Werner Liebrich, der Held von Bern, wäre heute 95 Jahre alt geworden. Er war zwar im Finale der Turm in der Schlacht – „Liebrich rettet, rettet, rettet uns!“, rief Reporter Herbert Zimmermann –, doch gefragt wurde er immer nach einem anderen Spiel der WM 1954.
Werner Liebrich wurde mit 16 Jahren in einen Krieg geschickt, von dem er wusste, dass er falsch war. Es gibt Berichte, dass er desertierte, zum Tode verurteilt wurde und nur deswegen überlebte, weil die Nazis kapitulierten, bevor das Urteil vollstreckt werden konnte. In jedem Fall machten seine Jugenderlebnisse aus Liebrich einen überzeugten Pazifisten. Er engagierte sich nach dem Krieg gegen die Wiederbewaffnung, später gegen das Hochrüsten. Als vor mehreren Jahren einige Pfälzer Hobbymannschaften ein „Fußball für den Frieden“-Turnier abhielten und es nach Werner Liebrich benannten, übernahm seine Witwe Anne-Marie die Schirmherrschaft. „Werner wäre bestimmt sehr glücklich über das Turnier und auch über den Hintergrund der Friedensbewegung“, sagte sie.
Nur auf dem Fußballplatz, da war Werner Liebrich alles andere als eine Friedenstaube. Es gehört zu den Treppenwitzen der Fußballgeschichte, dass er die WM 1954 mit der Rückennummer „10“ bestritt, denn er war nicht etwa das visionäre Mittelfeldgenie unter den Helden von Bern, sondern das, was man einige Jahre später einen Stopper oder Ausputzer nannte. Sein Job war es, dem gefährlichsten der gegnerischen Angreifer die Lust am Fußball zu nehmen, ihm buchstäblich auf den Füßen zu stehen. Am 20. Juni 1954 hieß dieser Mann Ferenc Puskás.
Die Ungarn führten schon deutlich gegen Sepp Herbergers berühmte B‑Elf, als Liebrich jenen Puskás zu Fall brachte. Nicht zum ersten Mal an diesem Tag, aber diesmal mit Folgen, denn der Knöchel des Ungarn schwoll schnell an. In seinem Buch „90: oder Die ganze Geschichte des Fußballs in neunzig Spielen“ schreibt Christian Eichler über Ungarns Scheitern beim Turnier: „Der entscheidende Verlust aber ist die Verletzung von Ferenc Puskás, den Werner Liebrich beim 3:8 in der Vorrunde mit einer brutalen Grätsche beim Stand von 1:5 ‚liquidiert‘ hat, wie es Verteidiger Jenö Buzansky nennt.“ In einem 2006 veröffentlichten Artikel behauptete „Der Spiegel“ sogar, es handelte sich um „eine Aktion, die Beobachter eher als Attentat denn als Foul bewerteten“.
Der Fußball von heute verdichtet Zeit und Raum. Höchstgeschwindigkeit statt Kampf. Und alles begann mit Johan Cruyff.
Woher diese Vorstellungen kamen, ist offenkundig. Jahrzehntelang gab es keine bewegten Bilder von der besagten Szene. Liebrich galt als Grätscher, also musste er Puskás umgesenst haben. Auch der Bestseller, den Fritz Walter über das Turnier schrieb (oder schreiben ließ), nährte diese Idee. Dort heißt es: „Wenig später lässt sich Werner in seiner frechen, unerschrockenen Art in ein Dribbling von Puskás schliddern.“
Liebrich selbst, der den Rest seines Lebens immer wieder auf diesen Moment angesprochen wurde, schilderte die Szene allerdings anders. Im Februar 1963 sagte er dem „Sport-Magazin“: „Puskás führte den Ball, blieb dann stehen, zog das Leder mit seinem unerreichten linken Fuß nach hinten, nach vorn, um mich zu täuschen.“ Liebrich erzählte weiter, er hätte „auf den Ball geschlagen“ und dabei den Fuß des Gegner nach hinten gerissen.