David Alaba ist häufig der Erste: Mit 14 Jahren spielte er für Österreichs U17, mit 15 stand er im Profikader von Austria Wien, er ist der jüngste Bayern-Spieler aller Zeiten und wird als erster Österreicher in einem Champions-League-Finale spielen. Das Porträt eines Aufsteigers.
Einmal, im Herbst 2003, trat Oliver Kahn ziemlich wütend vor das Mikrofon eines Reporters und versuchte eine 0:2‑Niederlage gegen den FC Schalke 04 zu erklären. Damals fand er jenes berühmte Resümee, das heute in jede Kreisliga-Kabine oder Bundesliga-Sprüchesammlung gehört: „Eier“, sagte Kahn, „wir brauchen Eier.“ Er dachte dabei vermutlich an sich und an Stefan Effenberg, bellende Brust-raus-Kämpfer, Männer mit Nahkampferfahrung und einem Selbstbewusstsein bis zum Mond – Typen mit Eiern eben. Die Sache war nur: Effenberg spielte mittlerweile in Doha, und er selbst, nun ja, alles konnte er auch nicht richten.
Der FC Bayern hatte danach eine Menge Spieler aus jener Eier-Kategorie in seinen Reihen: Mark van Bommel zum Beispiel. Michael Ballack, auch der. Und heute? Klar, eine Menge! Oder? Moment! Heute ist irgendwie alles anders. Denn Bayerns Vorzeige-Eiermann ist nunmehr ein filigraner, zarter Junge, unaufgeregt, zurückhaltend, 20 Jahre jung, 1,80 Meter groß, Österreicher. Er heißt David Alaba. Hätte Kahn damals an einen solchen Spieler gedacht?
Alaba ist immer der Erste
Eine Szene aus dem März 2012. DFB-Pokal, Halbfinale, Bayern gegen Mönchengladbach, Elfmeterschießen. David Alaba legt den Ball auf den Punkt und nimmt Anlauf. Er ist der erste Schütze seines Teams. Ein kurzer Blick, ein strammer Schuss mit links ins rechte untere Eck, Marc-André ter Stegen hat keine Chance, 1:0.
Eine andere Szene, ebenfalls 2012, drei Wochen später. Wieder ein Halbfinale, dieses Mal Champions League, Bayern gegen Real Madrid. Alaba ist wieder der erste Schütze seines Teams, wieder derjenige, der die erste Ansage macht. Ein kurzer Anlauf, ein Blick, Iker Casillas fliegt nach links, Alaba legt den Ball rechts rein.
David Alaba ist bei diesen Spielen 19 Jahre alt. Einer, der sich eigentlich bei den Platzhirschen hinten anstellen müsste. Doch er ist der Spieler, der vorneweg marschiert. Alaba ist und war immer der Erste.
Das fing schon in der Jugend an. Mit 14 Jahren durfte er für die österreichische U19 auflaufen, mit 15 stand er im Profikader von Austria Wien, mit 17 Jahren und 232 Tagen war er der jüngste Spieler, der jemals für den FC Bayern in einem Pflichtspiel auflief. Im Dezember 2011 wurde er von den Trainern der österreichischen Bundesliga als bisher jüngster Spieler zu „Österreichs Fußballer des Jahres“ gewählt. Und am 25. Mai wird er der erste österreichische Fußballer sein, der in einem Champions-League-Finale mitspielt.
Die Angst vor der Rückkehr
Vielleicht wäre alles ganz anders gekommen, wenn Jupp Heynckes nicht gewesen wäre. Vielleicht würde David Alaba in diesen Tagen in irgendeinem Sinsheimer oder Zuzenhausener Café mit Platzdeckchen und Blick auf die Elsenz sitzen und sich ein bisschen über den Relegationsplatz freuen. Vielleicht hockte er jetzt neben Daniel Williams, Sven Schipplock oder Tobias Weis und würde darüber nachdenken, wie man gegen Kaiserslautern gewinnen kann.
Denn damals, im Sommer 2011, wollte der nach Hoffenheim verliehene Alaba eigentlich gar nicht zurück nach München. Bei der TSG hatte er immerhin einen Stammplatz, und mehr noch, er war so was wie ein Führungsspieler geworden, einer, auf den man sich verlassen konnte.
Und beim FC Bayern? Da wartete das Superstar-Ensemble um Franck Ribery, Arjen Robben, Manuel Neuer, Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Thomas Müller und all die anderen. Wer war er schon?
Er war David Alaba, der Nachwuchskicker aus Österreich, geboren und aufgewachsen in Wien. Seine Mutter, eine Filipina, arbeitete als Krankenschwester. Wie sie war auch sein Vater George, ein Nigerianer, 1984 nach Deutschland gekommen. Er fing an, Wirtschaftswissenschaften zu studieren. Später wurde oft behauptet, er lebe in politischem Asyl, was aber nicht stimmte. Vielmehr verdingte er sich als Musiker und landete mit der Gruppe „Two in One“ sogar einen österreichischen Chart-Hit.
Eines Tages nahm ihn sein Vater mit zum lokalen Klub SV Aspern, dort standen sie am Zaun und sahen den anderen Jungs beim Kicken zu, bis sein Vater irgendwann fragte, ob sein Sohn nicht auch mal mitspielen dürfe.
Er durfte. Und Emanuel Dahner, sein erster Jugendtrainer, war so begeistert, dass er den Jungen sofort beim Verein und dann beim Verband anmeldete. Es gab Tage, da gab es in der F‑Jugend des SV Aspern nur eine Anweisung, und die lautete: „Alle Bälle zu David!“ In seiner ersten Saison soll der Achtjährige über 90 Tore geschossen haben, und als er zwei Jahre später zu Austria Wien wechselte, weinte Dahner, denn er wusste, dass so einer nie wiederkommen würde.
Bei Austria Wien traf Alaba seine nächsten Förderer. Da war Ralf Muhr, Leiter der Jugendabteilung, der einmal im „Focus“ sagte: „Mir gefiel dieser Junge, der immer alles richtig machte.“ Das dachte sich auch Thomas Janeschitz, zwischen 2002 und 2005 Trainer der zweiten Austria-Mannschaft. Er setzte Alaba erstmals 2008 bei einem Zweitligaspiel gegen Red Bull Salzburg II ein. Alaba war 15 Jahre alt. Die Partie ging verloren, trotzdem befand Janeschitz die Leistung von Alaba als gut und das sagte er ihm nach dem Schlusspfiff. „Doch das wollte er nicht hören. Wir hatten verloren, und David will eben immer gewinnen.“
„Er weiß nicht, dass er Verteidiger ist“
Alaba machte fünf Spiele, und dann ging es nach München. Hier traf er auf Louis van Gaal, noch so ein Fan von ihm. Zwischenzeitlich bügelte der General sogar Diskussionen um mögliche Neuverpflichtungen mit dem Hinweis ab: „Wir haben Alaba“. Denn Alaba, dieser Wunderknabe, konnte vier Positionen spielen. Er selbst sagte einmal, dass er am liebsten im Mittelfeld spiele. Louis van Gaal sah ihn allerdings auf einer anderen Position: „Er ist ein linker Verteidiger, er weiß es nur noch nicht.“ Wie konnte er auch, er hatte diese Position noch nie zuvor gespielt.
Unter Van Gaal debütierte David Alaba am 10. Februar 2010 in einem Pokalspiel gegen Greuther Fürth, bei dem ihm eine sehenswerte Vorlage und auch sonst sehr viel gelang. Weiter ging es am 6. März 2010 in der Bundesliga. Der Gegner hieß 1. FC Köln, ein unspektakuläres 1:1, Alaba durfte 18 Minuten ran. Van Gaal reichte das allerdings, um ihn drei Tage später in der Champions League über die komplette Spielzeit zu bringen, 90 Minuten gegen den AC Florenz. 17 Jahre alt war er da.
In der Saison folgten noch zwei Bundesligaspiele und ein Kurzeinsatz in der Champions League. Und dann das Leihgeschäft mit Hoffenheim. Es ging nur um eines: spielen, spielen, spielen. So hatte es ja auch Philipp Lahm gemacht, als er einst als 19-Jähriger zum VfB Stuttgart gewechselt war, um zwei Jahre später als gestandener Bundesligaspieler zurückzukehren.
„Doch froh, wieder hier zu sein.“
Und als er dort im Sommer 2011 saß, sah es zunächst nicht so aus, als würde er heimkehren wollen. Bis, ja, bis Jupp Heynckes anrief. Was ihm der neue Trainer des FC Bayern versprach, ist nicht überliefert. Doch es überzeugte Alaba. Schon nach wenigen Wochen sagte er: „Jetzt bin ich doch froh, wieder hier zu sein.“
In München staunen sie seitdem, wie viel ein so junger Spieler richtig machen kann, mit welcher Konstanz und Verbesserungswillen er agiert. In der Saison 2011/12 hat Alaba 30 Spiele gemacht, in der abgelaufenen Spielzeit, nach seiner Verletzungspause zu Beginn, 23 Partien bestritten. So eine explosive Entwicklung haben sie zuletzt bei Thomas Müller gesehen. Oder vielleicht ist es noch länger her, bei Philipp Lahm.
Alaba gegen Barca
Eine andere Szene, April 2013, Champions League, Halbfinal-Rückspiel, Bayern gegen den FC Barcelona. Es läuft die 48. Minute. David Alaba führt den Ball in er eigenen Hälfte am Fuß, dann ein Pass – und was für einer. Der Ball ist lange in der Luft, fliegt und fliegt, vielleicht 50, wahrscheinlich sogar 60 Meter. Dann nimmt Robben den Pass halbrechts vor dem Tor auf. Eine typische Robben-Situation, er geht an seinem Gegenspieler vorbei und drückt den Ball ins linke obere Eck. Bayern steht im Finale der Champions League. Und Alaba?
Der jubelt ein bisschen, dann zieht er sich um, setzt sich Kopfhörer auf und geht an den Reportern vorbei zum Mannschaftsbus, als wäre nichts gewesen.