Ganze Spieltage abgesagt, ein Wettbewerb auf die nächste Saison verschoben: Was nach 2020 klingt, gab’s schon vor 50 Jahren, als Gladbach zum ersten Mal Meister wurde. Und damit die Goldenen Siebziger einläutete.
Noch ein halbes Jahrhundert später muss Horst Köppel lachen. „Ja, an die Geschichte kann ich mich gut erinnern“, sagt er. „Wir hatten an dem Abend 5:0 gewonnen. Ich glaube, gegen Hannover. Hennes war offenbar in Feierlaune. Aber die Kölner haben ihn dann ja doch noch bekommen, wenn auch erst einige Jahre später.“ Weisweiler war sicher in guter Stimmung, denn seine Elf führte inzwischen die Tabelle an und sollte wenig später auch Herbstmeister werden. Doch der Vorsprung war nicht groß. Titelverteidiger FC Bayern und ausgerechnet der 1. FC Köln lagen ebenfalls gut im Rennen. Warum also verlängerte Weisweiler so früh per Handschlag? „Er war ein Schlitzohr“, meint Netzer. „Er hat gesehen, was für eine Entwicklung diese junge Mannschaft schon gemacht hatte und welches Potential sie noch besaß. Es wäre schon eine sehr grobe Fehleinschätzung von Weisweiler gewesen, hätte er in dieser Phase den Klub verlassen.“
In der Mannschaft mit so viel Potential standen junge Stürmer wie Köppel, der die hundert Meter in 11,4 Sekunden lief, oder der dänische Linksaußen Ulrik Le Fevre, den Weisweiler durch Zufall bei Vejle BK entdeckt hatte, als er eigentlich Johnny Hansen unter Vertrag nehmen wollte. Aber seit dem Sommer 1969 gehörten zur Fohlenherde eben auch knüppelharte Verteidiger wie Ludwig Müller und Klaus-Dieter Sieloff. „Was meinen Sie, wie viele Gespräche nötig waren, bis Weisweiler schließlich unsere Abwehr verstärkte“, seufzt Netzer. „Müller war ein Muss-Transfer. Wir hatten auch die Chance, Wolfgang Weber zu kriegen, falls Köln abgestiegen wäre. So wurde es Sieloff. Der war nicht mehr erste Wahl in Stuttgart und erschien mir übergewichtig. Aber Weisweiler hatte das richtige Näschen. Das hat er gut gemacht.“ Dass Trainer und Spieler ständig im Austausch standen, sieht man auch an einer Nachricht, die Ende 1969 die Runde machte: „Borussia Mönchengladbach hat jetzt so etwas wie einen Betriebsrat“, meldete der verblüffte „Kicker“. Gemeint war ein gewählter Spielerrat, der aus Netzer, Vogts sowie Mittelfeldspieler Peter Dietrich bestand und die Interessen der Mannschaft vertreten sollte. „Das war damals ganz und gar nicht üblich“, sagt Netzer. „Aber Weisweiler mochte kontroverse Diskussionen, weil er wusste, dass dabei immer etwas rauskam.“
Wie Netzer und seine Kollegen allerdings bald erfahren sollten, gab es da eine Sache, bei der Weisweiler sich auf keine Debatte einließ: Freundschaft. Er hatte einem alten Mitstreiter ein Versprechen gegeben und das würde er halten, selbst wenn es ihn mehr kosten sollte als eine Fußballmeisterschaft. Doch bevor es so weit war – bevor der „Betriebsrat“ den Trainer buchstäblich, aber vergeblich anflehte, seine Meinung zu ändern –, brachte etwas anderes die Gladbacher Titelträume in Gefahr: das Wetter.
Für die Fohlen sollte die Rückrunde schon am 9. Januar starten, was damals nicht ungewöhnlich war. Doch dann brach einer der härtesten Winter des Jahrhunderts über Europa herein. Am Neujahrstag sanken die Temperaturen vielerorts auf minus 15 Grad, sechs Tage später fiel im Flachland mehr als ein halber Meter Schnee. An Fußball war nicht zu denken. Der 18. Spieltag wurde komplett abgesagt, eine Woche später fielen wieder sechs Begegnungen aus. „Bald schleppten alle Klubs ständig drei oder vier Nachholspiele mit sich rum“, erinnert sich Köppel. „Deswegen war die Tabelle sehr unübersichtlich.“
„An Fußball war nicht zu denken“
Mitte Februar stand die Gesamtzahl der ausgefallenen Spiele schon bei 35. Weil die WM in Mexiko ungewöhnlich früh begann, gab es bei der Terminwahl fast keinen Freiraum. Der DFB fasste einen radikalen Entschluss: Die letzten vier Runden des Pokals wurden einfach auf die nächste Saison verschoben. (Das Finale zwischen Köln und Offenbach fand am 29. August statt.)