Weltklassestürmer fürchteten seine Kompromisslosigkeit, heute hat er Geburtstag: Jürgen Kohler über geklaute Sportwagen, wütende Sizilianer und knifflige Zweikämpfe.
Das Interview erschien erstmals in 11FREUNDE #190 im September 2017. Das Heft findet ihr bei uns im Shop.
Jürgen Kohler, sagt Ihnen das Wort „Massino“ etwas?
Italienisch für Hund, oder?
Bissiger Hund. So wurden Sie in den Neunzigern von den Fans in Turin genannt. Bei Juventus waren Sie der absolute Publikumsliebling. Warum?
In Turin habe ich vier Jahre auf einem Level gespielt, das mir niemand zugetraut hatte. Da stürmten Angreifer auf mich zu, ich zog aber einfach den Ball hinter dem Standbein weg und drei Mann liefen ins Leere. Ich war topfit, super austrainiert, hatte Glück mit Verletzungen und das richtige Alter. Und bei den Leuten kam ich auch als Typ gut an. Die anderen Jungs fuhren mit riesigem Mercedes oder Ferrari durch die Stadt. Ich fuhr lange einen Fiat Punto.
Warum so bescheiden?
Mir was das scheißegal. Außerdem wusste ich: Wenn ich mir ein neues Auto hole, hat das in zwei Stunden eh wieder drei Dellen. Für den Verkehr dort war ich nicht gemacht. Wenn du an einer roten Ampel stehen bliebst, fuhr dir einer hinten rein.
Sie kommen vom Dorf und spielten in Turin mit Weltstars wie Roberto Baggio, Gianluca Vialli, Didier Deschamps oder Claudio Ravanelli zusammen. Wie kamen Sie mit denen aus?
Die Jungs mochten mich. Die kamen im Spiel zu mir und sagten: „Jürgen, der Typ da hat mich getreten.“ Also bin ich hin und habe gesagt: „Junge, noch einmal und ich hau dir die Knöchel um die Ohren.“ Das kam natürlich gut an.
Was haben Sie aus Ihrer Zeit in Turin mitgenommen?
Mir gefällt die Mentalität. Als Deutscher hatte ich bis dahin die Scheuklappen auf, habe immer nur geradeaus gedacht. Dort war alles lockerer. Wenn du einen Elektriker anriefst, weil im Haus etwas kaputt war, sagte er, er käme um 14:30 Uhr. Und irgendwann merktest du, dass er 14:30 Uhr in zwei Tagen meinte. Wenn man sich darauf einlässt, ist das äußerst entspannend.
braucht große Visitenkarten: In seiner Karriere wurde er immerhin deutscher und italienischer Meister, italienischer Pokalsieger, Uefa-Cup-Sieger, Champions-League-Sieger, Europameister, Weltmeister und Fußballer des Jahres. Was er 1987 allerdings noch nicht wissen konnte. Weshalb es ein wenig verwundert, dass er schon damals so siegessicher lächelte. Andererseits: Wer neben Maurizio Gaudino sitzt und Cowboystiefel aus Wildleder trägt, kann ja gar nicht verlieren.
Wie war es mit Freundschaften in Turin?
Ich habe generell im Fußball keine Freundschaften geknüpft. Ich habe das nie gewollt. Meine Kollegen habe ich immer respektiert und mit manchen konnte ich auch besser als mit anderen. Aber das waren keine Freundschaften. Fußball war mein Job. Und am Ende waren alle anderen auch Konkurrenten.
Wer waren dann Ihre Freunde?
Mein bester Freund in Turin war ein Taxifahrer. In den ersten Wochen fuhr ich dauernd mit ihm durch die Stadt, so haben wir uns angefreundet. Später gehörte er für meine Frau und mich fast zur Familie. Außerdem war Piero ein verrückter Typ. Einmal traf ich ihn zum Espresso in der Mittagspause und erzählte ihm, dass meinem Mitspieler Antonio Conte der Delta Integrale – damals eine mordsmäßige Kiste – geklaut worden war. Piero fragte: „Welche Farbe?“ Ein paar Stunden später rief er an und wusste genau, wo das Auto war. Leider schon komplett ausgeschlachtet, aber trotzdem: Piero wusste alles. Davon unabhängig waren auch in der Truppe damals ein paar verrückte Vögel dabei.
Zum Beispiel?
Toto Schillaci. Super Stürmer, aber durchgeknallt. Als er mal mit einem aus der Mannschaft Zoff hatte, pinkelte er dem ins Shampoo. Der stand dann unter der Dusche und rieb sich die Haare ein. Da habe ich Toto gefragt, ob er noch alle Tassen im Schrank hätte. Aber er meinte nur, der andere hätte ihn beleidigt. Sizilianer halt.