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Am Ende herrschte das pure Gefühls­chaos, einige der soma­li­schen Natio­nal­spieler weinten süße Tränen der Freude, manche lagen sich in den Armen, andere rannten eksta­tisch über den grünen Rasen, als würden sie von wild gewor­denen Hor­nissen gejagt. Alle zusammen hatten sie am Don­nerstag ver­gan­gener Woche His­to­ri­sches voll­bracht, denn: Soma­lias 1:0‑Sieg über Sim­babwe im Hin­spiel der Vor­qua­li­fi­ka­tions-Aus­schei­dung zur Welt­meis­ter­schaft 2022 war zugleich der erste Sieg der Ocean Stars“ in einem offi­zi­ellen Qua­li­fi­ka­tions-Match seit ziem­lich genau 35 Jahren.

Fahr­schule im Not­be­trieb

Rein sport­lich betrachtet, ist dieser Erfolg seit dem gest­rigen Dienstag ent­wertet: Die Ost­afri­kaner haben das Rück­spiel in Sim­babwe mit 1:3 ver­loren, und der ver­we­gene Traum von der WM-Teil­nahme ist aus­ge­träumt – noch bevor die eigent­liche Qua­li­fi­ka­tion auf dem Kon­ti­nent über­haupt begonnen hat. Aber, hey, wen küm­mert das? Aus emo­tio­naler Sicht sind die Somalis min­des­tens Welt­meister seit diesem magi­schen Don­ners­tag­abend im Nach­bar­land Dschi­buti, wo das von Bür­ger­krieg und Terror gebeu­telte Land sein Heim­spiel gegen Sim­babwe hatte aus­tragen müssen.

Zur selben Zeit, als in Dschi­buti ein gewisser Anwar Sidai Shake per Kopf das gol­dene Tor für die Somalis erzielte (man schrieb die 86. Spiel­mi­nute), lief die Fahr­schule Roll Safe“ im eng­li­schen Man­chester vor­über­ge­hend auf Not­be­trieb. Ich hatte meinen Fahr­schü­lern mit­ge­teilt, dass ich eine Weile weg sein würde, weil ich inter­na­tional spielen müsse“, erzählte Chef und Betreiber Mohamud Ali im Gespräch mit der bri­ti­schen BBC. Die Schüler hätten natür­lich gern weiter Fahr­stunden genommen, ande­rer­seits waren sie ziem­lich happy für mich – und ich bin ja bald wieder zurück, das habe ich ihnen fest ver­spro­chen.“

Abwehr­chef und Flan­ken­gott

Mohamud Ali, der wochen­tags als Fahr­lehrer auf den Straßen von Man­chester her­um­cruist, führt eine Art Drei­fach­leben. Am Wochen­ende ist er als Innen­ver­tei­diger beim Curzon Ashton Foot­ball-Club in der 6. eng­li­schen Liga tätig. Am ver­gan­genen Don­nerstag aber avan­cierte der 25-jäh­rige Hüne zum Volks­helden – als Turm in der Abwehr­schlacht. Auch Moha­muds Bruder nahm eine tra­gende Rolle ein: Ahmed Ali trug stolz die Kapi­täns­binde, wäh­rend er dem Kol­legen Shake mit einer but­ter­wei­chen Links­flanke das his­to­ri­sche Siegtor auf­legte.

Dass aus­ge­rechnet zwei Brüder aus Eng­land zu natio­nalen Ikonen Soma­lias avan­cierten, vermag nur auf den ersten Blick zu über­ra­schen. Die Fuß­ball­aus­wahl der 15-Mil­lionen-Ein­wohner-Nation speist sich zu einem Groß­teil aus der soma­li­schen Dia­spora, sprich: aus Flücht­lingen, die dem bar­ba­ri­schen Treiben der isla­mis­ti­schen Al-Shabaab-Miliz sowie anderer Ver­bre­cher­banden im Land ent­kommen wollten. Manche flohen auch, um ihre kleinen Töchter vor der in Somalia übli­chen Geni­tal­ver­stüm­me­lung zu retten. Allein in Europa leben laut Schät­zungen rund 300.000 Somalis – und sie alle dürfen nun stolz sein auf ihre Ocean Stars“, wie das Team in Anspie­lung auf die Natio­nal­flagge (weißer Stern auf oze­an­blauem Grund) genannt wird.

Wir haben im Hin­spiel einen wahr­haften Riesen erlegt“, schwärmte Mohamud Ali, der Fahr­lehrer, nach dem Sieg über den dies­jäh­rigen Afrika-Cup-Teil­nehmer Sim­babwe (112. der Welt­rang­liste). Sie waren das am höchsten gerankte Team in der gesamten Vor­qua­li­fi­ka­tions-Aus­schei­dung, wir hin­gegen waren das am nied­rigsten gerankte Land. Nie­mand hätte gedacht, dass wir gegen sie gewinnen könnten – damit haben wir jetzt schon unseren Platz in den Geschichts­bü­chern sicher.“

Somalia – keiner in Afrika ist schlechter

Die Sta­tistik gibt Mohamud Ali mehr als Recht: Für Somalia, das kaum ein funk­tio­nie­rendes Staats­wesen, geschweige denn halb­wegs pro­fes­sio­nelle Fuß­ball­struk­turen, vor­weisen kann, war das 1:0 über Sim­babwe der erste Län­der­spiel-Sieg über­haupt im 28. inter­na­tio­nalen Kräf­te­messen seit 2009. Damals fei­erte das Land am Horn von Afrika einen 1:0‑Sieg in einem Freund­schafts­kick gegen Tan­sania.

Die sport­liche Durst­strecke seither war so zeh­rend, dass die Somalis in der offi­zi­ellen FIFA-Welt­rang­liste auf Platz 202 (von 211) zurück­ge­fallen sind. Keine andere afri­ka­ni­sche Fuß­ball­na­tion ist schlechter; selbst Liliput-Länder wie die Cook-Inseln (190.), Monts­errat (196.) oder Ost­timor (201.) ran­gieren im Ran­king des Welt­ver­bandes noch klar vor Somalia.

Helden von Dschi­buti

Und so ist es die Freude des abso­luten Under­dogs, die Mohamud Ali und die anderen Helden von Dschi­buti“ trotz der Rück­spiel-Pleite fest im Griff hat. Der Sieg war sehr emo­tional“, erklärt Mohamud Ali, wirk­lich sehr emo­tional. Allein das Gefühl, dass Mil­lionen Men­schen in allen Win­keln der Welt dieses Spiel gesehen haben – und dann hat mein Bruder auch noch die ent­schei­dende Tor­vor­lage gegeben. Wir zwei haben uns danach kurz umarmt und einen sehr per­sön­li­chen Moment erlebt. Schließ­lich sind unsere Eltern beide in Somalia geboren, und sie sind jetzt sehr stolz auf uns.“

Mohamud Ali, sein Bruder Ahmed und all die anderen tap­feren soma­li­schen Kicker dürfen sich also getrost weiter feiern lassen. Ach ja, und spä­tes­tens ab Don­nerstag soll dann in der Fahr­schule Roll Safe“ in Man­chester wieder Nor­mal­be­trieb herr­schen. Ver­spro­chen ist schließ­lich ver­spro­chen.