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Vor jedem Spieltag wollen wir euch einen Bun­des­li­ga­spieler vor­stellen, der nicht im Ram­pen­licht steht und trotzdem eine ent­schei­dende Rolle für seine Mann­schaft spielt. Ob wir damit tat­säch­lich Recht behalten, seht ihr sams­tags ab 15 Uhr in unserer großen Bun­des­liga-Kon­fe­renz unter kon​fe​renz​.11freunde​.de.

Der Anstoß zu diesem Text? – Erst kürz­lich saß ich im Urlaub in einem bra­si­lia­ni­schen Restau­rant bei einem fabel­haften Steak neben zwei Ecua­do­ria­nern und wir kamen – wie in Süd­ame­rika nun einmal nicht unüb­lich – zu der emo­tional geführten Dis­kus­sion: Mara­dona oder Pele. Wer war der bes­sere Fuß­baller? Ein ein­ziges Fan­ta­sie­ge­spräch, das auch durch meinen spon­tanen Ein­wand, ob man denn nicht einen Spieler wie Zine­dine Zidane in diese Aus­wahl ein­binden müsste, nur unwe­sent­lich auf­ge­lo­ckert werden konnte.

So ging es dann Kopf über Stein, in Sekun­den­bruch­teilen kamen wir von einer Welt­meis­ter­schaft auf die nächste Copa Libert­adores, euro­päi­schen und spe­ziell deut­schen Fuß­ball ehe einer der beiden Tisch­nach­barn laut rief: Gim­mick. Kennt ihr Gim­mick?“ Man mag es dem zweiten Ecua­do­rianer ver­denken, dass er von Gim­mick“ bisher kein Wort gehört hatte, denn auch ich kannte diesen Spieler nicht. Als dann aber zur wei­teren Beschrei­bung von einem deut­schen Rechts­ver­tei­diger, Talent und Euro­pa­meis­ter­schaft gespro­chen wurde, däm­merte es mir: Waren wir so eben von Pele, Mara­dona und Zidane auf Joshua Kim­mich gestoßen? Das durfte doch nicht wahr sein.

Aus­ge­rechnet aus Leipzig

Zuge­geben: Als schrei­bender Fuß­ballfan, als Sport­jour­na­list, sollte man mög­lichst objektiv sein. Aber auch der Sport­jour­na­list ist nur Mensch und hat des­halb Ver­eine, zu denen er heim­lich hält und Spieler, die er nicht mag. Eine ver­gif­tete Bezie­hung, die ich aus einem inneren Gefühl und pole­mi­schen Beob­ach­tungen mit Joshua Kim­mich führe. Sitze auf dem Sofa, schaue Fern­sehen im Öffent­lich-Recht­li­chen und ent­scheide: Den mag ich nicht.“ So muss sich man­cher AfD-Wähler wohl fühlen.

Denn auch Joshua Kim­mich kommt bekannt­lich aus Leipzig. Ein erster Umstand, wes­halb ich eine gewisse Skepsis hegte, bin ich doch der drän­genden Mei­nung, dass sich alle 17 Bun­des­li­ga­ver­eine zusam­men­schließen sollten, um zu ent­scheiden, dass man fortan keine Spieler mehr von RB Leipzig ver­pflichten wird. Hat jemand RB im Lebens­lauf, wird er nicht mehr gekauft. Eine Grund­la­gen­ent­schei­dung wäre das, die den Leip­zi­gern zumin­dest vor einigen Jahren noch erheb­lich weh­getan hätte in Ver­hand­lungen mit Talenten, aber mich hat ja mal wieder nie­mand gehört.

Vom spä­teren Zweit­li­gisten zum Meister

Es hätte zumin­dest dafür gesorgt, dass der Rekord­meister FC Bayern nicht aus­ge­rechnet sieben Mil­lionen für einen 20-Jäh­rigen aus Rott­weil gezahlt hätte. Nun könnte man Joshua Kim­mich zugu­te­halten, dass er nur nach Leipzig – mitt­ler­weile Erst­li­gist – ging, weil der VfB Stutt­gart – mitt­ler­weile Zweit­li­gist – ihn nicht einmal gut genug für die U23 hielt. Aber dar­über wollen wir besser schnell hin­weg­sehen.

Der VfB Stutt­gart hatte Kim­mich per Ver­trags­op­tion zurück­ge­holt und direkt an den FC Bayern abge­geben. Für gutes Geld, aber selbst der dama­lige Trainer Alex­ander Zor­niger urteilte: Eine fatale Fehl­ent­schei­dung.“ Er könnte jeden erschlagen, der an dieser Ent­schei­dung betei­ligt war. Die Zukunft mochte ihm Recht geben.

Guar­diolas Lieb­lings­schüler

War es sein Gang oder sein Blick? Dass Kim­mich auf jeder zweiten Pres­se­kon­fe­renz darauf beharrte, man möge ihn bitte Josua“ und nicht Joschua“ nennen? Oder weil er mit seinem ständig erwähnten Abi-Schnitt von 1,7 auch in dieser Kate­gorie natür­lich besser war: Ich jeden­falls mochte ihn nicht.

Unter Pep Guar­diola musste ich mir mit ansehen wie Kim­mich als sein Lieb­lings­schüler auf­grund seiner Fle­xi­bi­lität und viel Ver­let­zungs­pech in der Innen­ver­tei­di­gung erste Ein­sätze in der letzten Saison bekam. Natür­lich freute ich mich inner­lich über die ersten Patzer in Turin und schämte mich sogar ein wenig einem 20-Jäh­rigen so viel Dreck unter den Fin­ger­nä­geln zu wün­schen.

Der schlech­teste Elf­meter im Pokal

Erst im DFB-Pokal­fi­nale schien mein anfäng­li­ches Res­sen­ti­ment end­lich auf festen Grund­pfei­lern gestellt zu werden. Von Kim­mich selbst. Im Elf­me­ter­schießen nahm er selbst­be­wusst einen Ball, ver­zö­gerte lange im Anlauf, pro­bierte einen halb-selbst­wussten und halb-ange­lupften Panen­kaelf­meter und schoss Tor­wart Roman Bürki auf die Knie. Einer der schlech­testen Elf­meter, die dieser Wett­be­werb je gesehen hatte. Auf der anschlie­ßenden Sie­ges­feier hielt sich Kim­mich, meinte ich auf dem Sofa zu erkennen, trotzdem nicht anstands­halber zurück – ganz im Gegen­teil.

Und den­noch musste ich wäh­rend der Euro­pa­meis­ter­schaft mit­an­sehen, wie Joshua Kim­mich aus der Not eines Trai­ners, also wie schon in der Bun­des­liga, seinen Stamm­platz auf der Posi­tion des Rechts­ver­tei­di­gers gewann. Und seine Sache ziem­lich gut machte. Musste Her­mann Ger­land hören, der ihn mit Philipp Lahm ver­glich. Und Joshua Kim­mich hören, der das natür­lich ablehnte. Trotzdem wurde er wohl nicht grundlos in das All-Star-Team der UEFA auf­ge­nommen.

Zucker für die Medien

Er war schlichtweg einer der Besten im deut­schen Team und hatte mit seinem Offen­siv­drang für unge­ahnten Schub nach vorne gesorgt. Konnte nicht nur flanken, son­dern auch für Tor­ge­fahr sorgen. Sorgte für Spiel­fluss. Und er ver­zau­berte bei der EM neben dem Platz auch noch die Medien. Die Welt schrieb gleich: Das Leise aber hat auf andere Art Gewicht, denn Kim­mich ist nicht nur ein lockerer Typ, son­dern auch ein kluger Kopf. 2013 schaffte er sein Abi mit einem Noten­durch­schnitt von 1,7 – fast so gut wie seine Fuß­ball­noten.“ – Ich hin­gegen hätte fast kotzen können.

Und des­halb war­tete ich auf die neue Saison beim FC Bayern. Hier, unter dem neuen Trainer Carlo Ance­lotti würde eine neue Auf­gabe warten. Kim­mich könnte nicht erneut der Leh­rer­lieb­ling wie noch unter Guar­diola werden, dachte ich – und wurde erneut eines Bes­seren belehrt.

Zu Sai­son­be­ginn rückte Kim­mich sogar eine Posi­tion weiter und spielt im zen­tralen Mit­tel­feld die ent­schei­denden Pässe in die Spitze. Seit dem 5:0 gegen FC Rostov, als Kim­mich gleich dop­pelt traf, nachdem er Tage zuvor gegen Schalke sein erstes Bun­des­li­gator geschossen hatte, gehört er wieder zum festen Auf­gebot der Bayern. Spielt neben Arturo Vidal, Xabi Alonso, Thiago Alcantara oder Renato San­chez – der Junge aus Rott­weil scheint gesetzt.

Ein­satz aus freien Stü­cken

Auch auf­grund einer über­ra­genden Form. Fünf Tore in den letzten sechs Spielen, u.a. beim 1:0 gegen den Ham­burger SV und beim 1:1 gegen den 1. FC Köln. Gehört nebenbei mit einer Pass­quote von 88,2 Pro­zent zur Liga­spitze. Wäh­rend Guar­diola ihn noch aus der Not heraus ein­setzte und sein spä­teres Schei­tern in der Cham­pions League unter anderem daran fest­machte, setzt sein Nach­folger Ance­lotti den Natio­nal­spieler aus freien Stü­cken ein. Mit Erfolg. Denn Kim­mich hat mitt­ler­weile eben nicht nur Fle­xi­bi­lität anzu­bieten, son­dern auch guten Fuß­ball.

Auf dem Sofa muss auch ich mir mitt­ler­weile neue Gründe suchen, um diesen Spieler nicht zu mögen. Muss immer genauer hin­sehen, Fehler in Neben­säch­lich­keiten finden und habe langsam den Ver­dacht, dass ich mich bei einer wei­teren Schlecht­ma­cherei nur noch lächer­lich mache. Immerhin: In der bra­si­lia­ni­schen Bar reichte ein schnelles Ronald­inho“ um einer wei­teren Lobes­hymne auf Kim­mich zu ent­gehen.