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Serdar Somuncu, im Jahr 2009 zogen Sie mit ihrem Pro­gramm Der Hass­pre­diger“ durch das Land. In Ihrer You­tube-Show Hate­night“ kotzten Sie über alles ab, was Ihnen auf den Nerv ging. Mit­unter könnte man meinen, Motzen sei Ihre größte Lei­den­schaft. Dabei sind Sie Fan von Borussia Mön­chen­glad­bach und hätten allen Grund zur guten Laune.
Serdar Somuncu: Ach was, es kotzt mich an. Dieser Lucien Favre, wenn ich den sehe, kommt es mir echt hoch. (lacht) Nein, im Ernst. Ich lebe in Köln. Und seit dieser Saison ver­lasse ich jedes Wochen­ende mit stolz geschwelter Brust meine Woh­nung. Der Schal ist sowieso immer dabei, an beson­ders guten Tagen auch Mal mein Trikot.

Der Kölner gibt sich gemeinhin als welt­offen. Wie weit geht die Tole­ranz gegen­über Glad­bach-Anhän­gern?
Serdar Somuncu: Ich glaube, die besteht der­zeit eher darin, sich selbst zu ertragen. Ich jeden­falls genieße die hass­erfüllten Blicke auf der Straße. Aber ein biss­chen spürt man da mitt­ler­weile auch Ein­sicht. Nach drei Derby-Pleiten in Folge hat man in Köln wohl gemerkt, dass sie ein Duell auf Augen­höhe lieber mit den Düs­sel­dor­fern aus­tragen sollten.

Mön­chen­glad­bach wurde in dieser Saison sogar mit dem FC Bar­ce­lona ver­gli­chen. Haben Sie schon einmal eine so schöne Borussia gesehen?
Serdar Somuncu: Ich bin 1968 geboren und hatte das Glück, die gol­denen Sieb­ziger als Kind voll mit­zu­er­leben. Günter Netzer, Jupp Heyn­ckes, Alan Simonsen, damals wirkte alles so leicht. Ich hatte sogar ein Trikot der Meis­ter­mann­schaft. Doch seitdem bin ich durch ein tiefes Tal der Tränen gewan­dert. Diese Saison ent­schä­digt dafür. Wenigs­tens ein biss­chen.

Standen Sie als Glad­bach-Fan in den letzten Jahren nicht auch schon Mal vor der Frage: Warum tue ich mir das eigent­lich an?
Serdar Somuncu: Als Michael Front­zeck als Trainer geholt wurde, da habe ich schlicht den Glauben an Glad­bach ver­loren. Ich war kurz davor, meine Ver­eins­mit­glied­schaft zu kün­digen.

Es sollte noch schlimmer kommen. Bei­nahe hätte Stefan Effen­berg den Verein über­nommen.
Serdar Somuncu: Ach, Quatsch. Jeder hat doch gewusst, dass das eine Luft­nummer ist. Effe ist halt eine Ram­pensau und hat ver­sucht, sich über den Klub zu pro­du­zieren. Ich war auf dieser Mit­glie­der­ver­samm­lung. Es war natür­lich erste Bür­ger­pflicht, diese Über­nahme zu ver­hin­dern. Aber da merkte man schon, dass der Verein dem Ende nah war. Wir standen damals mitten im Abstiegs­kampf und irgendwie hatte sich alle schon damit abge­funden. Aber wer will schon einen Schritt vor dem Höl­lentor vor sich hin vege­tieren? Auf einen Klub, der sich darauf beschränkt, im unteren Tabel­len­drittel rum­zu­wursch­teln, hat doch keiner Bock.

Dann kam Lucien Favre…
Serdar Somuncu: Ich habe nicht daran geglaubt, dass Favre den Schalter so der­maßen schnell umlegen kann. Aber jetzt ist es doch geil. Wir stehen ganz oben und reden ernst­haft über die Cham­pions League. Das hat sicher auch mit dem ganzen Umfeld zu tun. 

Sie spre­chen von Sport­di­rektor Max Eberl.
Serdar Somuncu: Ob er jetzt allein dafür ver­ant­wort­lich ist, kann ich nicht beur­teilen. Seine Ein­käufe im vor­letzten Winter waren aber fast durch die Bank super. Har­vard Nord­veidt, Mike Hanke, Martin Stranzl, das ist eine Tref­fer­quote, die sich sehen lassen kann. Aber ich finde vor allem die Zusam­men­set­zung an der Ver­eins­spitze gelungen: Königs, Bonhof, Meyer, alle­samt begnügen sich mit einer eher bera­tenden Funk­tion. Das gefällt mir sehr gut. Ich finde Ver­eine, bei denen Prä­si­denten und Vor­stände in den Vor­der­grund drängen immer äußerst suspekt. Glad­bach gibt da gerade ein sehr gutes Bild ab.

In der Ver­gan­gen­heit fiel Glad­bach den­noch oft durch große Fehl­griffe auf dem Trai­ner­posten auf. Dick Advo­caat…
Serdar Somuncu: Weiche! Das waren schlimmen Zeiten. Ich habe Ver­wandte in Hol­land, die mich vor diesem Mann gewarnt haben. Sie hatten Recht. Damals wurde Kohle ver­brannt, in der Hoff­nung, eine lang­fris­tige Per­spek­tive für den Verein zu schaffen. Advo­caat ist eben ein Trai­nertyp, der so viel Auf­merk­sam­keit auf sich zieht, das es nur zwei Alter­na­tiven gibt: Der Klub geht durch die Decke oder alles bricht zusammen. 

In Glad­bach pas­siert Zwei­teres. 
Serdar Somuncu: Das schlimmste für mich als Fan war damals: Du wuss­test nicht, was als nächstes pas­siert. Bei Front­zeck ist man hin­ge­gangen und wusste wenigs­tens: Wir ver­lieren. Als Advo­caat dann damals geflogen ist, spürte man Ver­un­si­che­rung an jeder Ecke. Man hatte sich die Finger ver­brannt und kon­zen­trierte sich aus Angst darauf, seine Trans­fer­po­litik auf den Abstiegs­kampf aus­zu­richten. Das war zu wenig mutig. Glad­bach war auf dem Weg, eine graue Maus zu werden.

Und spielt jetzt um die Meis­ter­schaft.
Serdar Somuncu: Das ist auch so eine Sache. Wenn ich in der Bun­des­liga mit­spiele, dann gebe ich doch die Parole aus: Wir wollen um die Meis­ter­schaft mit­spielen. Warum trete ich sonst an? Von Anfang an gegen den Abstieg zu kämpfen, das kann doch keinen Spaß machen. Das ist zwar Under­state­ment und kann mit­unter sym­pa­thisch daher­kommen, aber am Ende ver­mit­telt man doch den Ein­druck: Mehr können wir nicht. Und wenn wir absteigen, dann ist das schon mit ein­kal­ku­liert.

Aber mal ehr­lich, wäre Lucien Favre vor der Saison vor die Presse getreten und hätte gesagt: Natür­lich wollen wir Meister werden!“ Hätten Sie ihm geglaubt?
Serdar Somuncu: Quatsch, aber darum geht es doch auch gar nicht. Man muss seinen Spie­lern eine Per­spek­tive auf­zeigen. Nur so kann eine lang­fris­tige Arbeit mit Blick nach oben ent­stehen. Ich finde es Klasse, wie Favre mit der der­zei­tigen Situa­tion umgeht und ver­traue darauf, dass er die Reus-Mil­lionen gut inves­tiert. Das ist doch feine Ironie: In Glad­bach ent­steht gerade dass, was Lukas Podolski sich in Köln seit Jahren wünscht. Des­wegen sage ich auch schon lange: Lukas Podolski sollte nach Glad­bach kommen. 

Er würde drin­gend benö­tigt, denn der Ader­lass ist nach dieser Saison enorm. Marco Reus, Roman Neu­städter und viel­leicht auch Dante sind weg. Mike Hanke und Patrick Herr­mann werden umworben.
Serdar Somuncu: Ein kluger Spieler wird Glad­bach in dieser Situa­tion nicht ver­lassen. Des­wegen fand ich es auch dumm von Reus, bereits jetzt zum BVB zu wech­seln. Er hätte eine Saison länger bleiben sollen. Ich gönne ihm den nächsten Kar­rie­re­schritt, aber er hätte auch merken müssen, dass ein guter Spieler auch durch einen guten Trainer gemacht wird. Favre kit­zelt aus den Spie­lern Dinge, die sie selbst nicht von sich kannten. Juan Arango zum Bei­spiel. Der war unter Front­zeck ein Total­aus­fall und jetzt eine zen­trale Figur.

BVB-Trainer Jürgen Klopp gilt aber auch nicht gerade als Talen­te­ver­nichter.
Serdar Somuncu: Das stimmt, aber Reus begibt sich beim BVB in Kon­kur­renz mit fünf, sechs iden­ti­schen Spie­ler­typen. Götze, Kagawa, Groß­kreutz, Lewan­dowski, die haben doch alle schon das System Klopp in sich. Das muss Reus erst noch lernen und er wird erfahren, dass er sofort auf der Bank sitzt, wenn er nicht 1000 Pro­zent Leis­tung bringt. Ich glaube, ihm wird es ähn­lich ergehen wie Marko Marin in Bremen. Der ist mit großen Hoff­nungen gestartet und ist heute nur noch ein Mit­läufer.

Braucht ein durch­schnitt­li­cher Spieler am Ende nur einen guten Trainer, damit aus ihm ein guter Spieler wird?
Serdar Somuncu: Sport­li­ches Talent ist immer beschränkt. Aber eine Mann­schaft braucht einen Trainer mit einer guten Idee, um besser zu werden. Favre hat so eine Idee und man sieht sie in jedem Spiel. Auch in den schlechten Spielen erkennt man, was dieser Mann will. Unter Front­zeck war die Defen­sive kata­stro­phal, weil man ver­sucht hat, schnell umzu­schalten ohne nach hinten abzu­si­chern. Bei Favre war in den ersten Spielen erstmal der Ball­be­sitz alles. Die Spieler haben wieder gelernt, wie es ist, mit dem Ball umzu­gehen. Erst im zweiten Schritt wurde das Umschalten ein­stu­diert, das die Mann­schaft heute so brand­ge­fähr­lich macht.

Sie scheinen sich auch für die tak­ti­schen Tief­sin­nig­keiten des Fuß­balls zu inter­es­sieren. Schon Mal dar­über nach­ge­dacht, sich als Fern­seh­ex­perte zu bewerben?
Serdar Somuncu: Ich bin doch nicht bescheuert! Um da vor dem Kamera rum­zu­la­bern, muss man sowieso keine Ahnung von Fuß­ball haben. Bei mir ist es schon soweit, dass ich anfange mich vor dem Fern­seh­fuß­ball zu schützen. Gerade bei Wett­be­werben wie der Cham­pions League bin ich sehr vor­sichtig.

Was vor allem daran liegen könnte, dass Glad­bach seit Jahr­zehnten keine Ambi­tionen auf diesen Wett­be­werb hatte.
Serdar Somuncu: Nein, das liegt vor allem daran, dass solche Wett­be­werbe den Fuß­ball auf lange Sicht zer­stören werden. Denn durch die gestiegen Anzahl an Infor­ma­tionen und Kanälen stehen wir alle unter Dau­er­be­schuss zum Thema Fuß­ball. Ich ver­suche das ganz genau aus­zu­ta­rieren.

Wie sieht das aus? Strom aus, Rol­laden runter, Handy ins Klo?
Serdar Somuncu: Ich will ein­fach nicht über­sät­tigt werden und stürze mich des­wegen nicht auf jedes Zweit­liga-Spit­zen­spiel als sei ich ein Junkie auf Entzug. Die Frau­en­fuß­ball-WM war so ein Ding. Da haben die Medien ver­sucht, eine ganze Sportart zu hypen, nur damit sich die Fuß­ball­fans auch in der spiel­freien Zeit vor die Glotze klemmen. Was soll das? Wenn es mal einen Sommer ohne großes Tur­nier gibt, Pech gehabt. 

Das hätte man im Sommer 2011 nicht allzu laut sagen dürfen.
Serdar Somuncu: Was für eine Scheiße! Wenn Fuß­ball­pause ist, dann ist eben Pause. Dann brauche ich kein Spiel gucken. Schon gar nicht, wenn es so aus­sieht, als würde alles in Zeit­lupe ablaufen. Das hat für mich auch nichts mit Tole­ranz zu tun. Fuß­ball ist für mich ein Män­ner­sport. Basta. 

Frau­en­fuß­ball ist für viele auch ein Zei­chen für Eman­zi­pa­tion.
Serdar Somuncu: Eman­zi­pa­tion wird eben häufig mit Gleich­set­zung ver­wech­selt. Gleich­set­zung bedeutet aber nicht, dass Frauen Männer nach­ma­chen. Und wenn eine Frau rot­zend über das Feld läuft, sieht das immer deplat­ziert aus. Da muss man klar sagen, es gibt Sport­arten, die passen zu Frauen. Fuß­ball gehört nicht dazu. Das nehme ich nicht ernst. Ich meine, jeder soll machen, was er will. Aber ich muss mir das auch nicht angu­cken.

Serdar Somuncu, Glad­bach spielt tat­säch­lich noch um die Meis­ter­schaft und den DFB-Pokal. Was müsste pas­sieren, damit sie sich über diese Saison hinaus Ihre gute Laune bewahren?
Serdar Somuncu: Ich weiß schon jetzt, dass die nächste Saison sehr schwer wird. Das ist immer so, wenn man in der Vor­saison nach oben aus­ge­bro­chen ist. Aber so lange Lucien Favre bleibt und zusammen mit Max Eberl kon­zen­triert auf dem Trans­fer­markt aktiv wird, sehe ich wirk­lich ent­spannte Jahre vor mir.

Und wenn Lucien Favre in der nächsten Saison beim FC Bayern anheuert?
Serdar Somuncu: Ich akzep­tiere den BVB und mei­net­wegen auch Köln als fairen Gegner, aber der FC Bayern ist die ekel­haf­teste Mann­schaft von allen. Wenn ich könnte, würde ich zur Säbener Straße fahren und denen die Füße abha­cken. Das ist so schreck­lich (lacht). Aber mal ehr­lich, wenn der FC Bayern das Fest­geld­konto lüftet, dann wird Favre sich das sicher über­legen. 

Wird er sich mit einem Titel ver­ab­schieden?
Serdar Somuncu: Im pes­si­mis­tischsten Fall werden wir Zweiter und holen den Pokal. Wenn es am Ende nur die Meis­ter­schaft wird, bin ich auch nicht böse. Für das Double wird es am Ende aber nicht rei­chen.