Willkommen zurück im Leben! Eintracht Braunschweig ist zurück in der zweiten Liga. Es ist das Ende eines drei Jahre währenden Alptraums.
Der Schrecken beginnt an einem warmen Tag im Mai 2017. Eintracht Braunschweig fährt als Tabellenzweiter der zweiten Liga zum Auswärtsspiel nach Bielefeld. Es sind nur 170 Kilometer über die A2, doch in der Tabelle liegen Welten zwischen den beiden Mannschaften. Während die Eintracht fast die ganze Saison über auf einem Aufstiegsplatz gestanden hat, kämpfen die Bielefelder als Vorletzte verzweifelt gegen den Abstieg.
Doch an diesem Nachmittag wird der Favorit, der sich an der Spitze ein enges Rennen mit den Bundesligaabsteigern Stuttgart und Hannover liefert, zum Opfer eines merkwürdigen Hokuspokus. Nach einer irren Kabinenansprache ihres Co-Trainers Carsten Rump, die später zu einem Hit in den Sozialen Medien wird („Und da draußen sitzen eure Familien und beten zu Gott, dass ihr heute ein Feuerwerk abfackelt“), kommen die Arminia-Spieler wie auf Drogen auf den Platz und fegen die Braunschweiger von der Alm. Mit 6:0. Für die Geschlagenen endet die Saison danach mit dem größtmöglichen Desaster: nämlich dem direkten Aufstieg des verhassten Lokalrivalen aus Hannover und dem eigenen chancenlosen Scheitern in der Relegation gegen den regionalen Schnösel aus Wolfsburg.
Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass weder Arminia Bielefeld noch Eintracht Braunschweig ohne dieses 0:6 heute da stünden, wo sie stehen. Bei den zuvor über Jahre erfolgreichen Braunschweigern setzte das traumatische Erlebnis eine Kette von Pleiten, Pech und Pannen in Gang, die in Verbindung mit personellen Abnutzungserscheinungen und strukturellen Fehlentwicklungen für einen schwindelerregenden Niedergang sorgte. Ein Jahr danach stieg die Eintracht in die 3. Liga ab, ein weiteres Jahr später um ein Haar in die Regionalliga.
Unnötig zu erwähnen, dass ein Verein, der immerhin mal deutscher Meister war (und das nicht irgendwann vor dem Krieg, sondern in der erweiterten Neuzeit), danach am Scheideweg steht. Allein schon wirtschaftlich, aber auch atmosphärisch. Eintracht Braunschweig ist noch immer ein Klub mit einer gewaltigen und standesbewussten Fanbasis, die zwar im Lauf der Jahre mit Kummer und einem enger geschnallten Gürtel zu leben gelernt hat, Pflichtspiele beim TSV Havelse jedoch nach wie vor als Majestätsbeleidigung empfindet.
Schon klar also, dass es in der aktuellen Spielzeit für die Braunschweiger wieder nach oben gehen sollte, oder besser: musste. Das Problem indes: In der 3. Liga wimmelt es von Truppen, für die das gleiche gilt, heißen sie nun MSV Duisburg, TSV 1860 oder 1.FC Kaiserslautern. Nach einem verheißungsvollen Saisonstart erlitt die Eintracht zunächst eine ominöse Heimschwäche, die den im Sommer verpflichteten Trainer Christian Flüthmann im Herbst bereits wieder den Job kostete, fing sich unter dessen Nachfolger Marco Antwerpen zumindest ein bisschen, rutschte aber im März durch ein 0:3 in Rostock auf Platz neun ab. Da schien sich das mit dem Aufstieg bereits wieder erledigt zu haben.
Der beste Weg, einen Fluch zu besiegen, ist wahrscheinlich der, den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben, und so ist es auf eine aberwitzige Weise logisch, dass von allen Drittligisten ausgerechnet Eintracht Braunschweig am meisten von der Corona-Krise profitiert hat. Eine etwas weniger metaphysische Erklärung lautet, dass Coach Antwerpen in der Zwangspause die Gelegenheit hatte, jene Dinge nachzuholen, die nötig waren, um die Mannschaft physisch und taktisch auf Vordermann zu bringen. Jedenfalls spielte die Eintracht nach dem sogenannten Re-Start zwar nicht immer schön, aber meistens erfolgreich – und kletterte in der Tabelle Stück für Stück nach oben.
Weil jedoch der Teufel keiner ist, der sich allzu leicht ins Bockshorn jagen lässt, schüttelte er ein letztes Ass aus dem Ärmel und ließ den gebeutelten Klub am letzten Wochenende in Zwickau verlieren, obwohl er erst in der Schlussminute in Führung gegangen war. Danach allerdings hatte der Leibhaftige sein Pulver verschossen. Und so durften die Braunschweiger Spieler nun nach einem schwer erkämpften 3:2‑Sieg gegen Waldhof Mannheim auf der Anzeigetafel beobachten, wie im fernen München ein gewisser Leon Dajaku zum 2:2 gegen den MSV Duisburg traf und die Eintracht zum Aufstieg schoss. Ende, aus, Fluch besiegt.
Und jetzt? Wäre es sicher zu viel gesagt, dass Eintracht Braunschweig eine glänzende Zukunft vor sich hat. Ebenso, dass die für den Erfolg verantwortlichen Marco Antwerpen und Peter Vollmann schon auf den Spuren des einstigen Erfolgsduos Lieberknecht/Arnold wandeln. Doch abgesehen von der finanziellen Atempause, die der Aufstieg dem Klub verschafft, steht er jetzt immerhin wieder da, wo er stand, als das ganze Schlamassel begonnen hat. Willkommen zurück im Leben. Nicht mehr und nicht weniger.