Weltklassestürmer fürchteten seine Kompromisslosigkeit, heute wird er 55 Jahre alt: Jürgen Kohler über geklaute Sportwagen, wütende Sizilianer und knifflige Zweikämpfe.
Dieser Ehrgeiz führte Sie 1987 zum 1. FC Köln, als teuerster Abwehrspieler der Bundesligageschichte. Wer hat das damals eingefädelt?
Christoph Daum wollte mich unbedingt verpflichten. Also rief mich Michael Meier an und Köln legte 2,3 Millionen Mark auf den Tisch – obwohl der Verein eigentlich kaum Geld hatte. Außerdem kamen Fleming Povlsen und Thomas Allofs und auf einmal lief es bei uns wie am Schnürchen. In Mannheim war ich ein ordentlicher Spieler, in Köln war ich plötzlich richtig gut.
Weshalb Sie folgerichtig zwei Jahre später bei den Bayern landeten. Eine große Umstellung?
Als ich von Köln kam, fragte mich Uli Hoeneß: „Hast du dich letzte Saison über den zweiten Platz gefreut?“ Ich sagte: „Ja, klar. Wir wären kurz davor ja noch fast abgestiegen.“ Uli wieder: „Dann sage ich dir jetzt mal was. Ein zweiter Platz ist in München gar nichts.“ In dem Moment hat es bei mir Klick gemacht. Entweder man bleibt in München auf der Strecke, oder man nimmt diese Mentalität an. Im Nachhinein bin ich dafür sehr dankbar.
Wie spürbar ist der Druck als Bayern-Spieler?
Du spürst den Druck in erster Linie durch die Medien. Im zweiten Jahr, kurz nach der WM 1990, spielten wir auf Zypern und gewannen mit 3:2. Beide Gegentore machte mein direkter Gegenspieler, ein No Name. Am nächsten Tag titelte die „Bild“-Zeitung: „Vom Weltmeister zum Waldmeister“.
Sie spielten ohnehin lieber gegen große Namen. Ihr erstes Länderspiel machten Sie nach der WM 1986 gegen Dänemark. Ihr Gegenspieler war Preben Elkjaer Larsen, damals Torschützenkönig in Italien. Hatten Sie Angst gegen so einen Mann zu spielen?
Ehrlich gesagt, war es mir komplett egal. Franz Beckenbauer waren die Abwehrspieler ausgegangen, also hat er mich von der U21 zur A‑Mannschaft beordert. Ich habe eine Trainingseinheit mitgemacht und stand plötzlich auf dem Rasen. Ich war in super körperlicher Verfassung, Elkjaer Larsen war müde von einer langen Saison. Der hat im ganzen Spiel nicht einmal aufs Tor geschossen.
Jürgen Kohler, Feierbiest
Danach gehörten Sie fest zum Team.
Nach dem Spiel kam ich in den Mannschaftsbus. Vorne waren schon alle Plätze belegt, also musste ich als kleine Micky Maus nach hinten zu den alten Hasen. Klaus Allofs, Toni Schumacher, diese Kategorie. Die nuckelten alle an Plastikflaschen, ich war auch durstig. Also habe ich gefragt, ob ich auch eine haben könnte. Dann wurde schon gelacht und Adi Katzenmeier gab mir eine Flasche. Ich trank – und war einigermaßen überrascht. Da haben hinten im Bus alle Whisky-Cola gesoffen.
Bis zur EM 1988 ging es für Sie steil bergauf.
Und auch im Turnier selber lief es bis zum Halbfinale bombastisch. Aber dann kam eben einer, der besser war als ich.
Haben Sie je mit Marco van Basten über die Szene geredet, in der Sie den entscheidenden Zweikampf verloren?
Nein. Aber als wir nach der EM mit Juventus gegen Milan spielten, wollte er mit mir das Trikot tauschen. Das hat mich schon ein bisschen stolz gemacht. Er war der vielleicht beste Stürmer der Welt. Und dann kommt so ein Star und tauscht mit einem Bauernjungen wie mir das Trikot.
1990 wurde dieser Bauernjunge Weltmeister. Im Finale trafen Sie auf Argentinien um Diego Maradona. Wie verhält sich so ein Ausnahmekönner vor Anpfiff in den Katakomben?
Der war sensationell und auch als Mensch großartig, kein Stück arrogant. Direkt vor dem Finale habe ich ihn gar nicht wahrgenommen, aber später spielte ich mal gegen ihn in Neapel. Dort machten wir uns nicht draußen warm, sondern in einer kleinen Halle im Stadion, wo es auch Basketballkörbe gab. Und Diego – Schuhe auf, Tochter auf dem Arm – schoss mit dem Fuß auf den Korb. Ich habe mitgezählt: Von zehn Versuchen waren neun drin. So was habe ich nie wieder gesehen.