Michael Rummenigge hat in den achtziger und neunziger Jahren erfolgreich für den FC Bayern und Borussia Dortmund gespielt. Heute freut er sich als neutraler Fernsehzuschauer auf das Spitzenspiel und ist doch immer noch besonders mit den beiden Klubs verbunden: sein Bruder fungiert als Bayern-Vorsitzender, sein Sohn spielt in der U17 der Borussia.
Michael Rummenigge, Samstag um 18:30 Uhr steigt das große Duell zwischen dem FC Bayern München und Borussia Dortmund. Was ist anders als in den letzten Jahren?
Der Punkteabstand ist anders. Die Bayern waren im letzten Jahr auch weit vorne, aber nicht so weit, wie sie es jetzt sind. Das sind immerhin schon elf Punkte oder: dreieinhalb Spiele, die der FC Bayern verlieren müsste, um nicht Deutscher Meister zu werden. Das kann ich mir in dieser Saison beim besten Willen nicht vorstellen.
Die Borussia hat bei der Generalprobe gegen Fortuna Düsseldorf gepatzt. Wie wichtig war die Begegnung?
Das war ein Schlüsselspiel. Die Köpfe der Dortmunder waren offensichtlich schon beim Spiel in München. Und sie haben sich gründlich damit verzockt, einige Spieler draußen zu lassen. Gündogan, Götze, Hummels – alle, die am Dienstag nicht gespielt haben, werden am Samstag wieder dabei sein. Ich sage: Dann kannst du auch vier Tage vorher spielen. Drei Punkte gegen Fortuna Düsseldorf sind auch drei Punkte. Und so hat man unnötig zwei weitere verloren. Das Entscheidende ist: Die Bayern gewinnen solche Spiele.
Ist es denn jetzt überhaupt noch das große Spitzenspiel, als das es auf allen Kanälen angekündigt wird?
Ja, die beiden Klubs sind nach wie vor das Nonplusultra der Liga. Es trennt sie nur noch die wirtschaftliche Stärke, obwohl Dortmund auch hier aufgeholt hat. Es gab immer Zyklen, in denen dem FCB ein ernsthafter Konkurrent erwachsen ist, von Hamburg über Bremen bis Dortmund in den 90er Jahren. Die Bayern waren immer unter den ersten fünf, sechs. Und das muss auch das Ziel von Borussia Dortmund in den nächsten Jahren sein. Es ist extrem wichtig für den Verein, dauerhaft in der Champions League zu spielen, auch weil die Spielergehälter zuletzt enorm angestiegen sind.
Hat sich die Borussia in dieser Saison nicht auch verzockt, indem sie sich zu stark auf die Champions League konzentriert hat?
Die Mannschaft ist die vierfache Belastung erst seit zwei Jahren gewohnt, hat immer mehr Nationalspieler, muss das erst einmal wegstecken lernen. Im letzten Jahr sind sie in der Champions League gescheitert, konnten aber Erfahrung sammeln. In dieser Saison haben sie sich in dieser schwierigen Gruppe sensationell durchgesetzt. In den beiden Spielen gegen Real Madrid konnte man sehen, zu welchen Leistungen diese Mannschaft imstande ist. Das beste Spiel war aber das in Manchester City. Nur das hätten sie auch gewinnen müssen.
Warum läuft es bei der Borussia noch nicht so, wie man es aus der letzten Saison gewohnt war?
Die Mannschaft ist einfach noch sehr jung, eigentlich bis auf zwei Spieler: Roman Weidenfeller und Sebastian Kehl. Die anderen BVB-Profis sind fast alle unter 25. Die körperliche und psychische Belastung für die Spieler ist nicht zu unterschätzen.
Wird vor einem solchen Spitzenspiel eigentlich noch beim Gegner spioniert?
Nein, heute weiß man auf diesem Niveau alles, ohne Botschafter auszusenden: System, Standardsituationen und wer für wen spielen könnte, wenn jemand ausfällt. Es gibt für die Spieler bei solchen Gipfeltreffen keine Überraschungen mehr. Wenn sie gegen unbekannte Mannschaften wie Fürth oder Augsburg spielen, müssen sie sich viel intensiver vorbereiten.
Wie wird die Borussia in das Spiel gehen?
Bei Dortmund läuft zumindest eine Sache immer sehr anschaulich über dieselbe Achse. Hummels, Gündogan, Reus, Götze und Lewandowski versuchen bei Balleroberung immer, innerhalb von 15 Sekunden zum Torschuss zu kommen. Das ist eklatant, wie in solchen Momenten Tempo aufgenommen wird. Und dass man bei einem solchen Gegenangriff zum Schuss kommt, ist auch deshalb so wichtig, weil sich die Mannschaft danach leichter neu formieren kann.
Was ist bei den Bayern besonders interessant?
Das Thema „falscher Fuß“. Was Bayern mit Ribery und Robben macht, die ja eigentlich auf der falschen Seite spielen, ist sehr gefährlich für den Gegner. Sie können jederzeit mit dem richtigen Fuß von außen in die Mitte gehen und Philipp Lahm und David Alaba rücken dann auf – und werden im System mit einem Stürmer zu Außenstürmern. Bei Dortmund trainiert Jürgen Klopp das auch gezielt, mit Łukasz Piszczek und Marcel Schmelzer.
Es werden fast ausschließlich Nationalspieler über den Platz laufen. Welche Spieler werden das Spiel prägen?
Ich bin gespannt auf das Duell von Lewandowski gegen Dante und Badstuber, wie Götze im Mittelfeld nach einem Spiel Pause zurückkommt und wie Reus sich in diesem Spiel zeigen wird. Er hat in der Champions League gegen Real und Ajax wirklich toll gespielt. Das spiegelte seine Klasse wider. Jetzt muss er es auch noch gegen die Besten aus der Bundesliga zeigen.
Mit wem werden die Bayern im Sturm spielen? Mit Gomez, Pizarro oder Mandzukic?
Gomez hat am Mittwoch in Freiburg wieder von Anfang gespielt, aber das heißt nicht, dass er auch gegen Dortmund aufläuft. Ich glaube eher, dass man Mandzukic geschont hat, der in München sensationell eingeschlagen hat. Wie Mandzukic gegen Hummels und Subotic zurechtkommt, das ist sicher eines der Duelle, die das Spiel entscheiden werden.
War es eigentlich richtig, Bastian Schweinsteiger in Freiburg zu schonen?
Er selbst schien ja nicht so glücklich, wie er da mit dem Kaffeebecher auf der Bank saß. Ich kann das verstehen: Als Spieler will man natürlich immer spielen. Ich glaube aber, dass es taktisch sehr klug war, um seine körperliche Frische sicher zu stellen und ihn zu schützen, dass er nicht die fünfte Gelbe Karte bekommt. Schweinsteiger ist für das Spiel gegen Dortmund immens wichtig im Mittelfeld.
Wer ist denn ansonsten für seinen Klub wichtiger: Ribery für Bayern oder Götze für Dortmund?
Ribery für Bayern, was man an den Ergebnissen ablesen kann. Wenn er verletzt war, haben die Bayern nicht so erfolgreich gespielt. Sie waren nicht so kreativ, haben nicht so viele Chancen herausgearbeitet. In Dortmund ist die Zuständigkeit, das Spiel zu gestalten, noch auf ein paar anderen Schultern verteilt. Gündogan hat sich super entwickelt, Lewandowski kann ein Spiel alleine entscheiden. Der Kreativbereich des BVB ist etwas breiter aufgestellt, während die Bayern von der Form Riberys abhängig sind.
Für die Fernsehanstalten ist der „deutsche Clasico“ auch immer eine Standortbestimmung, eine Halbjahresprüfung. Wie finden Sie die aktuelle Präsentation von Live-Spielen im Fernsehen?
Ich schaue die Bundesliga-Spiele meistens auf „Sky“, entweder zu Hause oder in meiner Soccerhalle, und finde die Berichterstattung schon ganz gut: komprimiert in der Konferenz und hinterher in der Zusammenfassung. Wolff-Christoph Fuss halte ich darüber hinaus für den besten Kommentator der letzten Jahre. Er muss sich wirklich sehr akribisch vorbereiten. Er hat immer einen lockeren Spruch auf den Lippen, ist kein Zyniker und hat eine sonore Stimme.
Warum eigentlich Fernsehen – und nicht Stadion?
Das Schöne am Fernsehen ist, dass man die Tore x‑fach in der Zeitlupe sehen kann. Mich stört es gewaltig, dass die Tore im Stadion nicht auf der Leinwand gezeigt werden. Bei strittigen Szenen ist das etwas anderes, aber die Tore müsste man doch auch im Stadion zeigen können.
Und: Warum am Ende doch lieber ins Stadion?
Ich bin oft im Stadion – in Dortmund und München. Es geht natürlich nichts über das Live-Erlebnis, weil man die ganze Stimmung anders aufsaugt. Ich gehe immer schon ganz früh auf meinen Platz, weil ich sehen will, wie sich die Spieler warm machen. Ich glaube tatsächlich, dass man an der jeweiligen Körperspannung immer schon etwas ablesen kann.
Die Spiele werden inzwischen von abertausenden Experten kommentiert. Bei welchen Ex-Profis hören Sie aufmerksam zu?
Man kann über Stefan Effenberg denken, was man will. Was er als Fernsehexperte sagt, hat immer Hand und Fuß. Und: Lothar Matthäus, der für „Sky“ das Samstagabendspiel macht, hat – trotz aller privater Kapriolen – wirklich Ahnung von Fußball und erklärt das auch sehr gut. Zumindest, wenn man sein Fränkisch versteht (lacht). Sonst kann man eigentlich nur noch Markus Merk nennen.
Am Samstag wird Marcel Reif für „Sky“ kommentieren und Hansi Küpper für „Liga Total“. Für wen würden Sie sich entscheiden, wenn Sie die Wahl hätten?
Hansi Küpper bringt das Spiel ganz gut rüber. Bei ihm merkt man allerdings manchmal, dass er BVB-orientiert ist. Das wiederum kann man Marcel Reif nicht vorwerfen. Er ist ja auch schon mal von der Südkurve aus dem Stadion geschimpft worden. Er ist, sagen wir es mal so, etwas mehr Bayern-orientiert. So als Urgestein des Pay-TV höre ich ihn aber auch ganz gerne.
Wie sollte ein Spitzenspiel wie das am Samstag eingeläutet werden?
Ich würde es mir wünschen, dass „Sky“ bei großen Spielen schon ein paar Stunden früher anfängt. Bayern gegen Dortmund ist so wie Real gegen Barcelona oder Manchester gegen Chelsea. Da will ich auch wissen, wie die ganze Woche verlaufen ist, was auf dem Trainingsplatz los war, und will sehen, wie die Spieler vor dem Stadion vorfahren. Ja, aus der Vorberichterstattung könnte man noch mehr herausholen. Es müssen nicht drei Stunden sein, aber anderthalb wären schon ganz gut.
Was erwarten Sie am Samstag für einen Spielverlauf?
Die Dortmunder werden wieder in Bestbesetzung antreten und ihr Spielsystem durchziehen, versuchen, von hinten blitzschnell nach vorne zu spielen. Die Frage ist: Wie können die Bayern mit Martinez gegenhalten? Seine unbestrittene Klasse ist gerade gegen die Borussia gefragt. Genau für solche Spiele ist der 40-Millionen-Mann gekauft worden.
Wenn Borussia Dortmund gewinnen würde, …
…wäre das diesmal eine große Überraschung. Bayern München ist zu Hause immer Favorit, egal gegen wen sie spielen. Sie haben zwar die letzten beiden Heimspiele gegen den BVB verloren, aber diesmal ist Bayern angesichts des Saisonverlaufs ganz klar favorisiert.
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Das Interview erscheint mit freundlicher Genehmigung von BOLZEN – FUSSBALL IN DER FREIZEIT. Ihr wisst noch nicht, wo ihr das Spiel gucken könnt? BOLZEN hat für euch die ultimativen Kneipentipps: