Daniel Frahn wechselt zu Babelsberg 03. Der Chemnitzer FC hatte den Spieler zuvor wegen Kontakten zu rechtsextremen Fans rausgeworfen. Wie passt ein Mann wie er zum politisch engagierten Klub aus Potsdam? Eine Suche nach Antworten.
Auf dem Weg zum Auswärtsspiel in Halle hält der Mannschaftsbus des Chemnitzer FC an einer Ampel. David Bergner, der Trainer des Fußballteams, sitzt vorne und schaut aus dem Fenster. Da sieht er zufällig, wie rechts ein weißes Auto überholt. Es ist das Auto von Daniel Frahn, dem Kapitän und Torjäger des Chemnitzer FC, der wegen einer Muskelverletzung nicht spielen kann und als Zuschauer zu diesem Spiel im August 2019 fährt. Bergner sieht neben Frahn noch andere Personen im Auto. „Ich habe gedacht, er ist mit seiner Familie unterwegs und habe mich gefreut“, wird Bergner später erzählen. Aber Frahn ist nicht mit seiner Familie unterwegs, sondern mit mutmaßlichen Neonazis aus Chemnitz.
Abends nach dem Spiel wird Trainer Bergner von seinem Verein darüber informiert. Und Bergner erfährt noch mehr über seinen Kapitän, den wichtigsten Spieler des Chemnitzer FC: Frahn habe das Spiel gemeinsam mit führenden Mitgliedern der rechtsextremen Ultra-Gruppierung „Kaotic”, angesehen. Außerdem soll er ein Shirt der „Kaotic”-Ultras getragen haben, Aufschrift: „Titten zeigen für Karl-Marx-Stadt”. Zwei Tage später wird Frahn vom Verein fristlos gekündigt. Der Drittligist wirft ihm vor, mit Rechtsradikalen zu sympathisieren. Die Gesellschafter schreiben in ihrem Statement: „Daniel Frahn, für Sie ist beim Chemnitzer FC kein Platz mehr.”
Es ist ein Vorgang, der im deutschen Profifußball einmalig ist: Ein Fußballverein schmeißt seinen Kapitän raus, weil der Kontakte zu Rechtsextremen hat. Wie konnte es dazu kommen? Ist das überhaupt zulässig? Und wie denkt Daniel Frahn darüber?
Einige Erklärungen gab es bei einer Gerichtsverhandlung. Der 32 Jahre alte Frahn ging rechtlich gegen seine Kündigung vor, im Dezember 2019 verhandelte das Arbeitsgericht Chemnitz über den Fall. Der Spieler bekam recht. Die Kündigung ist unwirksam, weil die Gründe dafür nicht ausreichten, urteilte das Gericht. Vergangene Woche einigten sich der Klub und der Spieler, sie lösten den Vertrag auf.
„12:30 Daniel Frahn . /. Chemnitzer FC Fußball GmbH” steht an dem Tag der Gerichtsverhandlung im Dezember auf der Tagesordnung vor dem Sitzungssaal 7. Justizbeamte bauen einen Metalldetektor am Eingang des Gerichts auf, ein paar Polizisten stehen vor dem Gebäude. Gewaltbereite Fans kommen aber nicht, es bleibt ruhig im Arbeitsgericht. Frahn betritt mit seinen Anwälten und seinem Berater das Gebäude. Er geht durch den Metalldetektor, ein Justizbeamter tastet ihn ab. Dann begrüßt Frahn seine Familie und Freunde, die vor dem Sitzungssaal auf ihn warten.
Während der Verhandlung sitzt Frahn neben seinen zwei Anwälten. Er schmunzelt, wenn der Richter die Vorwürfe des Vereins vorträgt. Die Vorwürfe des Vereins sind heftig. Und sie zeigen, warum Frahns Verhalten beim Auswärtsspiel in Halle für einige keine große Überraschung war.
So soll Frahn bereits im August 2018 auf dem Stadtfest in Chemnitz mit Chris J. und Anton E. Kontakt gehabt haben. Der Verein beruft sich dabei auf Berichte von einem Polizisten. J. und E. gelten als führende Personen von „Kaotic Chemnitz”, einer Ultra-Gruppierung, die der sächsische Verfassungsschutz als rechtsextrem einstuft. Auf Facebook rief „Kaotic” nach einem Streit mit Todesfolge während des Stadtfests zu den Kundgebungen auf, bei denen es mehrere Ausschreitungen von Rechtsextremen gab.
Frahn ist zu dem Zeitpunkt schon lange einer der wichtigsten Spieler des Chemnitzer FC und vielen Fans in Deutschland bekannt. Erstmals erfolgreich war er bei Babelsberg 03, einem politisch linksorientierten Regionalligisten, der für seinen Kampf gegen Rechtsextremismus bekannt ist. „Frahni war ein Goalgetter. Der hat immer Gas gegeben”, erinnert sich ein ehemaliger Mitspieler bei Babelsberg am Telefon. Dass Frahn mit rechtsextremen Fans sympathisiert, kann er sich nicht vorstellen. „Da müsste er sich total verstellt haben. Ich glaube nicht, dass er so eiskalt und trotzdem in der rechten Szene ist.” Frahn hatte damals schon engen Kontakt zu Ultras. Danach wechselte er zu RB Leipzig und führte das Team als Kapitän von der Regionalliga in die Zweite Liga. 2016 unterschrieb Frahn einen Vertrag beim Chemnitzer FC. In der vergangenen Saison wurde er Torschützenkönig der Regionalliga Nordost, dank seiner Treffer gelang dem Klub der Aufstieg in die Dritte Liga.
Sein Trainer in dieser Zeit ist David Bergner. Auch er ist nicht mehr für den Chemnitzer FC aktiv. Ende August 2019 wurde er „freigestellt”, wie es offiziell heißt. In einem Café am Leipziger Hauptbahnhof spricht Bergner im Januar 2020 über die Ereignisse des vergangenen Jahres – und über seinen ehemaligen Spieler Daniel Frahn. „Für die Leute war er eine Galionsfigur. Viele Spieler sind gegangen, der Daniel ist immer geblieben”, sagt David Bergner. „Das Gesicht des Vereins war Daniel Frahn.”
„Das Gesicht des Vereins war Daniel Frahn”
Wie schon in Babelsberg und Leipzig ist Frahn in Chemnitz ein Publikumsliebling. Die Fans schätzen ihre Nummer 11 nicht nur für seine vielen Tore, sondern auch für seine hohe Identifikation mit dem Verein. Frahn, der mit seiner Frau und seinem Sohn in Chemnitz lebt, sucht häufig die Nähe zu den Fans, er geht nach den Spielen oft in die Kurve.
Besondere Nähe zu den Fans sucht Frahn auch am 09. März 2019, an dem Tag, der die Geschichte des Chemnitzer FC in ein Vorher und Nachher teilt. In Chemnitz sagen die Menschen nur „der neunte Dritte“. Dann wissen schon alle Bescheid, worum geht es geht.
An diesem Tag halten die Chemnitzer Fans vor dem Spiel gegen die VSG Altglienicke eine Trauerfeier für den verstorbenen Neonazi Thomas Haller ab. Haller hatte unter anderem die Hooligan-Gruppe „HooNaRa“ („Hooligans Nazis Rassisten“) gegründet. Auf der Südtribüne zeigen die Chemnitzer Fans ein Banner, auf dem in Frakturschrift „Ruhe in Frieden, Tommy“ steht. Außerdem hissen die Fans eine Fahne mit einem weißen Kreuz. Der Verein, der schon seit Jahren rechtsextreme Fans toleriert, kooperiert. Auf der Anzeigetafel wird ein Porträt von Haller eingeblendet und der Stadionsprecher sagt ein paar freundliche Worte.
In der 53. Minute trifft Daniel Frahn per Kopf zur Führung. Nach seinem Tor rennt er zur Seitenlinie. Dort gibt ihm der Physiotherapeut des Chemnitzer FC ein schwarzes Shirt in die Hand, das Frahn in die Luft streckt. „Support your local hools“ steht darauf. Es ist ein Shirt, das vor allem von Neonazis getragen wird. Mit dem Verkauf des Shirts sammelten die Ultras Geld für den erkrankten Haller.
Der Verein belegt Frahn mit einer Geldstrafe und veröffentlicht ein Statement, in dem sich Frahn entschuldigt. „Im Austausch mit unseren Fans habe ich eines Tages auch Thomas Haller kennengelernt. Mir persönlich gegenüber ist er nie politisch geworden. Ich bin weit davon entfernt, sein Gedankengut zu teilen“, wird Frahn zitiert. Er habe dem Wunsch der Fans nach gemeinsamen Gedenken entsprechen wollen. Dabei sei ihm nicht bewusst gewesen, dass „dieses T‑Shirt so tief in der Nazi-Szene verbreitet ist”. Auch auf seinem Instagram-Kanal distanziert sich Frahn von Neonazis. Das Sportgericht des Nordostdeutschen Fußballverbandes (NOFV) sperrt Frahn für vier Spiele, wovon zwei zur Bewährung ausgesetzt wurden. Zusätzlich muss er eine Geldstrafe zahlen.
Der 9. März sollte verheerende Folgen für den Chemnitzer FC haben. „Das war schon eine Zäsur und hat gezeigt, wie kaputt dieser Verein doch war“, sagt der ehemalige Trainer Bergner. Mehrere Sponsoren stiegen aus, in Deutschland war der CFC jetzt als Naziverein bekannt. „Der Verein war wirklich am Wanken. Wir haben die nächsten zwei Spiele verloren, weil die Spieler damit nicht umgehen konnten“, sagt Bergner. In den folgenden Monaten geht der Klub stärker gegen rechtsextreme Fans vor und erteilt Stadionverbote gegen Mitglieder von „Kaotic”.
Für Frahn gibt es keine weiteren Konsequenzen im Verein. Im Gegenteil: Bergner bestimmt ihn im Trainingslager Anfang Juli 2019 sogar zum Kapitän für die neue Saison. „Er hatte einen sehr, sehr hohen Stellenwert in der Mannschaft. Keiner hat gedacht, dass wir einen anderen Kapitän nehmen als Daniel.“ Frahns Verhalten am 9. März spielt zu dem Zeitpunkt für Bergner und sein Trainerteam keine Rolle mehr. „Er hat uns glaubwürdig mitgeteilt, dass es ein einmaliger Fehler war, den er bereut. Ich habe ihm geglaubt und habe ihm gesagt: Wir lassen dich nicht fallen. Er war dankbar dafür.” Um sicher zu gehen, führt der Trainer ein Gespräch mit seinem neuen Kapitän und versucht, Frahn die Bedeutung als Kapitän in der Öffentlichkeit klarzumachen. Bergner ist zuversichtlich: „Ich hatte das Gefühl, dass er es verstanden hat.“
Nur einen Monat später, im August 2019, fährt Frahn in seinem Auto mit dem mutmaßlichen Rechtsextremen Chris J. zum Auswärtsspiel nach Halle. Das Gericht sieht das als „unstrittig” an. Es ist jene Fahrt, die Trainer Bergner vom Teambus aus beobachtet. Frahn kommt nicht in die Chemnitzer Kabine, wie es verletzte Spieler von Fußballteams normalerweise machen, um das Team zu motivieren. Stattdessen guckt Frahn neben den als rechtsextrem bekannten Ultras das Spiel – obwohl der Pressesprecher des Chemnitzer FC Frahn zuvor per WhatsApp noch darauf hingewiesen hatte, aufzupassen, mit wem er zusammen im Block steht. Im Leipziger Café sagt Trainer Bergner rückblickend über die Wahl von Frahn als neuem Kapitän: „Das zeugt natürlich davon, dass ich die Entscheidung falsch getroffen habe.“
Der Spieler, der nach dem Hochhalten des Shirts am 9. März 2019 noch öffentliche Reue gezeigt hatte, erkennt dagegen keine Verfehlung. Bergner erzählt, dass er abends nach dem Spiel in Halle noch bei Frahn angerufen habe. Ob es etwas zu besprechen gäbe, habe Bergner gefragt. Nein, habe Frahn geantwortet. Es ist das letzte Telefonat, was Bergner mit Frahn führen wird. Seitdem haben die beiden keinen Kontakt mehr. „Er hat die Sache unterschätzt. Er hat wirklich gedacht, er macht das einfach so, er ist Daniel Frahn, da wird nichts passieren”, sagt Bergner.
Zwei Tage nach dem Spiel in Halle kündigt der Verein Daniel Frahn fristlos. Zu dem Kündigungsgespräch in der Geschäftsstelle kommt Frahn in einem Kapuzenpullover, „Loyal” steht auf der Brust, auf seiner Kappe ist der gleiche Schriftzug. Vor dem Gebäude des Vereins sichern Polizisten ab. In dem Gespräch sollen die Verantwortlichen des Klubs Frahn eine „einvernehmliche” Trennung angeboten haben – mit der Bedingung, sich von seiner rechtsextremen Stadionbegleitung zu distanzieren. Das lehnte Frahn ab.
„Er war sich keiner Schuld bewusst. Er war immer der Meinung, das sei seine persönliche Sache und er fährt dort als Daniel Frahn hin und nicht als Kapitän des Chemnitzer FC”, sagt Trainer Bergner. Die Anwälte des Fußballspielers sagen vor Gericht, dass Frahn nichts über den rechtsextremen Hintergrund von J. gewusst hätte. J. hätte sich dem Fußballer nie so vorgestellt, sagt Frahns Anwalt. „Das ist eine Schutzbehauptung”, sagt Bergner, der als Cheftrainer Frahns Kontakt mit den Ultras verfolgt hat. „Ich bin zu 100 Prozent der Meinung, dass er wusste, wer das ist.”
Das Arbeitsgericht in Chemnitz urteilt anders. Der Vorsitzende Richter unterstützt Frahns Argumentation und gibt ihm Recht. Außerdem habe es keine offenkundig rechtsradikalen Äußerungen von Frahn gegeben und der Verein habe den Spieler nicht ausreichend gewarnt. „Wir sehen unseren Mandanten als vollständig rehabilitiert“, sagt Frahns Anwalt nach dem Urteilsspruch, „die Entscheidung zeigt, dass Herr Frahn weder rechtsradikal ist noch dass er mit rechtsradikalen Kreisen sympathisiert.” Was Frahn im Detail über die Ereignisse des vergangenen Jahres denkt, bleibt unklar. Gegenüber dem Autor möchte sich der Spieler trotz mehrfacher Nachfrage nicht äußern.
Zunächst wollte er wieder für den Chemnitzer FC spielen. „Er ist ein sympathischer und sportlicher Leistungsträger, der dem Verein gut tut”, sagte Frahns Anwalt im Gerichtssaal. Das sehen viele Chemnitzer Fans ähnlich. Im ersten Spiel nach dem Rauswurf hielten sie Zettel mit Frahns Nummer 11 hoch. Als damals die Mannschaftsaufstellung verlesen wurde, riefen sie zwölfmal „Daniel Frahn Fußballgott”. Und auch in den Online-Foren der Fans ist die Solidarität hoch. Im Verein glaubten die Verantwortlichen aber nicht, dass Daniel Frahn dem Chemnitzer FC gut tut. Das Urteil sei ein Skandal, sagte der Insolvenzverwalter des Klubs und kündigte an, in Berufung zu gehen.
„Aber ich bin kein Nazi”
Doch seit Mittwoch ist der Konflikt zwischen Frahn und dem Chemnitzer FC beendet. Der Vertrag wurde „im Einvernehmen von beiden Seiten aufgelöst”, wie Frahn auf seiner Facebook-Seite schrieb. Danach ging alles ganz schnell: Kurz vor Ende der Transferfrist am Freitagabend verkündete Babelsberg 03, seinen ehemaligen Spieler wieder unter Vertrag zu nehmen. Es sei eine kritische und intensive Auseinandersetzung in den Gremien des Vereins gewesen, heißt es in der Pressemitteilung. Doch man habe sich entschieden, Frahn eine „zweite Chance“ zu geben. „Ich habe in der Vergangenheit Fehler gemacht. Ich habe Situationen, Hintergründe und Leute nicht ausreichend hinterfragt und bin somit auch meiner Rolle als Kapitän und Spieler nicht gerecht geworden. Aber ich bin kein Nazi und distanziere mich eindeutig von rechtem Gedankengut und Menschen mit dieser politischen Einstellung“, wird Frahn zitiert. Es sind Worte, die einem Statement vom vergangenen Jahr sehr ähneln, nur damals war Frahn noch bei einem anderen Verein.
Nun ist Frahn zurück in Babelsberg, bei einem Verein, der 2017 die Kampagne „Nazis raus aus den Stadien“ gestartet hat.