Nach zwei starken Jahren bei Real Sociedad ist Alexander Isak Schwedens große Hoffnung für die EM und die Zukunft. Viele sehen in ihm den neuen Ibrahimović. Dabei hinkt der Vergleich.
Fast wäre es den Schweden gelungen, den Verlauf des EM-Vorrundenspiels gegen Spanien komplett auf den Kopf zu stellen. In der 61. Minute kam Alexander Isak beim Stand von 0:0 an der rechten Strafraumgrenze an den Ball. Auf engem Raum tänzelte der Schwede drei Spanier aus, ging noch ein paar Schritte in Richtung Grundlinie und legte quer auf seinen Sturmkollegen Marcus Berg, der den Ball eigentlich nur noch aus wenigen Metern im Tor unterbringen musste. Der 34-Jährige schlug allerdings ein Luftloch, die Großchance war vergeben und damit die Chancen, dem Favoriten ein Bein zu stellen und die Weichen frühzeitig auf Achtelfinale zu stellen.
Über weite Strecken waren die Schweden den Spaniern unterlegen gewesen. Wenn es mal gefährlich wurde, dann dank des 21-jährigen Isak. In der 41. Minute hätte er sogar für die Führung sorgen können, sein Schuss wurde von Marcos Llorente allerdings auf der Linie noch an den Pfosten gelenkt. Viel fehlte nicht und Isak wäre zum Mann des Spiels geworden. Doch auch ohne Treffer im Auftaktspiel ist der Rechtsfuß die große Hoffnung der Schweden auf eine erfolgreiche EM. Nach der Knieverletzung seines Sturmkollegen Zlatan Ibrahimović ruht noch mehr Verantwortung auf den schmalen Schultern des jungen Stürmers. Kann er sie erfüllen? Und steht ihm vielleicht sogar eine ähnlich große Karriere wie Ibrahimović bevor?
Gewisse Parallelen zwischen den beiden Schweden sind kaum zu übersehen. Isak ist in Solna geboren, einem Vorort der schwedischen Hauptstadt Stockholm. Beim örtlichen AIK Solna gab er mit 16 Jahren sein Debüt in der Allsvenskan, der höchsten Spielklasse Schwedens. Ibrahimović stammt aus Malmö und debütierte für Malmö FF in der Allsvenskan. Anschließend nahmen beide Karrieren rasant Fahrt auf. Mit 19 Jahren wechselte Ibrahimović 2001 für eine Ablöse von 7,8 Millionen Euro zum niederländischen Spitzenclub Ajax Amsterdam. Isak verließ seine Heimat noch etwas früher, schon als 17-Jähriger ging es im Januar 2017 vom AIK Solna zu Borussia Dortmund. Ablöse: 8,6 Millionen Euro. Schon damals waren zahlreiche Spitzenvereine aus ganz Europa an dem Talent interessiert, der Teenager mit Wurzeln in Eritrea entschied sich aber für einen Wechsel zur Talentschmiede des BVB. Hier sah der Youngster die besten Chancen sich zu entwickeln.
Während „Zlatan“ bei Ajax schnell zu überzeugen wusste und drei Jahre später den nächsten Karriereschritt zu Juventus Turin vollzog, musste Isak zunächst jedoch einen Schritt zurück machen, um dann zwei Schritte nach vorne zu gehen.
Beim BVB kam er in den ersten zwei Jahren nämlich kaum zum Einsatz, die Konkurrenz, u.a. bestehend aus Pierre-Emerick Aubameyang und später Paco Alcacer war einfach zu groß. Statt in der Bundesliga lief er vornehmlich für die zweite Mannschaft der Borussia in der Regionalliga West auf. Nicht die große Bühne, sondern Fahrten zu abgestürzten Traditionsklubs und aufstrebenden Dorfvereinen. Deshalb entschied sich der 1,92-Meter große Stürmer im Januar 2019 für eine sechsmonatige Leihe in die niederländische Eredivisie zu Willem II Tilburg. Wie auch Ibrahimović wollte Isak in der holländischen Provinz reifen und Spielpraxis sammeln. Dies gelang vortrefflich. Dank 13 Treffern in 16 Ligaspielen kehrte Isak mit neuem Selbstvertrauen nach Dortmund zurück. Lucien Favre hatte für Isak allerdings trotzdem keine Verwendung, sodass der BVB ihn im Sommer 2019 für eine Ablöse von 6,5 Millionen Euro an Real Sociedad San Sebastián verkaufte. Damals traute der BVB ihm den Durchbruch in der Bundesliga nicht zu, ließ sich aber eine Rückkaufoption in den Vertrag einbauen, weshalb der BVB Isak bis Sommer 2022 für 30 Millionen Euro zurück nach Dortmund holen kann. Das zeigt: Abgeschlossen mit ihrem Talent haben die Schwarz-Gelben nicht. Schon in der Pressemitteilung zum Wechsel hieß es damals: „Wir wünschen Alex in Spanien den größtmöglichen Erfolg und werden seine Leistungen genau beobachten.“
Und zu beobachten gab es dort in den letzten zwei Jahren einiges. Auf die Debütsaison mit neun Treffern, folgten 17 Saisontore in der vergangenen Spielzeit. Seit seinem Wechsel ins Baskenland ist Isaks Marktwert von 8 auf 40 Millionen Euro gestiegen. Der 21-Jährige hat den kleinen Karriereknick in Dortmund überstanden und ist wieder eines der spannendsten Sturmtalente Europas. In Schwedens EM-Kader hat er gemeinsam mit Dejan Kulusevski den höchsten Marktwert.
Vielleicht verlief Ibrahimovićs Aufstieg zum Weltstar noch etwas geradliniger, doch momentan sieht es tatsächlich so aus, als ob Isaks Karriere einen ähnlichen Verlauf nehmen und ihn schon in wenigen Jahren ebenfalls zu einem europäischen Topklub führen könnte.
In seiner Heimat ist man da schon weiter. Dort haben sie ihn längst zum Nachfolger von Ibrahimović auserkoren. Wie sein Vorgänger ist Isak groß gewachsen, wenn auch bei weitem nicht so bullig. Er ist ein spielstarker Stürmer, der sich gerne an Kombinationen beteiligt, sich fallen lässt, um dann explosiv aufzudrehen und mit Tempo auf seine Gegenspieler zuzulaufen. Ein bisschen wie der junge Ibrahmović. Wie dieser hat Isak gerne den Ball am Fuß und sucht das Dribbling. Zudem ist der 21-Jährige taktisch bestens geschult und stellt die Passwege seiner Gegenspieler clever zu. Vielleicht war und ist sein Vorgänger noch etwas trickreicher, Isak spielt dafür umso mannschaftsdienlicher. Ibrahimović ist ein Straßenfußballer, Isak hingegen merkt man die gute taktische Ausbildung in den heutigen Akademien der Profiklubs an.
So sehr sich die beiden Stürmer in ihrer Spielweise ähneln, so unterscheiden sie sich in ihrer Persönlichkeit voneinander. Der extrovertierte Ibrahimović scheut nicht vor provozierenden Taten in der Öffentlichkeit zurück und gilt bei nicht wenigen als Diva und Problemprofi. Mit diversen Mitspielern und Trainern legte sich der 39-Jährige bereits an. Ibrahimović steht gerne im Rampenlicht. Ganz anders Isak, der abseits des Platzes bisher kaum aufgefallen ist und wenig preisgibt. Der Youngster konzentriert sich stets auf das Sportliche, Angriffsfläche bietet er kaum. Sein jugendliches Gesicht hat etwas Schüchternes und Unschuldiges. Charakterlich geht Isak also eher als „Anti-Ibrahimović“ durch.
Satte 18 Jahre trennen Isak von Ibrahimović, der in der Kindheit das große Vorbild des Talents war. „Ich habe mein ganzes Leben zu ihm aufgesehen. Er ist der größte Fußballer, den wir hier je hatten“, schwärmt Isak. Und als Ibrahimović nach über fünfjähriger Abstinenz im März 2021 sein Comeback in der schwedischen Nationalmannschaft gab, stand Isak tatsächlich nochmal mit seinem Idol aus der Kindheit auf dem Platz. Umso tragischer, dass der Stürmer des AC Mailand die EM nun doch aufgrund einer Knieverletzung verpasst.
Ibrahimović startete aus Malmö eine Laufbahn, die ihn nach Barcelona, Manchester und Paris brachte. Doch wie geht es mit der Karriere von Isak weiter? Nach zwei starken Jahren in San Sebastián ist er für internationale Topklubs wieder interessant geworden. Angeblich steht er beim FC Arsenal und dem FC Barcelona auf der Liste. Auch der BVB könnte als Interessent bei einem Verkauf von Haaland wieder ins Spiel kommen. Vergessen hat man Isak in Dortmund jedenfalls nicht. „Wir verfolgen das natürlich, ansonsten sind wir glücklich, dass Erling Haaland hier ist“, erklärte Sportdirektor Michael Zorc bereits vor einigen Monaten. Real Sociedad will das Talent selbstverständlich halten. Das Gehalt soll angehoben und dem BVB die Klausel abgekauft werden.
Ob eine Gehaltserhöhung allein Isak zum Bleiben überreden kann, ist allerdings fraglich. Schließlich könnte der Schwede bei anderen Vereinen in der Champions League spielen, in San Sebastián bleibt ihm nur die Europa League. Wobei ihm ein weiteres Jahr beim letztjährigen Tabellenfünften der Primera Division sicherlich gut täte. Wie schon bei seinem kurzen Abstecher in die Eredivisie zu Willem II könnte er im ruhigen San Sebastián abseits der ganz großen medialen Aufmerksamkeit weiter reifen. Erstmal hat Isak aber noch Zeit, sich bei der EM zu präsentieren. Nicht auszuschließen, dass in wenigen Wochen dann ein lukratives Angebot in San Sebastián eintrudelt. Einer ähnlichen Karriere wie der von Ibrahimović sollte dann eigentlich nichts mehr im Wege stehen. Mit weniger Skandalen, dafür aber vielleicht genauso erfolgreich.