Mario Götzes Vertrag beim BVB wird nicht mehr verlängert, zum Sommer muss sich der WM-Held 2014 einen neuen Klub suchen. Zeit für ihn endlich der Welt zu zeigen, dass er besser ist als … sein angekratztes Image.
Gegen Ende kam Bastian Schweinsteiger doch noch ins Schleudern. Seine Premiere als neuer Experte der ARD-Sportschau hatte sich am Sonntag im Wesentlichen um das anstehende Spitzenspiel zwischen dem BVB und dem FC Bayern gedreht. Schweini hatte erwartbare Ehrbekundungen für beide Teams abgesondert, leichte Vorteile für seinen Ex-Klub prognostiziert und dennoch konstatiert, wie freudig gespannt er dem Match entgegenfiebere. Ein entspannter Kommentatoren-Talk also. Als die Spielanalyse abgeschlossen war, blieb nur noch die Frage nach Mario Götze.
BVB-Manager Michael Zorc hatte tags zuvor live bei Sky mitgeteilt, dass die Borussia den auslaufenden Vertrag des WM-Siegtorschützen zum Saisonende nicht mehr verlängern wolle. Es war der medienträchtige Schlussakt eines Verbalballetts, das BVB-Coach Lucien Favre schon seit Längerem im Zusammenhang mit der Personalie Götze aufführt: Dass er in guter Spieler sei, aber nicht ins gegenwärtige System passe, aber Systeme könnten sich ja ändern. Die gewohnte Wattebäuschchenschlacht in den Medien eben, wenn man einen angezählten Profi herauskomplimentieren möchte.
Der Westfale Zorc machte nun also Nägel mit Köpfen und ARD-Moderator Alexander Bommes forderte seinen neuen Kollegen Schweini am Ende ihres Kuschelgesprächs nun doch und wollte wissen, wie nahe ihm Götzes Abgang ginge. Schweinsteiger erwischte die Frage auf dem falschen Fuß und er sprach – zweifellos unbeabsichtigt – mit freundlichem Grundton ein vernichtendes Urteil: „Es ist sehr, sehr schade. Denn wir wissen alle, dass er ein großes Talent war, als er noch jünger war.“
Was kann man einer alten Dame Schlimmeres sagen, als dass sie früher mal eine schöne Frau gewesen war? Schweinsteiger sprach jedoch aus, was die Mehrheit in Fußballdeutschland spätestens seit Götzes Rückkehr nach Dortmund 2016 denkt. Dass der Hochbegabte aus Memmingen sein Karma längst verloren hat. Dass die Unbekümmertheit, mit der er den BVB in der glorreichen Klopp-Ära fast im Alleingang zur Meisterschaft dribbelte, irgendwo auf den Trainingsplätzen an der Säbener Straße verloren gegangen ist. Dass ihn die Tatsache, schon mit 22 Jahren als Weltmeister den Olymp des Fußballs bestiegen zu haben, sein Leben auf ewig in zwei Zeiteinheiten aufteilt: die Jahre vor und die Jahre nach 2014. Kurz: Dass von ihm keine Steigerung mehr zu erwarten ist.
Und so liest sich die Laufbahn des Mario Götze in den letzten Jahren wie eine Aneinanderreihung von Missverständnissen. Sein Scheitern in München. Seine Rückkehr nach Dortmund, die die Fans auf der Süd mit Plakaten wie „Mailand oder Madrid – Hauptsache nicht Dortmund! Verpiss dich Götze!“ begleiteten. Die Vielzahl an Verletzungen und die mysteriöse Stoffwechselerkrankung, die ihn über Monate aus dem Spielbetrieb nahm. Die Fettnäpfchen, in die seine Gattin Ann-Kathrin wiederholt stolpert.
Sein angeborenes Talent, sein Künstlertum, das ihn zu Beginn seiner Karriere wie einen Champagnerkorken auf den Wogen der Zeit und gleichzeitig um die gegnerischen Abwehrreihen tänzeln ließ, wurde im Schatten der Pannenserie zum Fluch. Das Bild des nachdenklichen Götze auf der Ersatzbank oder gar Tribüne ist in den vergangenen Jahren schon fast zum Klischee geronnen. Ein Kameraschuss, der sich für die TV-Kollegen immer eignet, um bei der Vorberichterstattung der allgemeinen Euphorie auch einen leicht melancholischen Unterton beizumischen.
Seien wir ehrlich: Abgesehen vom BVB-Trainerstab und seinen gegenwärtigen Teamkollegen kann niemand genau sagen, zu welchen Leistungen Mario Götze noch imstande wäre. Nur Mediziner können ermessen, wie sehr die lange Verletzungspause sich auf seine Physis auswirkt. Und inwieweit Götze auch mental dazu in der Lage wäre, eine Mannschaft zu führen und ihr seinen Stempel aufzudrücken, weiß am Ende wohl nur er selbst. Wenn überhaupt!
Es entbehrt nicht einer gewissen Tragik, dass Götze die beste Zeit nach seiner Rückkehr zum BVB unter Peter Bosz erlebte. Der Niederländer beweist in Leverkusen, wie weit er Team bringen kann, wenn er den Rückhalt des Vorstands verspürt. Dass sich sein Vertrauen in junge Spieler, in Talente und in Kreativität auszahlt. Doch als der verlorene Sohn gerade wieder an alter Wirkungsstätte zurück in die Spur gekommen schien, zog er sich eine langwierige Sprunggelenksverletzung zu – und als sich Götze wieder fit meldete, hatte der Realist Peter Stöger den Idealisten Bosz ersetzt.
Es gibt unter Fußballern die Redensart, dass das Schicksal Glück und Unglück am Ende gegeneinander aufwiegt. Sollte auch Mario Götze von der diesem Aberglauben beseelt sein, wird er sich in den vergangenen Monaten oft gefragt haben, wann derart viel auf sein Fortuna-Konto gebucht wurde, dass nun seine Pechsträhne einfach nicht abreißen will. Die Nachricht vom BVB jedenfalls traf ihn nicht unerwartet. Bereits Anfang April wurde bekannt, dass Götze sich neuerdings von Reza Fazeli beraten lässt, der zuvor schon für Transfers von Emre Can und Nuri Sahin zu internationalen Klubs verantwortlich zeichnete. Von ihm erhofft sich der gefallene WM-Held offenbar einen positiven Impuls für seine Laufbahn.
Bastian Schweinsteiger ahnte bei seiner Bewertung wohl, dass es Götze ins Ausland ziehen könnte. Gerüchten zufolge sollen sowohl der AS Rom als auch Lazio Rom großes Interesse an dem Deutschen angemeldet haben. Schweini schien es wichtig zu betonen, dass er seinem ehemaligen Nationalelf-Kollegen einen Transfer zu einem Klub raten würde, der „nicht der beste Verein in Europa“ sein müsse, sondern „ein Verein, wo er spielen wird“. Rekordnationalspieler Lothar Matthäus äußerte, dass er sich Götze auch als künftigen Regisseur von Hertha BSC vorstellen könne. Von Investor Lars Windhorst ist bekannt, dass er vom Fußball wenig Ahnung hat, aber sich gern vom Glanz eines Weltmeisters blenden lässt.
Daran schließt sich jedoch die Frage an, ob Götze nach den vielen Rückschlägen der jüngeren Vergangenheit physisch und mental noch in der Lage wäre, die Rolle als Führungsspieler zu übernehmen. Anfang Juni wird er seinen 28. Geburtstag feiern. Der Welpencharme ist bei einem Profis in diesem Alter aufgebraucht. Egal, wohin er jetzt wechselt, er wird knallhart daran gemessen, dass er Verantwortung übernimmt, zu alter Stärke zurückfindet und Erfolge erzielt.
Es ist keineswegs sicher, dass es klappen kann. Aber wer sich mit romantischen Empfindungen an den heißen Sommer 2014 zurückerinnert, an Maracana und an Jogis Flüstern bei der Einwechslung im Finale, der wünscht es Mario Götze am Ende schon, dass seine Achterbahnlaufbahn noch ein Happy End erlebt.
Schließlich muss er heute niemanden mehr beweisen, dass er besser ist als Messi. Es würde schon reichen, wenn Götze nur bewiese, dass er nicht so phlegmatisch ist wie sein Ruf.