zu lassen“, erklärt der Union-Präsident Dirk Zingler etwa vor dem Spiel der Eisernen gegen den FC Bayern München.
Am Mittwoch, dem 11. März kommt es zum ersten Geisterspiel der Bundesliga-Geschichte. Nach dem Spiel versammeln sich Gladbach-Fans vor dem Stadion, um mit den Spielern den Sieg zu feiern. Die Szene wird in der Folge zum Schreckensgespenst der Politik, wenn es um den Restart geht.
Einen Tag später, am Donnerstag, spielt Bayer 04 Leverkusen in der Europa League in Glasgow, hunderte Leverkusener sind im Gästeblock dabei. Es wird für längere Zeit die letzte Auswärtsreise bleiben.
Während auch aus der Politik immer häufiger eine Unterbrechung der Bundesliga gefordert wird, begrüßt Bayerns Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge am Freitag, dass gespielt wird. Und nennt dafür klare Gründe: „Es geht am Ende des Tages um Finanzen und um eine hohe Zahlung der TV-Broadcaster an die Vereine, die noch aussteht.“
Ausgerechnet Bayerns Mittelfeldspieler Thiago konterkariert am gleichen Tag auf Twitter die Aussagen seines Vereinsvorsitzenden: „Das ist verrückt. Hört auf, herumzuspielen und landet in der Realität. Seien wir ehrlich, es gibt viel wichtigere Dinge als den Sport“, empört sich der Spanier in den Sozialen Medien.
Ebenfalls am gleichen Tag wird gemeldet, dass sich Fabian Nürnberger vom 1. FC Nürnberg mit dem Corona-Virus infiziert hat, nachdem vorher schon die Mannschaft von Hannover 96 wegen Corona-Fällen in Quarantäne musste. Die DFL entscheidet sich schließlich doch noch – als letzte große Liga in Europa – den Spieltag abzusagen und die Liga bis auf weiteres zu unterbrechen.
Während eines Auftritts in der Sportschau fordert Hans-Joachim Watzke, dass die Bundesliga alsbald wie möglich fortgesetzt werden sollte. Solidarfonds für finanziell angeschlagene Klubs lehnt er kategorisch ab. In der Öffentlichkeit nicht gut an. Davon sind die Verantwortlichen überrascht, wenig später entschuldigt sich Watzke für die Aussagen. Er „hätte es freundlicher und empathischer ausdrücken können. Mea culpa!“ Langsam wird klar, dass der Fußball im Angesicht einer weltweiten Krise keine Sonderrolle zugesprochen werden könnte.
Danach folgen mehrere Sitzungen der Vereinsfunktionäre, in der über das weitere Vorgehen diskutiert wird. DFL-Geschäftsführer Christian Seifert gibt sich demütig, wirbt aber für einen schnellen Restart der Bundesliga: „Ohne Geisterspiele wird es keine 18 Profiklubs geben“, warnt er noch im März.
Die aktiven Fanszenen der Vereine starten währenddessen Hilfsaktionen und zeigen sich – wie hier die Fans des SV Darmstadt 98 mit einem Spruchband vor einem Krankenhaus – solidarisch mit besonders belasteten Berufsgruppen.
Solidarität gibt es auch von Seiten der Profispieler: Leon Goretzka und Joshua Kimmich starten am 20. März die Spendenaktion „We Kick Corona“ und steuern aus eigener Tasche eine Million Euro für Hilfsprojekte bei.
Der Spielbetrieb ruht mittlerweile in ganz Europa – mit Ausnahme von Belarus, deren Liga mit dem Segen von Dikator Lukaschenko sogar vor Zuschauern startet.
Schon Ende März wird beim VfL Wolfsburg wieder trainiert – wenn auch noch in Kleingruppen und mit wenig Körperkontakt. „Aktuell ist der Stand, dass ab dem 2. April wieder gespielt wird. Auch wenn das unrealistisch scheint, müssen wir es annehmen und uns darauf einstellen“, erklärt Geschäftsführer Jörg Schmadtke die Entscheidung.
Ex-Nationaltorhüter Jens Lehmann sorgt im April mit ungewöhnlichen Ansichten zum Virus für Aufsehen: „Wir haben einige Spieler, die infiziert waren und die meisten haben nicht mal Symptome gezeigt. Deswegen denke ich, für junge, gesunde Menschen mit einem starken Immunsystem ist das nicht so bedenklich.“ So das Aufsichtsratsmitglied von Hertha BSC. Zudem fragt sich Lehmann, warum man bei einem möglichen Restart in ein 70.000 Zuschauer-Stadion nicht 20.000 Besucher hineinlassen könnte.
Einer der Vereine, der durch die Corona-Unterbrechung in eine finanzielle Krise gerät, ist der FC Schalke. Die Wiederaufnahme des Spielbetriebs ist für die Königsblauen besonders wichtig. „Es geht um die Existenz von Schalke 04“, gibt Marketing-Vorstand Alexander Jobst zu.
Als erste große Liga, in der wieder Fußball gespielt wird, steht die Bundesliga nun im internationalen Rampenlicht. Toni Kroos weiß, dass der Bundesliga-Neustart in anderen Ländern Hoffnung gibt: „Man hat hier so den Eindruck. Wenn die Deutschen das nicht hinkriegen, dann keiner.“
Aber es gibt auch kritische Stimmen zum Vorgehen der Bundesligisten vor dem Restart. „Wir Spieler haben keinen Sitz am Tisch, wir wurden nicht konsultiert“, stellt Unions Neven Subotic vor der Wiederaufnahme des Spielbetriebs klar. Mit weiteren Spielern wie Mats Hummels oder Alexandra Popp gründet er eine Interessengemeinschaft, damit Profis mehr in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden.
„Sala, bitte lösch das!“ – Der Hertha-Profi Salomon Kalou sorgt am Mittwoch vor dem Restart für einen Skandal: Über Facebook Live streamt er ein Video, in dem er nahezu alle Corona-Hygienemaßnahmen missachtet. Kalou wird daraufhin suspendiert, die Bundesliga darf dennoch starten.
Das erste Tor nach der Wiederaufnahme erzielt Erling Haaland im Derby gegen den FC Schalke 04. „Hätten wir für die Menschheit einen Fußballer wählen müssen, nur um diesem Bastard eines Virus ins Gesicht zu schlagen, hätten wir uns für Erling Haaland entschieden“, schreibt die italienische Gazzetta dello Sport martialisch.
Auch am ersten Spieltag sorgt die Hertha wieder für Aufsehen. Während andere Mannschaften beim Torjubel auf Abstand gehen, ist das bei den Berlinern im Spiel gegen Hoffenheim kein Thema. Es hagelt starke Kritik, doch schon bald schert sich niemand mehr darum, wie die Tore gefeiert werden.
Schalkes Aufsichtsratsvorsitzenden Clemens Tönnies wird durch Corona über den Fußball hinaus bekannt und unbeliebt. Denn im Stammwerk seines Schlachtbetriebs kommt es im Juni zu zahlreichen Virusinfektionen, die zwischenzeitlich den gesamten Kreis Gütersloh in einen Lockdown zwingen. Nachdem er einen Rassismus-Skandal im Jahr zuvor überstanden hat, tritt er nun endgültig aus dem Vorstand von Schalke 04 zurück.
Anfang Juni startet auch die 3. Liga wieder in den Spielbetrieb, trotz mehrerer Vereine, die sich klar dagegen aussprechen. Auch der Hallesche FC und Waldhof Mannheim hatten sich vorher für einen Saisonabbruch eingesetzt, der Hallesche FC prüfte sogar eine Klage gegen die Wiederaufnahme.
Eine Liga tiefer hätte Rot-Weiss Essen gerne weitergespielt. „Das Bestreben des Verbandes muss die Sicherstellung eines fairen sportlichen Wettkampfes sein“, argumentiert RWE-Vorstand Marcus Uhlig. Doch der Verein muss sich den demokratischen Mehrheiten in der Regionalliga West beugen: 16 von 18 Klubs stimmen gegen die Wiederaufnahme mit Geisterspielen.
In der zweiten Liga sorgt der Fall Dynamo Dresden für Unmut: Die SGD musste wegen mehrerer Corona-Fälle in eine zweiwöchige Quarantäne, um neun Spiele in 29 Tagen zu absolvieren. Dynamo-Spieler Chris Löwe lässt nach dem fast sicheren Abstieg seinen Gefühlen freien Lauf. „Glauben Sie, dass einer in der DFL sich nur eine Sekunde Gedanken macht, was bei uns in den Köpfen vorgeht? Das ist denen alles scheißegal“, wettert er vor laufenden Kameras.
Im Sommer bleiben die Coronazahlen stabil. Rudi Völler hofft deshalb sogar auf ein paar Fans beim DFB-Pokalfinale Anfang Juli: „Ich bin da ein bisschen Optimist und habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass wir da vielleicht ein paar Zuschauer dabei haben werden.“
Währenddessen schaltet sich Dietmar Hopp als Retter in der Not in die Impfstoff-Debatte ein: „Ich bin zuversichtlich, dass im Januar oder Februar schon breitflächig geimpft werden kann mit dem, was meine Firma Curevac liefert“, verspricht der Sport-Bild-Award-Preisträger Anfang Juli.
Europa League in Duisburg! Auch dafür sorgt die Corona-Pandemie. Leider hat der MSV beim Finalturnier keine Wild Card, auf dem Platz messen sich hier die Wolverhampton Wanderers und der FC Sevilla.
Und wieder Union: Der FCU trägt im September als erster Bundesligaklub ein Freundschaftsspiel mit Zuschauern aus. Fast schon verzweifelt versucht der Verein im Sommer, Konzepte zu entwickeln, um wieder vor voller Auslastung spielen zu können. Unter anderem möchten die Ostberliner Corona-Tests für alle 22.000 Zuschauer bereitstellen.
Doch beim Saisonstart der Bundesliga soll das noch nicht möglich sein. „Tausende Zuschauer in den Stadien – das passt nicht zum aktuellen Infektionsgeschehen“, sagt Gesundheitsminister Jens Spahn.
Und doch: In der ersten Pokalrunde sieht man vor allem in Stadien im Osten erstmals wieder größere Zuschauerzahlen. Beim FC Hansa Rostock und Dynamo Dresden dürfen bis zu 10 000 Zuschauer zusehen.
Und als hätte es die Aussage von Jens Spahn nie gegeben, sitzen auch am ersten Bundesligaspieltag wieder Zuschauer in manchen Stadien. In Leipzig verfolgen die Zuschauer in Kleingruppen den Saisonstart gegen Mainz. Der FC Bayern muss zur Saisoneröffnung hingegen ohne Publikum spielen.
Ungeachtet der überall in Europa steigenden Infektionszahlen plant die UEFA Ende September das erste internationale Spiel vor Publikum. 30.000 Zuschauer dürfen zum Supercup-Finale nach Budapest.
In der Bundesliga hingegen sind solche Bilder schon nach wenigen Spieltagen keine Seltenheit mehr. Viele Spiele, unter anderem zwischen Werder Bremen und Arminia Bielefeld, finden ohne Zuschauer statt.
Nach dem Teil-Lockdown im November dürfen zwar die Profiligen sowie die Regionalliga West weiterspielen, aber alle anderen Spielklassen müssen wieder pausieren. Was vor allem bei Viertligisten wie Kickers Offenbach, die auch auf professioneller Basis spielen, für Unmut sorgt.
Auch in der Bundesliga häufen sich die Corona-Infektionen. Mehrere Spieler von der TSG Hoffenheim sind infiziert, Torwart Oliver Baumann muss deshalb sogar von der Nationalmannschaft abreisen und sich in Quarantäne begeben.