Werner Liebrich, der Held von Bern, wäre heute 95 Jahre alt geworden. Er war zwar im Finale der Turm in der Schlacht – „Liebrich rettet, rettet, rettet uns!“, rief Reporter Herbert Zimmermann –, doch gefragt wurde er immer nach einem anderen Spiel der WM 1954.
Wie auch immer, das Ganze wurde fast eine Staatsaffäre. Der Historiker Udo Muras schrieb: „In Puskás’ Biographie stand zu lesen, Liebrich habe ihn dreimal absichtlich gefoult. Dagegen ging der ‚kleine Fahrer‘ mit Vollgas vor und prozessierte gegen den Verlag in London. Im Urteilsspruch vom 21. Februar 1956 wurde zwar angezweifelt, ‚dass Puskás wirklich das Originalmanuskript geschrieben hat‘, Liebrich jedoch mit 1000 Mark durch den Verlag entschädigt.“
Trotzdem galt Liebrich im Ausland weiter als der Mann, der durch seine Grätsche oder seinen Tritt Puskas und damit die Ungarn entscheidend schwächte. (Der berühmte englische Reporter Brian Glanville schrieb: „In retrospect, it was the kick that won the World Cup.“) Manche verstiegen sich sogar zu der Theorie, dass der deutsche Stopper den Starstürmer absichtlich verletzte, weil Hellseher Herberger gewusst hätte, dass seine Elf noch ein zweites Mal auf die Ungarn treffen würde.
Doch wie gesagt: Es war überhaupt keine Grätsche. Wir haben heute Aufnahmen, die zeigen, dass sich Puskas im Mittelkreis in der eigenen Hälfte befand, als er steil geschickt wurde. Liebrich deckte ihn recht eng, wurde aber vom schnellen Antritt des Ungarn überrascht. Etwas hüftsteif versuchte der „kleine Fahrer“, dem Gegner mit dem linken Fuß den Ball wegzuspitzeln, doch er kam zu spät. Es wäre zwar möglich, dass Liebrich dabei den Knöchel des Ungarn traf, aber es sieht eher aus wie ein banales Beinstellen. Vielleicht verletzte sich Puskas, wie zum Beispiel Helmut Rahn immer sagte, also wirklich erst durch den Sturz.
So haben am Ende unter Umständen alle unrecht, selbst Liebrich. Denn eines ist klar: Der Ball war meilenweit weg, ein Foul beging der Lauterer also auf jeden Fall. Doch „brutal“ war es keinesfalls, ein „Attentat“ erst recht nicht. (Solche Begriffe passen eher auf ein anderes Spiel der WM 1954, das Viertelfinale zwischen Ungarn und Brasilien, das als „Schlacht von Bern“ in die Geschichte einging.) Dass Liebrich zwar für die Begriffe jener Zeit sehr hart spielte, aber nicht hinterhältig oder unfair, sieht man vielleicht am besten an einer ungewöhnlichen Ehrung, die ihm zuteil wurde. Obwohl die DFB-Auswahl die WM 1954 gewann, wurde nur ein Deutscher in die Elf des Turniers gewählt: der kleine Fahrer.