Michael Hamann, wie oft haben Sie in Ihrer Jugend nach dem Spiel am Zaun gestanden und gehofft, ein Trikot zu fangen?
Nie. Dabei bin ich in den frühen 80ern, also zu einer Zeit als diese Kämpfe am Zaun nach jedem Spiel ausgetragen wurden, regelmäßig ins Stadion gegangen.
Wie sind Sie dann an fast 200 Originaltrikots gekommen?
Über „ebay“. Ich brauchte gute Vorlagen. Darf ich ein bisschen ausholen?
Gerne.
Alles fing damit an, dass ich mir eines Tages zwölf Trikots bei der englischen Firma „Toffs“ bestellte. Einerseits mochte ich die Idee der Firma, alte Trikots neu zu produzieren, zum anderen hatten die Trikots Stil und waren aus Baumwolle. Doch dann kam die Enttäuschung: Nach zwei Wäschen sahen die Trikots aus wie alte Lappen oder waren eingelaufen. Ich war unglaublich sauer. Ein paar Tage später dachte ich mir: Mach es doch einfach selbst. Besser als die kannst du das allemal.
Sie stellten selbst Trikot-Replika her?
Ich gründete die Firma „Cotton“. Meine ersten Trikots waren das Jersey der DDR-Mannschaft von 1974, das es damals noch nicht bei „Toffs“ gab, und das allererste Eintracht-Frankfurt-Trikot, das ich für ein paar Freunde reproduzierte.
War es aufwendig die Lizenzen der Vereine zu bekommen?
Bei Eintracht Frankfurt ging es einigermaßen schnell, beim HSV zog es sich tatsächlich ein bisschen hin. Doch es klappte schließlich und heute habe ich nahezu alle HSV-Trikots seit den 50er Jahren im Angebot.
Wie produzieren Sie die Trikots?
Nachdem ich die Lizenzen hatte, fing ich an, bei „ebay“ nach Fußballbüchern und Sammelbildalben zu gucken, um gute Bildvorlagen der jeweiligen Trikots zu haben. Parallel ersteigerte ich zahlreiche Originaltrikots, die vor einigen Jahren noch recht günstig zu haben waren, um eine wirklich authentische Vorlage zu haben. Ich habe eine Zeitlang wirklich jedes Trikot gekauft, was zu haben war, und so konnte ich Passform, Schnitt, Stoff und Farbe detailgetreu nachempfinden.
Wie ist die Nachfrage heute?
Sagen wir mal so: Sie ist okay. Ich habe eine kontinuierliche Nachfrage, doch es ist nicht so, dass ich tausende Trikots pro Monat verkaufe.
Die Kunden sind Nostalgiker, die damals am Zaun kein Glück hatten?
Zumeist. Man muss aber auch verstehen, dass es bis Anfang der 80er Jahre kein richtiges Marketing in der Bundesliga gab. So boten Shops zur WM 1974 zwar T‑Shirts der Nationalmannschaft an, die den Trikots ähnelten, die aber bei genauerem Hinsehen komplett anders waren. Wahrscheinlich waren die Herstellungskosten zu groß. Original-Trikots, die auch die Spieler trugen, gab es jedenfalls erst ab Mitte der 80er zu kaufen. Der erste Shop, der solche Trikots anbot, hieß „Sportreff“ – wenn ich mich nicht irre. Die hatten im „Kicker“ stets eine Anzeige auf der letzten Seite. Doch auch bei den Trikots von „Sportreff“ waren das Logo oder Wappen oft nur aufgedruckt und nicht gestickt wie bei den Spielern.
Was sind die grundlegenden Unterschiede der 70er oder 80er-Jahre-Trikots zu den heutigen?
Bis Mitte der 80er bestanden die Trikots aus reiner Baumwolle, danach wurden sie fast ausschließlich aus Polyester hergestellt. Eines der letzen, das aus reiner Baumwolle bestand, war das Eintracht-Trikot von 1987. Das mit der Hoechst-Werbung.
Vermissen Sie diese alten Trikots?
Teils schon. Auch weil man spürt, wie aufwendig die gefertigt wurden. Ich habe etwa ein Trikot von Werder Bremen mit einem weißen Rückenfeld, bei dem jeder einzelne Buchstabe des Klubnamens aufgenäht ist. Eine Heidenarbeit. Zudem war es gestreift, was bedeutete, dass aus zwei verschiedenen Stoffen gestrickt wurde. Im Gegensatz dazu wird heute ja alles gedruckt.
Sie mögen die Liebe zum Detail.
Genau. Ein anderes Beispiel: Ich habe in meinem Schrank auch das rosafarbene HSV-Trikot aus den 70ern, das einen festgenähten langen weißen Kragen hat, damit dieser beim Laufen nicht ständig ins Gesicht schlägt. So blieb er stets akkurat und stilvoll auf der Schulter hängen.
Als stilvoll galt damals auch eng und körperbetont.
Richtig. Früher gab es keine Trikots in XL. Und sogar die Größe L war schon recht klein. Ich weiß gar nicht, wie ein Horst Hrubesch da hineingekommen ist. Ich kann jedenfalls keines der Originale mehr tragen. Früher hatte ich ab und zu mal ein Trikot vom SSC Neapel mit der Mars-Werbung und der Rückennummer 10 von Diego Maradona an, da passe ich aber auch nicht mehr rein. In diesem Trikot habe ich auch mal mit Bernd Hölzenbein posiert, der ebenfalls großer Trikotsammler ist.
Welches Trikot ist Ihr größter Schatz?
Da gibt es mehrere: Etwa ein Nationaltrikot von Uwe Seeler mit der Nummer 9 aus den 60er Jahren. Von Borussia Dortmund habe ich ein gold reflektierendes Trikot aus den 60er Jahren, das extra für die Abendspiele angefertigt wurde. Der Hintergrund war, dass das Licht der Flutlichtanlagen mit dem Fernsehbild kollidierte, so dass man bei der Fernsehübertragung die Spieler nicht so gut erkennen konnte. Das Trikot würde heute bestimmt gut Geld bringen.
Wie viel?
Ein richtiger Sammler würde bestimmt 1000 bis 1500 Euro bezahlen. Das liegt auch daran, dass die Trikots in den 60ern und 70ern Einzelstücke waren. Die Spieler liefen manchmal mehrere Jahre mit denselben Trikots auf. Ich habe etwa ein HSV-Trikot, auf dem die Campari-Werbung der alten Saison mit einem Schriftzug von Hitachi, dem Sponsor der nächsten Saison, übernäht wurde. Man spielte also zwei Jahre in Folge mit demselben Trikot.
Heute undenkbar.
Heute werden Trikots getauscht oder nach dem Spiel weggeworfen. Da fällt mir ein, ich habe noch ein sehr wertvolles Trikot…
Welches?
Eines von Allan Simonsen vom Europapokal-Endspiel 1977. Der damalige Busfahrer von Borussia Mönchengladbach hat es einst in seinem Schrank gefunden und mir verkauft. Da sind sogar Unterschriften drauf. Dummerweise von der Mannschaft der Saison 1980/81. Aber ich bin mir sicher, dass es vom Finale 1977 ist, denn nur in dem Spiel war auf der Seite „Puma“ aufgedruckt. Zudem hat das Trikot zweifarbige Rückennummern. Im Original war das übrigens von Palme.
Was heißt das: im Original?
Nun, Puma und Adidas ließen von Palme beziehungsweise Erima in Lizenz produzieren. So war es übrigens auch noch Ende der 80er Jahre so, dass die Fan-Trikots ein Palme oder Erima-Emblem hatten, während auf den Spieler-Trikots eines von Puma oder Adidas zu sehen war. Schnitt und Stoff war identisch. Bei Palme, die heute „Die Trikotfabrik“ heißen, habe ich übrigens mal gearbeitet.
Ein Traumjob für Sie.
Anfangs ja. Die Firma stand kurz vor der Pleite und da hat sie mich gefragt, ob ich nicht als neuer Inhaber bei Ihnen einsteigen wollte.
Sie qualifizierte Ihr Fachwissen?
Das auch. Zudem war ich Palmes bester Kunde.
Michael Hamann ist Fan von Eintracht Frankfurt und baumwollenen Trikots. Ein Jahr hat er federführend bei „Palme“ (heute „Die Trikotfabrik“) gearbeitet. Heute ist er Inhaber der Firma „Cotton“. Auf www.nostalgie-trikots.de verkauft er liebevoll und detailgetreu nachempfundene Trikots aus aller Welt. Auf www.hsv-trikotklassiker.de nahezu jedes Trikot, mit dem der HSV seit Anfang der 50er Jahre aufgelaufen ist.