Franco di Santo war auf Schalke schon fast abgeschrieben. Viele Schalker Fans grummeln, wenn sie seinen Namen in der Startelf lesen. Warum sie viel lieber Freudengesänge anstimmen sollten.
Sechs Millionen Euro zahlte der FC Schalke 04, um Franco di Santo nach Gelsenkirchen zu locken. Heute würde man für dieses Geld maximal den großen Zeh von Neymar erhalten. Im Sommer 2015 waren sechs Millionen Euro allerdings noch eine recht stattliche Summe. Dementsprechend hoch kochte in den vergangenen zwei Jahren die Debatte um den Stürmer. Nicht wenige Schalker Fans stempelten ihn bereits als Fehleinkauf ab.
In dieser Saison ist di Santo auf Schalke angekommen. Endlich. Trotz großer Konkurrenz im Kader steht der Argentinier regelmäßig in der Startelf. Trainer Domenico Tedesco setzt auf ihn. Dabei sind es nicht so sehr die klassischen Stärken eines Stürmers, die di Santo so wichtig machen für Schalke. Tedesco hat für ihn die passende taktische Rolle gefunden.
Erst Stammspieler, dann Bankdrücker
Di Santo machte sich in der Bundesliga erstmals bei Werder Bremen einen Namen. Mit dreizehn Treffern hatte di Santo Werder Bremen in der Saison 2014/15 zum Klassenerhalt geführt, dabei starke Leistungen gezeigt. Er überzeugte vor allem als schneller Konterstürmer, der das Bremer Umschaltspiel veredelte.
Schalke hoffte, mit di Santo einen Nachfolger für den alternden Klaas-Jan Huntelaar gefunden zu haben. Er konnte diese Hoffnung jedoch nicht erfüllen. Unter Andre Breitenreiter genoss er in seiner ersten Saison lange Zeit einen Stammplatz, verlor diesen aber in der Rückrunde. Unter Markus Weinzierl kam di Santo nur sporadisch zum Einsatz; gerade einmal 316 Minuten spielte er in der vergangenen Bundesliga-Saison. Im vergangenen Sommer kamen sogar Gerüchte auf, nach denen Schalke di Santo loswerden wolle.
Di Santos Anlaufschwierigkeiten
Sowohl Breitenreiter als auch Weinzierl taten sich schwer, die passende Rolle für di Santo zu finden. Schalkes Trainer stellten ihn als Stürmer oder als Linksaußen auf. Auf keiner Position konnte er an die Leistungen aus Bremen anknüpfen. Er ist als Stürmertyp nur schwer greifbar: Er hat einen schnellen Antritt und einen guten Blick für freie Räume hinter der Abwehrkette, ohne aber zu den schnellsten Konterstürmern der Liga zu zählen.
Seine Technik ist gut, gelegentlich neigt er aber zu Aussetzern beim ersten Kontakt. Vor dem Tor lässt er gerne mal größte Chancen ungenutzt. So ist di Santo eine kleine Wundertüte. Selbst aktuell ließe sich argumentieren, dass di Santo eigentlich nur der drittbeste Stürmer in Schalkes Kader ist.
Guido Burgstaller ist körperlich stärker als di Santo und hat ein eingebautes Navigationssystem, das stets Richtung gegnerisches Tor zeigt. Rekonvaleszent Breel Embolo wiederum ist schneller und zugleich technisch beschlagener als di Santo. Dennoch steht di Santo in dieser Saison länger auf dem Platz als in den beiden vorangegangenen Spielzeiten. Und das liegt in erster Linie an Trainer Domenico Tedesco.
Schalkes neuer Trainer hat eine taktische Rolle gefunden, die zu di Santo passt. Denn was er anderen Stürmern voraus hat, sind seine Kondition und sein Verhalten im Spiel gegen den Ball. Di Santo reibt sich im eigenen Pressing auf, läuft den Gegner in höchster Geschwindigkeit an und wirft sich in jeden Zweikampf. Er überzeugt dabei nicht unbedingt mit Spielintelligenz. Er ahnt keine gegnerischen Spielzüge im Voraus oder verfügt über ein überragendes Stellungsspiel. Er macht diese Schwächen aber mit Einsatz und Willen wett.
Tedesco nutzt die defensive Stärke, indem er ihm eine klare, recht simple Aufgabe überträgt. Di Santo agiert aktuell nicht als klassischer Stürmer, sondern eher als Zehner hinter der Doppelspitze Burgstaller-Embolo. Di Santos vornehmliche Aufgabe besteht darin, den gegnerischen Sechser aus dem Spiel zu nehmen. Gegen Bayern München deckte er Javi Martinez, am Wochenende gegen Bayer Leverkusen nahm er abwechselnd Dominik Kohr und Charles Aranguiz in Gewahrsam.
Tedescos Spielstil kommt di Santo entgegen
Tedescos Umgang mit di Santo steht exemplarisch für den Fußball, den der Trainer auf Schalke spielen lässt: Er bastelt für jedes Spiel einen Matchplan, mit dessen Hilfe er die gegnerische Offensive lahmlegt. Sein Team soll frühe Ballgewinne provozieren, nach denen das Team schnell in die Spitze spielen kann. Auch im eigenen Ballbesitzspiel ist Tiefe ein entscheidender Faktor, Schalke will direkt aus dem Spielaufbau hinter die gegnerische Abwehr gelangen.
Schalke kontert wieder besser als in den vergangenen Jahren, was auch Konterstürmer di Santo zugutekommt. Zugleich trägt er seinen Teil dazu bei, dass Schalke die nötige defensive Stabilität hat, um das eigene Konterspiel forcieren zu können.
Mehr als Tore
Tedescos Idee geht auf: Di Santo erfüllt seine Aufgabe als Manndecker mit Fleiß und Zweikampfstärke. Er setzt seine Gegenspieler unter Druck, gönnt ihnen keine Pause. Bei Ballbesitz wiederum startet er aus einer tieferen Position in die Spitze. Er sucht die Räume, die durch Burgstaller oder Embolo geöffnet werden. Gegen Bayern gelang ihm dadurch ein Treffer.
Daran sollte man Stürmer ja eigentlich messen: an Toren. Doch di Santos vornehmliche Aufgabe liegt in der Defensive. Daher wird er manches Mal unterschätzt. Nicht aber von Tedesco. Vielleicht ziehen die grummelnden Schalker Anhänger ja bald nach. Di Santo wird einfach weiterlaufen — so oder so.