Eine Zeit lang hatte man das Gefühl, der FC Barcelona würde auch ohne Trainer seine Gegner aus dem Stadien schießen. Doch als der erkrankte Tito Vilanova fehlte, kehrte ein vergessenes Gefühl zurück: Die Übermannschaft verlor Spiele.
Natürlich hat er nichts gesagt. Das überlässt Tito Vilanova gern anderen. Der Trainer des FC Barcelona ist kein großer Redner, kein Rhetoriker wie sein Vorgänger Pep Guardiola. Keiner, der die Chemie seiner Umgebung mit Worten ändern kann. Schon gar nicht redet er gern vor Publikum. Man könnte fast sagen, Tito Vilanova hasst öffentliche Auftritte.
Am Montagabend trat also wieder Jordi Roura vor die Mikrophone und beantwortete die Fragen der Journalisten vor dem Hinspiel im Halbfinale der Champions League gegen den FC Bayern München. So macht das Roura schon seit einigen Monaten, vor den Spielen redet er. Erst, weil Vilanova nicht da war und jetzt, nach dessen Rückkehr, um seinem Chef eine lästige Aufgabe abzunehmen. Besser gesagt, um ihn zu schonen.
„Tito ist unser Tainer. Er leitet unser Projekt!“
Tito Vilanova ist nämlich noch nicht hundertprozentig wieder bei Kräften. Knapp ein halbes Jahr ist es jetzt her, dass bei ihm Ohrspeicheldrüsenkrebs diagnostiziert wurde. Zum zweiten Mal nach 2011. Die Krankheit war wieder zurückgekehrt. Und mit ihr die Gewissheit, dass die Behandlung dieses Mal mehr Zeit in Anspruch nehmen würde. Wie lange Vilanova ausfallen würde, war im Dezember nur vage abzusehen. Genau wusste das niemand. Just in dieser Zeit überraschte Barcelonas Sportdirektor Andoni Zubizarreta mit der Aussage: „Tito ist unser Tainer. Er leitet unser Projekt.“ Schluss. Aus. Fertig.
Überraschend deshalb, weil Barcelona Gefahr lief, den Rest der Saison ohne Trainer auskommen zu müssen. Oder länger. Zubizarreta aber konnte sich das Festhalten an Vilanova leisten. Die Mannschaft hatte unter dem neuen Trainer einfach so weiter gepasst und gespielt wie zu Zeiten Guardiolas. Die Maschine lief weiter, ganz gleich, von wem sie nun ihre Instruktionen entgegen nahm. Nur gab es eine kleine Änderung zur Guardiola-Zeit: Man war noch erfolgreicher. Barcelona spielte die beste Hinrunde in der Geschichte der Primera Division, von 19 Spielen gewann man 18. Nur gegen Real Madrid gab es ein 2:2. Zu Weihnachten war die Meisterschaft bereits zugunsten Barcelonas entschieden. So konnte man einen Versuch wagen, der so und vor allem auf diesem Niveau, noch nicht unternommen wurde.
Ohne echten Mittelstürmer, ohne echten Trainer
Der Futbol Club Barcelona spielte nicht nur ohne echten Mittelstürmer, sondern auch ohne echten Trainer. Als solcher kam Vilanovas Assistent Jordi Roura nie ernsthaft in Frage. Der rundliche Assistent mit der stämmigen Statur ist nicht nur äußerlich das komplette Gegenteil von Vilanova. Er hat bisher kaum als Trainer gearbeitet, außer einem misslungenen Engagement beim unterklassigen Vorortklub L’hospitalet verdingte er sich hauptsächlich als Spielerbeobachter. Die Verantwortlichen störte das nicht, sie waren wohl längst davon überzeugt, dass diese Mannschaft auch ohne Trainer auskommen kann.
Sie konnte nicht. Vilanova weilte einige Wochen in New York zur Behandlung, da begann die Maschine zu stottern. Barcelona lernte ein fast schon in Vergessenheit geratenes Gefühl wieder kennen: Man verlor Spiele, und das völlig zurecht. Nicht so wie gegen Inter Mailand oder den FC Chelsea, als man mit einer Mischung aus Pech und Unvermögen aus der Champions League ausschied. Nein, dieses Mal war es anders. Gegen den AC Mailand und zwei Mal gegen Real Madrid verlor man, weil die anderen besser waren. Barcelona wirkte in diesen Spielen matt und uninspiriert. Der unerschütterliche Wille an die eigene Stärke bröckelte. „Vielleicht sind wir gar nicht so gut, wie alle immer behaupten“, sagte Gerard Piqué nach dem 0:2 in Mailand.
Der Trainer, der die Spieler in dieser psychologisch schwierigen Situation wieder hätte aufrichten können, er fehlte. Da half es auch nichts, dass die Spiele und sogar die Trainingseinheiten des Teams zu Vilanova nach New York übertragen wurden. Barca gab sich alle Mühe, den Eindruck zu erwecken, der Trainer wäre trotz seiner Behandlung am anderen Ende des Atlantiks nah bei der Mannschaft. Es hieß, Vilanova würde während der Spiele Telefonkontakt zum Trainerteam halten und über Ein- sowie Auswechselungen entscheiden. Aber es waren nicht nur seine Anweisungen, die fehlten. Es war seine Präsenz.
Roura war mit der Situation überfordert
Als Jugendtrainer hatte er unter anderem die Generation um Gerard Piqué, Cesc Fabregas und Lionel Messi trainiert, die Spieler vertrauen ihm seit ihren Kindertagen. Roura dagegen war mit der Situation sichtlich überfordert, als Dirigent fehlte ihm für das beste Orchester der Welt die Qualifikation. Stattdessen flüchtete er sich in Phrasen und brummte auf den Pressekonferenzen schwer Begreifliches: „Madrid hatte heute einfach das Glück auf seiner Seite“, sagte er, nachdem Real den Liga-Clasico mit einer besseren B‑Elf 2:1 gewonnen hatte.
In dieser Zeit verlor Barcelona nicht nur Spiele, sondern auch die Aura der Übermannschaft. Es tauchten Fragen auf: Wie gut ist die Mannschaft noch? Verfügt sie nach all den Titeln immer noch über ausreichend Motivation? Oder sind andere inzwischen hungriger? Etwa der FC Bayern? Das Experiment, ohne Trainer auskommen zu können, war zu diesem Zeitpunkt längst gescheitert. Als erster sprach Dani Alves aus, dass alle unter der Abwesenheit Vilanovas leiden. „Es wäre sehr gut, wenn er jetzt hier wäre. Wir sind nämlich in verdammt großen Schwierigkeiten“, sagte der Brasilianer nach dem Ligaspiel in Madrid.
Bayerns Form ist europaweit am besten
Die großen Schwierigkeiten sind inzwischen passé, im März kehrte Vilanova zurück auf die Trainerbank. Sichtlich angeschlagen, das Gesicht fahl, die Augen matt. Aber die Zeit drängte, er wurde gebraucht. Seitdem wurde kein Spiel mehr verloren, auch wenn die beiden Auftritte im Viertelfinale gegen Paris etwas holprig daher kamen. Auch deshalb sieht sich Barcelona gegen den FC Bayern nicht in der Favoritenrolle. „Bayern ist von der Formkurve europaweit die stärkste Mannschaft“, sagt Xavi. 50:50 würden die Chancen auf ein Weiterkommen stehen. Barcelonas Kapitän wirkte am Abend vor dem Spiel entspannt. Wohl wissend, dass das Experiment ohne Trainer endlich beendet ist.