In unserer neuen Serie „Mein Lieblingsbundesligatrainer“ erinnern sich 11FREUNDE-Mitarbeiter an ihren ganz persönlichen Favoriten. Heute blickt Uli Hesse zurück auf Branko Zebec. Der Mann, der den BVB zurück nach Europa brachte.
Das, was ich gleich sage, sage ich nicht, um mich von den sogenannten Erfolgsfans zu distanzieren, die Borussia Dortmund seit ein paar Jahren wieder anzieht. Ich habe nämlich eigentlich gar nichts gegen die. Wenn nicht irgendwann einmal irgendwelche Leute zu Erfolgsfans geworden wären und dann ihre neugefundene Liebe an die nächste Generation weitergegeben hätten, gäbe es heute erheblich weniger Schalke‑, Nürnberg‑, Gladbach‑, Hamburg- oder Bremen-Anhänger. Und das wäre doch jammerschade, nicht wahr?
Das, was ich gleich sage, sage ich auch nicht, um besonders originell zu wirken. Als ich gefragt wurde, ob ich etwas über meinen Lieblingstrainer aus der Dortmunder Bundesligazeit schreiben würde, hat niemand gesagt: „Aber nimm nicht Hitzfeld, den haben wir schon. Und bitte auch nicht Klopp, der kommt sowieso andauernd vor.“ Nein, als ich gefragt wurde, schoss mir in der Tat augenblicklich der Name des Mannes durch den Kopf, um den es gleich geht.
Da wir all dies nun geklärt haben, kann ich jetzt sagen, was ich vorausschickend sagen muss: Als ich anfing ins Westfalenstadion zu gehen, war es für mich im eigentlichen Wortsinne undenkbar, dass der BVB jemals das haben könnte, was man gemeinhin Erfolg nennt.
Ein wandelndes Risiko
Ich fand das nicht traurig oder ärgerlich, denn – wie gesagt – ich dachte erst gar nicht an so etwas. Das kam in meiner Welt einfach nicht vor. Erfolge waren etwas für große Vereine wie Bayern München, Borussia Mönchengladbach, den Hamburger SV oder den 1. FC Köln. Für Borussia ging es darum, den Abstand zu den Abstiegsrängen möglichst groß zu halten und nicht gegen Schalke zu verlieren. Man könnte sagen: Ein guter Mittelfeldplatz war das obere Ende der mir bekannten Welt. Das änderte sich erst, als ich 16 Jahre alt war, denn da trainierte uns Branko Zebec.
Das ist alles so lange her, dass ich micht nicht mehr daran erinnern kann, wie ich auf die Nachricht reagierte, dass Borussia ihn verpflichtet hatte. Vermutlich war ich recht skeptisch. Zebec war ein fantastischer Trainer, daran gab es keinen Zweifel. Mit dem FC Bayern hatte er Ende der Sechziger das erste Double der Vereinsgeschichte geholt, bei Braunschweig führte er schon Mitte der Siebziger die Raumdeckung ein, in Hamburg formte er Ende jenes Jahrzehnts aus einem zerstrittenen Haufen eine Meistermannschaft. Aber er war auch ein wandelndes Risiko.
Im April 1980, da war er noch Trainer des HSV, wurde Zebec von der Polizei auf der Autobahn gestoppt – ausgerechnet auf dem Weg zu einem Spiel in Dortmund. Der Alkoholgehalt in seinem Blut lag bei 3,25 Promille.
Er musste 20.000 Mark Strafe zahlen, verlor für neun Monate den Führerschein und bald auch seinen Job in Hamburg. Fast genau ein Jahr später, Ende Mai 1981, unterschrieb er beim BVB. Präsident Reinhard Rauball pries ihn uns als „einen der besten Trainer Europas“ an, war aber augenscheinlich auf der Hut: Zebec bekam nur einen Einjahresvertrag. Keine fünf Monate später, im Oktober, verschuldete er mit 2,0 Promille einen Autounfall. Diesmal verurteilte ihn das Amtsgericht Dortmund zu vier Monaten Gefängnis auf Bewährung. Plötzlich hatten wir einen vorbestraften Trainer.
Aber: Plötzlich hatten wir auch eine richtig gute Mannschaft! Kurz vor dem besagten Unfall schlug der BVB zu Hause den Meister Bayern München mit 2:0 (Manni Burgsmüller vergab sogar noch einen Elfmeter). Zur Winterpause war das Team Siebter. Zu Beginn der Rückrunde gewannen wir erst gegen den seit elf Spielen unbesiegten Tabellenführer 1. FC Köln, dann auch noch auswärts beim Pokalsieger Frankfurt. Ende Februar siegte der BVB durch eines von acht (!) Saisontoren von Rolf Rüssmann zum ersten Mal seit 1965 wieder in Gladbach. Burgsmüller sprach davon, dass das Ziel des Klubs ein Platz im UEFA-Cup wäre. Europapokal! Sowas hatte es in Dortmund seit dem Jahr nicht mehr gegeben, in dem ich geboren wurde. Auf den Rängen des Westfalenstadions machte in diesen aufregenden Wochen und Monaten ein neuer Gesang die Runde: „Branko Zebec, der beste Mann der Welt!“
In vinum veritas est
Dabei wussten alle schon, dass der beste Mann der Welt Dortmund im Sommer verlassen würde. Verlassen musste. Zehn Tage vor dem Sieg in Gladbach bat Zebec den Klub, ihm zu sagen, ob sein Vertrag verlängert würde oder nicht. Der Vorstand teilte ihm mit, dass man ohne ihn plane. „Ihm kann von fußballerischer Seite niemand das Wasser reichen“, sagte Rauball den Journalisten, wollte aber nicht näher darauf eingehen, warum Zebec trotz dieser fachlichen Klasse und seines Erfolgs gehen musste. Es wussten ja eh alle, dass man dem Trainer zu oft etwas anderes als Wasser gereicht hatte.
Am vorletzten Spieltag der Saison konnte der BVB mit einem Heimsieg im Rervierderby gegen Bochum (Schalke war damals unterklassig) die Qualifikation für den Uefa-Cup sichern. Nach einer Stunde stand es 0:2 und die überlegenen Bochumer waren dem dritten Tor erheblich näher als der BVB dem Anschlusstreffer. Noch heute habe ich in den Ohren, wie die Fans plötzlich anfingen zu skandieren: „Lautern führt, Lautern führt!“ Das sollte der Mannschaft sagen, dass ein Konkurrent um die internationalen Plätze auf dem besten Wege war, den BVB in der Tabelle zu überholen. Irgendwie schienen die Spieler auf solch einen Weckruf gewartet zu haben. Rolf Rüssmann köpfte das 1:2, Werner Eggeling traf ebenfalls per Kopf zum Ausgleich. Und fünf Minuten vor dem Ende hielt auch noch Bernd Klotz seinen kantigen Schädel hin und erzielte direkt vor der Südtribüne das nicht mehr für möglich gehaltene 3:2 – das Tor, das den BVB nach Europa brachte. Wir alle sangen: „Branko Zebec, der beste Mann der Welt!“ Im Sommer kaufte ich mir meine erste Jahreskarte.