Er steht dort wie ein Baum. Für wenige Sekunden vollkommen starr. Der Ball in der linken unteren Torecke, dann die Mitspieler auf seinem Rücken. Dieses Mal, im Hinspiel des Champions-League-Achtelfinals, hat Zlatan Ibrahimovic ein gutes Gewissen. Er hat sich den Jubel verdient, die Anerkennung, den Elfmeter, die Kurve in schwarz-rot, alles. Zweimal hat der Schwede zuvor für Robinho aufgelegt, den Ball dabei smart und uneigennützig an seinen Gegenspielern vorbeigelegt. In vollem Tempo streichelt er ihn sogar mit der Sohle. Der AC Mailand siegt an diesem Abend 4:0 gegen den FC Arsenal und ist mit einem Mal Favorit auf den Champions-League-Titel. Robinho, Boateng und Ibrahimovic werden am nächsten Tag wieder mal als die beste Milan-Achse seit Ewigkeiten gefeiert. Das ist die eine Geschichte.
Die andere Geschichte verfolgt Zlatan Ibrahimovic seit beinahe neun Jahren. In einem EM-Qualifikationsspiel gegen San Marino hatte Ibrahimovic beim Stand von 4:0 für Schweden einen Strafstoß verwandelt, den er gar nicht hätte schießen sollen. Denn eigentlich war sein Mitspieler Kim Kallström vorgesehen, schließlich hatte dieser noch nie ein Tor für die Tre-Kroners gemacht. Doch Ibrahimovic schnappte sich einfach den Ball, legte ihn auf den Punkt und schoss selbst. Seine Mitspieler verweigerten ihm den gemeinsamen Torjubel. Doch das war egal, denn Zlatan Ibrahimovic jubelte einfach mit seinem besten Freund. Mit sich selbst.
„Es gibt nur den Zlatan-Stil“
Zlatan und er. Tatsächlich gibt es nicht nur diese eine Geschichte, es gibt unzählige solcher Geschichten, in denen es um das große Ego des Zlatan Ibrahimovic geht. Einmal sagte der Stürmer über den Norweger John Carew: „Was der mit dem Ball kann, kann ich mit einer Orange.“ Ein anderes Mal beschrieb er ein Dribbling gegen Sami Hyppiä so: „Ich ging nach links, er ging mit. Ich ging nach rechts, er ging mit. Dann ging ich noch mal nach rechts, und er ging zum Würstchenstand.“ Als ihn ein Journalist mal fragte, woher er einen Kratzer im Gesicht hätte, antwortete der Stürmer: „Fragen Sie mal Ihre Frau.“ Und über Helden, Idole, Vorbilder, Stile trompetete er: „Gibt es nicht. Es gibt nur den Zlatan-Stil.“ Doch gibt es Verteidiger, die Sie fürchten? „Nein, denn wer mich stoppen will, muss mich umbringen.“ Als Fan der gegnerischen Mannschaften konnte man sich darauf einigen, dass Ibrahimovic irgendwie einen an der Klatsche hatte. Wie das so ist: Fußballer wie Ibrahimovic polarisieren zu aktiven Zeiten. Später, in 20, 30 Jahren, werden wir vermutlich fragen: Warum gibt es keine kantigen Typen mehr? Typen wie Ibrahimovic.
Im Sommer 2004 aber fragte man sich: Wer braucht diesen Macker in der Mannschaft? Und: Wie passt so einer nach Schweden? Dort, wo viele Jahre Henrik Larsson das große Idol der Fußballfans war, ein Vorzeigefußballer, den sie als Mannschaftsspieler, treffsicheren Stürmer und intelligenten Familienmenschen kennengelernt hatten. 2004 organisierte eine schwedische Zeitung eine Unterschriftenaktion, um Larsson zum Rücktritt vom Rücktritt zu bewegen. Als er tatsächlich sein Comeback gab, sagte er, dass er nur wiederkam, weil sein Sohn es so gewünscht habe. Doch das war egal. Denn schon die Vorstellung des Dialoges zwischen Vater und Sohn verzückte die Fans weltweit: Henrik Larsson am Frühstückstisch, schwedische Landhütte, Sonnenstrahlen dringen durch die Holzritzen, der Filius mit großen Augen: „Papa, warum spielst du nicht mehr für uns?“
Er nannte sich im Käfig Ronaldo
Und dann kam Zlatan Ibrahimovic. Eine Zeitung beschrieb ihn einmal als „Anti-Helden“. Doch ist er das wirklich? Ist er einer, der durch seinen Außenseiterstatus Identifikationspotenzial besitzt? Der Sohn eines Hausmeisters und einer Putzfrau ist in Malmö-Rosengard aufgewachsen. Sozialer Brennpunkt. Plattenbausiedlung. Eine frühere Rektorin, das gehört auch zur Erzählung, soll mal gesagt haben: „Ich war mir sicher, dass er böse endet.“ Doch Ibrahimvovic ist damals, Ende der Neunziger, der Held der Käfige. Ein Straßenfußballer, der gerne so spielen möchte, wie er es in Fernsehreportagen über brasilianischen Fußball gesehen hat. Seine Freunde sagten, er nannte sich im Käfig stets Ronaldo. Ibrahimovic bestreitet das bis heute.
Dennoch spielt er genau so: Trickreich am Ball, gewitzt auf engem Raum und mit einem wuchtigen Antritt. Dazu ist er allerdings auch gemein, schmutzig, laut und über die Maßen selbstbewusst. Als er von Malmö FF für sagenhafte neun Millionen Mark zu Ajax Amsterdam wechselt, ist er 19 Jahre alt. Drei Jahre später, 2004, wird er über Nacht weltberühmt, als er bei der EM einen Ball aus grotesker Position mit dem Rücken zum Tor per Hacke in den Winkel setzt. Der Gegner heißt Italien, und die Funktionäre bei Juventus Turin reiben sich die Hände. Am Ende liegen 19 Millionen Euro auf dem Tisch.
„Ihr redet, ich spiele“
Danach: Inter Mailand. Meisterschaft 2008. Zwei Tore von Ibrahimovic im Regenspiel gegen den FC Parma. Ibrahimovic ist ruhig geworden. „Ihr redet, ich spiele“, sagt er. Für einige Wochen vergisst man, warum man ihn eigentlich so seltsam findet. Mit einem Mal wird deutlich, dass Ibrahimovic einer der besten Stürmer der Welt ist. Er ist groß, trotzdem wendig. Er ist beidfüssig, schnell, robust im Zweikampf, technisch stark, torgefährlich. Er ist Sturmtank und Wiesel. Beim FC Barcelona, wo er zwischen 2009 und 2011 spielte, genügt das nicht. Hier steht er sich selbst im Weg. Seinem Ego. Die Mannschaft will einen Mitspieler, der Klub einen Gentleman.
Heute spielt Zlatan Ibrahimovic beim AC Mailand und der Erfolg ist zurückgekehrt. Momentan ist der Klub Erster der Serie A und Ibrahimovic führt mit 18 Treffern die Torjägerliste an. Einige Mitspieler und Trainer sagen, er habe sich seit seiner Zeit bei Juventus Turin geändert, das eigene Ego zurückgestellt. Seine Kritiker können darüber herzlich lachen. Vor einigen Monaten sagte Ibrahimovic in einem Interview mit der Welt: „Ich habe ein großes Herz, ich will immer das Beste für andere.“ Doch die italienische La Repubblica schreibt weiterhin davon, dass er „keine Komplizen, sondern Diener“ an seiner Seite dulde. Doch wer sind seine Diener? Mit Robinho und Kevin-Prince Boateng hat er zwei Spieler um sich, deren Egos ebenfalls Wolkenkratzerniveau haben. Zwei Straßenfußballer, die in Europa aufwuchsen und den Brasilianern nacheiferten, vereint mit einem: Brasilianer.
Boatinhovic: ein arg fragiles Gebilde
Vielleicht gilt bei den drei Spielern jener Satz, den Lahm kürzlich über Arjen Robben sagte: Er ist ein Egoist, aber er wird immer alles für die Mannschaft geben. Sie – Ibrahimovic, Robinho, Boateng – sind Egoisten, die alles für ihr Team geben. Ihr Team heißt nun Boatinhovic. So wird das Triumvirat jedenfalls von der italienischen Presse gefeiert. Im Misserfolg, so viel ist jetzt schon abzusehen, ist das ein arg fragiles Gebilde, das dort an der Spitze thront und das ein gesamtes Mannschaftsgebäude wie ein Kartenhaus zum Einsturz bringen kann. Doch ist es auch ein kongeniales Team im Team, das im Erfolgsfall eine epochale Wucht entfalten kann. „Ich will der Beste sein“, sagte Ibrahimovic in frühen Tagen gerne. Heute sagt er: „Um die nationale Meisterschaft zu gewinnen, genügt es den Besten in der Mannschaft zu haben.“ Er sagt das mit dem Selbstbewusstsein, in den vergangenen acht Jahren achtmal die Meisterschaft gewonnen zu haben.
Für die Champions League indes, das weiß auch Ibrahimovic, braucht es mehrere Beste. Vielleicht genügen in diesem Jahr drei.