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Es gibt Tage, die sieht man kommen. Von weit her, wie einen Mann, der über eine leere Wiese langsam auf einen zugeht. Aber wenn sie schließ­lich da sind, ist man den­noch über­rascht: Jetzt schon? Warum so plötz­lich? 

Der Hei­lig­abend ist so ein Tag, der einen oft­mals auf dem fal­schen Fuß erwischt. Ja, ist denn heut’ schon Weih­nachten? Auch wenn große Per­sön­lich­keiten im hohen Alter von uns gehen, trifft uns das trotz der Unwei­ger­lich­keit seltsam uner­wartet. Und heute ist noch so ein Tag: BVB-Trainer Jürgen Klopp hat um die Auf­lö­sung seines Ver­trages zum Sai­son­ende gebeten. 

Eine Nach­richt, die die Bun­des­liga erschüt­tert“, schreibt Spiegel Online“. Die Erschüt­te­rung ist unbe­streitbar, man kann sie messen auf der nach oben offenen Hast du schon gehört?“-Skala. Zuletzt schlug sie beim Rück­tritt von Papst Bene­dict XVI. am 13. Februar 2013 derart stark aus. Und doch war abzu­sehen, dass auch Klopp, der Bischof von Bra­ckel, nicht für immer im Amt bleiben würde. 

Echte Liebe“ – er lebte, schenkte und hielt sie aus

Es ist viel­mehr erstaun­lich, dass er es sieben Jahre blieb. Eine ver­dammt lange Zeit für einen Mann, der sich mental, spi­ri­tuell und emo­tional derart ver­aus­gabt hat wie er. Er brachte nicht nur die Echte Liebe“ zurück nach Dort­mund – er lebte sie, schenkte sie und hielt sie auch aus. Er war wie eine Kerze, die an beiden Enden brennt. Oder besser: Wie ein Motor, der dau­er­haft auf Hoch­touren läuft.

Das­selbe gilt für seine Mann­schaft, die er ab 2008 formte, mit der er 2011 und 2012 Meister wurde und 2013 beinah die Cham­pions League gewann. Zu sagen, dass die Spieler über ihre Ver­hält­nisse spielten, würde ihrem Talent nicht gerecht werden. Klopp holte aus ihnen heraus, was in ihnen steckte. Doch sie spielten oft jen­seits der Schmerz­grenze. Sie boten ihrem Publikum einen begeis­ternden, hoch­in­ten­siven Angriffs­fuß­ball, der schon beim Hin­sehen Kraft kos­tete. Und man fragte sich: Wie lang mag das wohl gut gehen? 

Der Ver­schleiß wurde spä­tes­tens in der Hin­runde der lau­fenden Saison offenbar: Die Zahl der Ver­letzten und aus­ge­brannt wir­kenden BVB-Akteure über­stieg die der fitten, der Absturz auf den letzten Tabel­len­platz war die Folge. Hinzu kam die demo­ra­li­sie­rende Wir­kung der Abgänge: Zuerst Mario Götze und dann Robert Lewan­dowski ver­ließen die Bande der Wilden Kerle und schlossen sich dem Estab­lish­ment an – dem FC Bayern, wo man mit gerin­gerem Auf­wand den höheren Ertrag erzielt. Opti­miertes Con­troller-Tiki-Taka versus selbst­aus­beu­te­ri­scher Startup-Kraftakt. Manch in Dort­mund Ver­blie­bener wird sich in jenem fins­teren Herbst gefragt haben: Warum bin ich eigent­lich noch in Bra­ckel und ver­heize mich selbst, statt in Mün­chen im Wär­me­be­cken zu liegen? 

Man muss das nicht als Ana­logie auf die moderne Exis­tenz lesen, die viele Fuß­ball­fans selbst führen. Aber man kann: Auch sie befinden sich in einer Pres­sing­ma­schine. Im BVB beju­belten sie sich lange auch selbst. Auch sie wollen Echte Liebe“ emp­finden bei dem, was sie tun, und sei es das Pro­gram­mieren einer sinn­losen App. Sie wollen von ihren Kol­legen geliebt werden und den­noch besser sein als sie. Sie wollen von ihrem Chef geliebt werden und hoffen, dass er sie statt mit einer chrom­glän­zenden Espres­so­ma­schine mit echtem Geld belohnt. Sie arbeiten, als gäbe es kein Morgen, in der vagen Hoff­nung, eines Tages in ruhi­gere Fahr­wasser zu wech­seln. Zu einer Art FC Bayern ihrer Branche. Statt­dessen kommt allzu oft der Tag, an dem es ein­fach nicht mehr geht. Man nennt das Burnout.

Ein Fuß­ball­verein erhält keine medi­zi­ni­sche Dia­gnose. Er kann sich nicht krank­schreiben lassen, der Spiel­plan duldet keine Ruhe­pause. Er holt statt­dessen einen neuen Trainer. Thomas Tuchel soll nun Jürgen Klopps Nach­folger werden, wie schon in Mainz. Klopp selbst wollte es so.

Seinen Abschied hat er am ver­gan­genen Wochen­ende mit Hans-Joa­chim Watzke und Michael Zorc in aller Freund­schaft beschlossen, ver­kündet werden sollte er jedoch erst nach dem Spiel gegen Pader­born am kom­menden Samstag. Doch dann hätte Tuchel schon vom Markt sein können, also schuf man Fakten. Tuchel ist ein Typ wie Klopp, ein Typ, der im roten Bereich arbeitet, redet, denkt, lebt, duscht, schläft. Man sieht den Tag kommen, an dem es auch bei ihm nicht mehr geht. Über­rascht sein wird man natür­lich trotzdem. 

Jürgen Klopp will sich jetzt erst einmal frei nehmen. Er hat es sich ver­dient. Sein Hurra-Fuß­ball, sein Hurra-Coa­ching, seine ganze Hurra-Art haben die Liga berei­chert. Dass man mit ihm über­säu­erte, als im Laufe des letzten halben Jahres seine Schwie­rig­keiten, mit Nie­der­lagen umzu­gehen, allzu augen­fällig wurden und sein Humor ins Bra­chiale oszil­lierte – geschenkt!

Wird Tuchel das Feuer noch einmal ent­fa­chen können? 

Es wird span­nend sein zu sehen, wie der BVB ohne Klopp fort­lebt. Wird Tuchel das Feuer noch einmal ent­fa­chen können? Findet er die Spieler, die mit ihm durch dieses Feuer gehen wollen und können? Oder ist die Stra­tegie der anderen Borussia aus Mön­chen­glad­bach lang­fristig erfolg­rei­cher: lieber den Ball laufen zu lassen als die Spieler, lieber aufs Hirn zu hören als aufs Herz, lieber eine grund­so­lide Ehe zu führen als sich an echter Liebe“ zu berau­schen?

Am ver­gan­genen Wochen­ende verlor der BVB in Glad­bach mit 1:3. Als Ciro Immo­bile in der 87. Minute weit übers Tor schoss, schmun­zelte Jürgen Klopp an der Sei­ten­linie. Er sah sehr müde aus.