Am 13. November erschütterten Anschläge Paris und das Länderspiel Frankreich gegen Deutschland. Viele argwöhnten damals das Ende des Fußballs, wie wir ihn kennen.
In diesem Fall kommt der Schrecken durch die Hintertür. Am Abend des 13. November haben wir zuhause Besuch und der Fernseher bleibt aus. Sicher, es ist Länderspiel, Frankreich gegen Deutschland, eigentlich ein Klassiker – aber eben auch nur ein Freundschaftsspiel. Und hat die deutsche Elf in ihrem ausgeuferten Post-WM-Kater zuletzt nicht oft genug enttäuscht? Dann doch lieber bei ein paar Gläsern mit Freunden zusammensitzen. Als sie gegangen sind, schalte ich den Fernseher ein, um wenigstens zu sehen, wie das Spiel so gelaufen ist. Es ist kurz vor elf.
Im Bild sind die Gesichter von Matthias Opdenhövel und Mehmet Scholl. Sie sehen irgendwie fertig aus, und das erste, was Opdenhövel sagt, ist etwas in der Art, dass er jetzt ganz bestimmt keine Lust hat, noch etwas über dieses Fußballspiel zu sagen. Mein erster Gedanke tatsächlich: „War das Spiel wirklich so scheiße?“ Doch die Männer im Fernsehen sehen zu fertig aus, als dass allein dies eine sinnvolle Erklärung wäre. Also reflexartig den Videotext eingeschaltet, Schlagzeile ungefähr: „Gewaltwelle in Paris… Berichte über Tote…“ Die Dimension will da immer noch nicht ins Hirn, stattdessen Gedanken an 1998, Lens, Daniel Nivel. Dann erst lese ich den Text und weiß, dass es nicht um Fußballrowdys geht.
Ganz Paris erscheint auf den Fernsehbildern wie ein Kriegsgebiet
Die nächsten Stunden fest montiert vor dem Fernseher, vergleichbar allenfalls mit 9/11 oder Golfkrieg I. Als Opdenhövel/Scholl erlöst sind, übernehmen die Nachrichtenleute. Bilder von Menschen, die weinend auf den Rasen des Stade de France flüchten. Wirklich ein Sprengstoffanschlag auf ein Fußballspiel? Unglaublich – und das ist noch längst nicht alles. Ganz Paris erscheint auf den Fernsehbildern wie ein Kriegsgebiet. Geschockte Moderatoren, stammelnde Korrespondenten, der kleingeistige Musiknerd in mir ereifert sich darüber, dass die Eagles of Death Metal über Stunden als Metalband verunglimpft werden. Irgendwann dann die Erstürmung des Bataclan und die bange Frage: Ist dies das Ende des Fußballs, wie wir ihn kennen? Das Ende des Lebens, wie wir es kennen?
Vier Tage später soll Deutschland gegen Holland antreten. Die Frage, ob dieses Spiel stattfinden soll, spaltet die Republik. Ein weltanschauliches Manifest soll das Match angeblich werden, sportliche Bedeutung gleich null. Ich brauche kein weltanschauliches Manifest durch die Nationalelf und lasse den Fernseher aus. Irgendwann klingelt das Handy, am anderen Ende ist der aufgeregte Mitarbeiter eines Nachrichtensenders: „Sind Sie für die 11FREUNDE beim Spiel in Hannover?“ – „Nein, ich koche.“ – „Wer ist von Ihnen vor Ort?“ – „Keiner, soweit ich weiß.“