Werner Liebrich, der Held von Bern, wäre heute 95 Jahre alt geworden. Er war zwar im Finale der Turm in der Schlacht – „Liebrich rettet, rettet, rettet uns!“, rief Reporter Herbert Zimmermann –, doch gefragt wurde er immer nach einem anderen Spiel der WM 1954.
Der Witz ist: Es war überhaupt keine Grätsche. Man nimmt einfach nur immer an, dass es eine war, weil seine Spezialität darin bestand, von der Seite in den Mann zu rutschen und dabei den Ball wegzuspielen. Diese Aktion, die man bis dahin vornehmlich von britischen Verteidigern kannte, brachte ihm sogar einen der besten Spitznamen der deutschen Fußballgeschichte ein. Daheim in der Pfalz kannte man Werner Liebrich als „den kleinen Fahrer“.
Das kam so: Der 1927 geborene Werner hatte einen drei Jahre älteren Bruder namens Ernst, der ebenfalls für den 1. FC Kaiserslautern spielte. Beide Liebrichs waren sehr physische Spieler, anders als ihr Freund und Vorbild, der filigrane Fritz Walter. „Fahr dazwischen!“, soll der Fritz erst dem Ernst, später dem Walter zugerufen haben, damit sie Pässe abfingen und das Aufbauspiel des Gegner störten. So wurde Ernst „der große Fahrer“ und sein jüngerer Bruder „der kleine Fahrer“.
Außerhalb der Pfalz hieß Werner Liebrich allerdings meistens „der Rote“, wegen seiner Haarfarbe. In seinem Buch über die Helden von Bern schreibt Autor Jürgen Bertram, dass Sepp Herberger einmal sagte: „Ich hab’ noch kenn Rote g’sehe, wo net gut Fußball g’spielt hot.“ Auch er meinte damit natürlich Liebrichs Mähne, schließlich schreibt der Volksmund Rothaarigen gerne eine besondere Leidenschaft und Feurigkeit zu.
Man kann Herbergers Satz aber auch auf eine Art verstehen, wie ihn der bekannt konservative „Chef“ sicher nicht gemeint hat. Liebrich stammte nämlich aus einem links geprägten Arbeiterviertel von Kaiserslautern. Als kleiner Junge bekam er häufig Schlägereien und sogar Straßenschlachten zwischen Nazis und Kommunisten mit. Auf welcher Seite die Liebrichs in diesem Kampf standen, war nie eine Frage. Werners Vater und sein Onkel waren tiefrot und als DKP-Mitglieder sogar im Widerstand aktiv. Beide saßen während der Nazizeit im Zuchthaus.