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Früher war der Welt­fuß­ball voller kleiner Mara­donas. Ein Spieler musste nur einen feinen Außen­rist­pass schlagen oder seinen Gegner per Über­steiger ins Leere laufen lassen, schon klebte ihm die Sport­presse den gött­li­chen Bei­namen an. So gab es irgend­wann einen Alpen-Mara­­dona (Andreas Herzog), einen Bos­­porus-Mara­­dona (Emre Belo­zoglu), einen Sin­gapur-Mara­­dona (Abbas Saad), einen Balkan-Mara­dona (Edvin Murati), einen Süd­­­korea-Mara­­dona (Yoo Young Park) und einen Wüsten-Mara­­dona (Saeed Owairan). Selbst Hans-Werner Reif, der in den acht­ziger Jahren 14 Mal für den 1. FC Köln spielte, durfte sich über den Apendix freuen. Die Autoren des Buches Fuß­ball Unser“ tauften ihn Mau­­rer­­ge­­sellen-Mara­­dona.

Aber es gibt nur einen Spieler, der diese Würde wirk­lich ver­dient hat. Und wer nicht gerade Fan von Ira­klis Thes­sa­lo­niki ist oder in grie­chi­scher Fuß­ball­ge­schichte pro­mo­viert, hat ver­mut­lich noch nie von ihm gehört. Sein Name ist: Vas­silis Hat­zi­pan­agis. Er ist der beste Spieler der Welt und aller Zeiten, und das ist nicht über­trieben.

Flucht in die Sowjet­union

Um seine Geschichte zu ver­stehen, muss man zurück­gehen in die Zeit des grie­chi­schen Bür­ger­kriegs, der von 1946 bis 1949 dau­erte und die Fort­set­zung eines Kon­fliktes zwi­schen der kon­ser­va­tiven Regie­rung der Mon­ar­chie und der linken grie­chi­schen Volks­front war. Hun­der­tau­sende Men­schen, viele Kom­mu­nisten und Oppo­si­tio­nelle dar­unter, flüch­teten in jenen Jahren in die Sowjet­union und andere sozia­lis­ti­sche Staaten. So auch Kyriakos und Chryssa Hat­zi­pan­agis, die in Tasch­kent, der heu­tigen Haupt­stadt von Usbe­ki­stan, Asyl fanden.

Bald darauf, am 29. Oktober 1954, kommt ihr Sohn Vas­silis zur Welt.

Er ent­deckt schon früh seine Freude am Fuß­ball, täg­lich kickt er mit Freunden im Park. Ein Späher von Dinamo Tash­kent ist angetan von seinen Tricks und ver­sucht, ihn zu ver­pflichten. Aber der Junge schließt sich Pachtakor an, weil der Klub die bes­sere Jugend­aka­demie hat. Mit 17 Jahren debü­tiert er für die Her­ren­mann­schaft in einem Spiel gegen Schachtar Donezk. Auf Druck des Ver­bandes nimmt er die sowje­ti­sche Staats­bür­ger­schaft an.

Immer wenn ich Ver­tei­diger vor mir sah, wollte ich um sie her­um­drib­beln“

Vassilis Hatzipanagis

In der Sowjet­union nennen ihn die Men­schen den Nurujew des Fuß­balls“, denn er fliegt so ele­gant und leicht­füßig über das Feld wie der sowje­ti­sche Bal­lett­tänzer über die Bühne. Hat­zi­pan­agis selbst hat eine simple Erklä­rung für sein Spiel: Immer wenn ich Ver­tei­diger vor mir sah, wollte ich um sie her­um­drib­beln.“

1974 und 1975 wird er zum zweit­besten Spieler der Liga gewählt, er ist da noch ein Teen­ager. Nur Dynamo Kiews Oleh Blochin ist besser, aber an den reicht nie­mand heran. Da nützt es auch nichts, dass Tasch­kent Blochins Elf mit 5:0 aus dem Sta­dion schießt, Hat­zi­pan­agis dabei ein Tor macht und vier wei­tere vor­be­reitet. Eine Zei­tung stellt sein Foto danach neben das eines Ski­profis. Titel des Arti­kels: Was man als Sla­lom­fahrer von Hat­zi­pan­agis lernen kann“.

Eigent­lich ist der Junge mit den grie­chi­schen Wur­zeln zu gut für die Liga. Er müsste nach Eng­land, Spa­nien oder Ita­lien, sagen die Experten. Aber es kommt anders.

Mitte der Sieb­ziger ent­spannt sich die poli­ti­sche Lage in Grie­chen­land – nach Jahren des Bür­ger­kriegs, der stei­nernen Zeit“ in den Fünf­zi­gern und einer sie­ben­jäh­rigen Mili­tär­dik­tatur (1967 bis 1974). Hat­zi­pan­agis Eltern möchten heim zu den Ver­wandten und Freunden nach Thes­sa­lo­niki, der Sohn will sie begleiten.

Kon­stanin Beskow, der sowje­ti­sche Natio­nal­trainer, ver­sucht ver­geb­lich, ihn zum Bleiben zu über­reden. Die grie­chi­sche Liga ent­spräche noch weniger seinem Niveau als die sowje­ti­sche. Aber Hat­zi­pan­agis ist sich mit Ira­klis Thes­sa­lo­niki einig, und er wird nie wieder für einen anderen Verein spielen. Er selbst hadert bis heute mit diesem Schicksal. Die Fans ver­göt­tern ihn des­halb. In Grie­chen­land nennen sie die Ära zwi­schen 1975 und 1990 schlicht The Vas­illis Years“.

Mara­dona ist der der argen­ti­ni­sche Hat­zi­pan­agis

Schon bei seiner Ankunft am 22. November 1975 stehen über 1000 Fans an der Bahn­sta­tion von Thes­sa­lo­niki und singen Vas­silis Kal­osórises!“ (Will­kommen Vas­silis). Eine unglaub­liche Zahl, wenn man bedenkt, dass die meisten Leute den Namen Hat­zi­pan­agis nur vom Hören­sagen kennen. Aber ihn umgibt schon vor seiner Ankunft ein Mythos, der sich immer weiter ver­breitet. Auch ohne Internet und Fern­seh­bilder. Das erste Spiel gegen Atro­mitos Athen ist mit 47.000 Zuschauern aus­ver­kauft.

Auf alten ver­pi­xelten Video­auf­nahmen kann man Hat­zi­pan­agis‘ Genia­lität erahnen. Eine fast kind­liche Freude am Ball wie Gar­rincha, die Haare im Wind wie Kevin Keegan. Er spielt mit hohem Tempo, seine Pässe lösen ganze Abwehr­ketten auf. Aber vor allem seine Dribb­lings wirken magisch. Mara­donas Jahr­hun­dertor? Okocha versus Kahn? Messis Solo­läufe? Hat­zi­pan­agis spielt das alles schon mal durch. Als sei ein Spieler aus der Zukunft im Grie­chen­land der Sieb­ziger und Acht­ziger gelandet.

Er begeis­tert nicht nur die Anhänger von Ira­klis, son­dern auch die Fans von Olym­piakos, Pan­athi­naikos, PAOK oder AEK. Sie lassen sich sogar Schals mit seinem Namen anfer­tigen. Der grie­chi­sche Mara­dona? Ach, Mara­dona ist der der argen­ti­ni­sche Hat­zi­pan­agis.

Als die Fans zum ersten Mal seine Tricks sahen, dachten sie, er wäre ein Alien.“

Christos Zifkas

Es heißt bald, er könne seine Gegen­spieler in einer Tele­fon­zelle aus­spielen. Andere sagen, ihn habe keine Mutter geboren, son­dern ein Ball. Und die Ver­tei­diger der anderen Ver­eine, so geht eine Legende, wollen Hat­zi­pan­agis ver­klagen, weil er auf dem Feld aus uns einen Idioten macht, und wir Ver­gel­tung wollen“. Sein ehe­ma­liger Mit­spieler Christos Zifkas sagt in einer Doku­men­ta­tion: Als die Fans zum ersten Mal seine Tricks sahen, dachten sie, er wäre ein Alien.“

In Saison 1982/83 ver­wan­delt er sechs Ecken direkt. Alle mit seinem genialen linken Fuß. Den rechten hatte ich nur zum Stehen“, sagt er.

Wieder und wieder fragen große Klubs aus dem Westen an. Lazio Rom oder der VfB Stutt­gart. Aber eine Klausel in seinem Ver­trag, den sein Berater mit Ira­klis aus­ge­han­delt hat, macht einen Wechsel unmög­lich. Der Verein kann den Ver­trag näm­lich jedes Jahr um zehn wei­tere ver­län­gern – ohne Hat­zi­pan­agis’ Zustim­mung. Dem Magazin Bliz­zard“ schil­derte Hat­zi­pan­agis diese Zeit so: Die Uefa wollte nichts machen. Also ver­brachte ich die meiste Zeit des Jahre 1977 mit Ira­klis vor Gericht. Ich war wie Jean-Marc Bosman, mit dem Unter­schied, dass ich wei­terhin für das erste Team spielte, wäh­rend die Anwälte meines Klubs gegen mich kämpften.“ Wie Bos­mann gewinnt er vor Gericht. Der Verein aber legt erfolg­reich Beru­fung ein. Hat­zi­pa­ganis ergibt sich seinem Schicksal.

Der Verein Ira­klis Thes­sa­lo­niki weiß, dass er ohne Hat­zi­pan­agis nichts ist. Dieser Spieler ist die Attrak­tion der Liga. Er, und kein anderer, lockt die Massen ins Sta­dion. Einmal spielt Ira­klis gegen Eth­nikos im großen Apos­tolos-Niko­laidis-Sta­dion. Nor­ma­ler­weise kommen 2000 oder 3000 Fans zu den Heim­spielen von Eth­nikos, für dieses Spiel aber druckt der Verein sicher­heits­halber 10.000 Tickets. Am Ende sind 35.000 Men­schen im Sta­dion und staunen über diesen Wun­der­spieler mit der Nummer Zehn.

Hat­zi­pan­agis lockt aber nicht nur die Zuschauer an, er bringt auch die wenigen Erfolge nach Thes­sa­lo­niki. In der Zeit zwi­schen 1975 und 1990 erlebt Ira­klis die besten Jahre der Ver­eins­ge­schichte. In einem denk­wür­digen Finale gegen Olym­piakos wird die Mann­schaft 1976 Pokal­sieger – 4:4 steht es nach Ver­län­ge­rung (Hat­zi­pan­agis erzielt zwei Tore), 6:5 gewinnt Ira­klis nach Elf­me­ter­schießen. 1985 gewinnt das Team außerdem den Balkan Pokal, 1984 schließt Ira­klis die Liga als Dritter ab. So gut wie nie zuvor und nie danach.

Aber Hat­zi­pan­agis könnte so viel mehr errei­chen. Bei einem großen Tur­nier mit­spielen, im Uefa Cup oder im Lan­des­meister-Pokal, auf der Bühne des Welt­fuß­balls glänzen. Für die grie­chi­sche Natio­nal­mann­schaft darf er in seiner aktiven Kar­riere nur einmal auf­laufen, 1976 gegen Polen (1:0). Danach wird er von der FIFA gesperrt, weil her­aus­kommt, dass er in der Olympia-Qua­li­fi­ka­tion 1976 viermal für die UdSSR gespielt hat. Es nagt an ihm bis heute. Zweimal habe ich bei der FIFA einen Antrag ein­ge­reicht – zweimal wurde er abge­lehnt. Ich hätte mein Land so gerne ver­treten.“

Eine der großen Kon­junk­ti­ver­zäh­lungen des Fuß­balls

Immerhin darf er am 14. Dezember 1999, acht Jahre nach seinem Kar­rie­re­ende und 23 Jahre nach seinem Län­der­spiel-Debüt, in einem Freund­schafts­spiel gegen Ghana noch einmal für die grie­chi­sche Natio­nalelf spielen. Auch der Traum von Europa geht am Ende in Erfül­lung. 1990 im Uefa-Cup, 1. Runde gegen den FC Valencia (0:0). Danach beendet er im Alter von 36 Jahren seine Kar­riere.

Hat­zi­pan­agis’ Geschichte ist eine von den großen Kon­junk­ti­ver­zäh­lungen des Fuß­balls. Was wäre gewesen, wenn seine Familie 1963 nach Eng­land aus­ge­wan­dert wäre? Der Vater hatte das gewollt, die Mutter war aber dagegen. Wie wäre die Kar­riere von Hat­zi­pa­ganis wei­ter­ge­gangen, wenn er 1977 in London geblieben wäre? Er war damals zu einer Knie­be­hand­lung in der eng­li­schen Haupt­stadt und trai­nierte mit dem FC Arsenal mit. Seine tem­po­rären Mit­spieler Pat Jen­nings, Graeme Rix und Liam Brady nannten ihn Aris­totle“. Arsenal fühlte bei Ira­klis vor, die Grie­chen aber lehnten einen Wechsel erneut kate­go­risch ab.

Im inneren Zirkel des Fuß­balls scheint Hat­zi­pan­agis aber einen kleinen Platz gefunden zu haben. Die großen Spieler kennen seinen Namen, sie ahnen, was mög­lich gewesen wäre. 1984 spielt er in einer Welt­aus­wahl gegen Cosmos. Er steht mit all den Helden des Welt­fuß­balls auf dem Feld – und sie nehmen ihn ihre Mitte. Franz Becken­bauer, Mario Kempes, Hugo San­chez, Vas­silis Hat­zi­pan­agis.

Who is Messi? Vas­silis Hat­zi­pan­agis High­lights“

Und dann gibt es da noch die vielen Video-Com­pi­la­tions. Wie alte Medaillen liegen sie in den ver­staubten Ecken von You­tube. Sie heißen Who is Messi? Vas­silis Hat­zi­pan­agis High­lights“ oder Vasilis Chat­zi­pan­agis the Magi­cian“ oder Vas­silis Hat­zi­pan­agis: All time best Greek foot­baller“.

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Einen echten Ehren­platz im Welt­fuß­ball bekommt er 2004. Damals feiert die UEFA ihren 50. Geburtstag. Bei den Fei­er­lich­keiten soll jedes euro­päi­sche Mit­glied ihren Gol­denen Spieler wählen. Die eng­li­sche FA ent­scheidet sich für Bobby Moore, der hol­län­di­sche Ver­band für Johan Cruyff, der por­tu­gie­si­sche für Eusebio. Der hel­le­ni­sche Fuß­ball­ver­band prä­sen­tiert: Vas­silis Hat­zi­pan­agis. Einen Spieler, der nur ein regu­läres Län­der­spiel gemacht hat. Der nie Meister wurde. Der nie bei einem der inter­na­tio­nalen Top­klubs gespielt hat. Den außer­halb von Grie­chen­land kaum jemand spielen sah. Den Mann, der drib­belte wie Gar­rincha und der aussah wie Kevin Keegan. Den sie den Mara­dona Grie­chen­lands nennen.

Der aber eigent­lich gar keine Ver­gleiche brauchte. Denn er war und ist: Vas­silis Hat­zi­pan­agis. Der beste Spieler der Welt und aller Zeiten.