232 Gi F 3

Dieser Text erschien erst­mals in 11FREUNDE #232. Das Heft ist hier bei uns im Shop erhält­lich.

Mitte Juli sah man in Dort­mund und Bir­mingham viele strah­lende Gesichter, denn nur drei Wochen nach seinem 17. Geburtstag unter­schrieb Jude Bel­lingham einen Arbeits­ver­trag in West­falen. Die Borussia bekam durch diesen Transfer einen hoch­ver­an­lagten Fuß­baller, Bel­ling­hams Hei­mat­verein Bir­mingham City eine beträcht­liche Ablö­se­summe (geschätzte 25 Mil­lionen Euro) und der junge Mann selbst beste Zukunfts­aus­sichten. Wie so man­cher seiner Lands­leute hatte sich Bel­lingham näm­lich gegen Ange­bote aus der Heimat und für das Aus­land ent­schieden, weil er darauf baute, in Dort­mund die Ein­satz­zeiten zu bekommen, die man ihm in Man­chester oder London oder Liver­pool nicht garan­tieren konnte. Auch Jadon Sancho oder Jamal Musiala hatten ja als 16- oder 17-Jäh­rige mit ähn­li­chen Motiven die Insel in Rich­tung Deutsch­land ver­lassen.

Was vor sieben Monaten beim ganzen Hän­de­schüt­teln und Strahlen ein wenig unter­ging, war die Tat­sache, dass der Bel­lingham-Transfer nicht bloß eine wei­tere Epi­sode im anglo-ger­ma­ni­schen Teenie-Handel dar­stellte, son­dern sein Ende mar­kierte. Ich glaube, dass Bir­mingham sehr daran inter­es­siert war, den Wechsel vor dem 1. Januar über die Bühne zu bekommen“, sagt Tim Bailey. Denn nun sind Spieler wie Sancho und Bel­lingham keine EU-Bürger mehr und können nicht ein­fach so als Min­der­jäh­rige auf den Kon­ti­nent wech­seln.“

Der berüch­tigte Artikel 19

Bailey arbeitet für Bes­wicks Sports Manage­ment, eine Kanzlei, die sehr viele bri­ti­sche Spieler berät und ver­tritt. Er ist ein erfah­rener Anwalt, auf Sport­recht spe­zia­li­siert und seit mehr als fünf­zehn Jahren im Fuß­ball tätig. Man darf getrost davon aus­gehen, dass er selten so viel zu tun hatte wie in den letzten Monaten, denn mit dem von ihm genannten Datum wurde der Brexit Rea­lität – und damit auch eine ganze Reihe von Ver­än­de­rungen für den bri­ti­schen Fuß­ball. Die wohl offen­sicht­lichste betrifft Trans­fers wie den Bel­lingham-Wechsel. Eigent­lich wäre ein Deal wie dieser gar nicht mög­lich, denn er ver­letzt in ekla­tanter Weise eine berüch­tigte FIFA-Richt­linie, die als Artikel 19“ bekannt ist. Sie trägt die Über­schrift Schutz Min­der­jäh­riger“, richtet sich gegen das skru­pel­lose Ver­scha­chern von Kin­dern und stellt ganz lapidar fest: Ein Spieler darf nur inter­na­tional trans­fe­riert werden, wenn er min­des­tens 18 Jahre alt ist.“

Die gut gemeinte Regel ist berüch­tigt, weil die FIFA ihre Ein­hal­tung sehr rigoros über­wacht, was bizarre Folgen haben kann. Vor einigen Jahren schätzte die spa­ni­sche Zei­tung As“, dass es welt­weit 15 000 bis 20 000 Kinder gibt, die nicht Fuß­ball spielen dürfen, weil die FIFA ihren Ver­eins­wechsel nicht geneh­migt. Die Rede ist hier nicht etwa von wert­vollen Talenten, son­dern ganz nor­malen Kin­dern, die in ein anderes Land gezogen sind und in ihrer neuen Heimat einem Klub bei­treten möchten. Dazu müssen sie aber erst der FIFA beweisen, dass der Umzug trif­tige Gründe hatte. Schon wenn ein Kind mit nur einem Eltern­teil in ein anderes Land zieht, wird die FIFA miss­trau­isch, wit­tert ein Umgehen von Artikel 19 und blo­ckiert den Transfer.

Ein 17-jäh­riger Spieler aus Dublin kann nach London ziehen und jeden Beruf aus­üben – außer Fuß­ball!“

Tim Bailey

Doch selbst der mäch­tige Welt­ver­band hat Angst – und zwar vor dem Euro­päi­schen Gerichtshof. Weil die freie Wahl des Wohn­sitzes und Arbeits­platzes inner­halb der EU ein zen­trales Ele­ment euro­päi­schen Rechts ist, gibt es für EU-Bürger eine Aus­nahme von Artikel 19: Sie dürfen auch schon mit 16 Jahren über Län­der­grenzen hinweg trans­fe­riert werden. Der US-Ame­ri­kaner Chris­tian Pulisic hatte Glück, dass er einen kroa­ti­schen Groß­vater vor­weisen konnte. Nur so war es ihm 2015 mög­lich, mit 16 Jahren nach Europa zu gehen. Viele seiner Lands­leute, die das auch gerne tun würden, um eine bes­sere Aus­bil­dung zu genießen, müssen bis zu ihrer Voll­jäh­rig­keit warten.

Seit dem 1. Januar gilt genau das auch für Spieler aus Eng­land, Schott­land, Wales und Nord­ir­land. Aus bri­ti­scher Sicht aber noch viel wich­tiger: Es gilt auch für die Klubs dieser Ver­bände. Arsenal zum Bei­spiel holte noch im Oktober den Nie­der­länder Joel Ideho aus der Jugend von Ajax. Nur zwei Monate später wäre das nicht mehr mög­lich gewesen, denn der Rechts­außen ist erst 17. In diesem Zusam­men­hang hat sich eine inter­es­sante juris­ti­sche Frage ergeben“, sagt Bailey mit der Art von innerer Freude, die wohl nur Juristen spüren, wenn die Geset­zes­lage kom­pli­ziert wird. Das Ver­ei­nigte König­reich hat eine Son­der­ver­ein­ba­rung mit der Repu­blik Irland. Ein iri­scher Bürger hat trotz Brexit wei­terhin das Recht, nach Eng­land zu kommen und hier zu arbeiten. Das Pro­blem ist nun, dass die FIFA Trans­fers von Min­der­jäh­rigen ver­bietet. Ein 16- oder 17-jäh­riger Spieler aus Dublin kann also nach London ziehen und hier jeden Beruf aus­üben – außer Fuß­baller.“

Für die bri­ti­schen Klubs wäre es natür­lich ein erheb­li­cher Wett­be­werbs­nach­teil gegen­über euro­päi­schen Ver­einen, EU-Bürger nun erst nach Voll­endung des 18. Lebens­jahres zu ver­pflichten, schließ­lich steigt die Zahl von sehr jungen Spie­lern auf höchstem Level immer weiter an, man denke nur an Yous­soufa Mou­koko. Dieser Satz beginnt im Kon­junktiv, weil die Pre­mier League bereits Vor­keh­rungen getroffen hat. Die rei­chen Klubs sahen das natür­lich kommen“, sagt Bailey. Um ein Bei­spiel zu nennen: Schon vor drei Jahren über­nahm King Power den bel­gi­schen Verein OH Leuven. Zur King-Power-Gruppe gehört auch Lei­cester City. Das bedeutet, dass City sich ein junges euro­päi­sches Talent sichern kann, indem der Spieler inner­halb der EU nach Leuven wech­selt und erst später nach Lei­cester.“

_