Zu Werner Herzogs 80. Geburtstag: Wie Trainerlegende Rudi Gutendorf Anfang der Siebziger eingeladen wird, den Dreh des neuen Herzog/Kinski-Films im peruanischen Dschungel zu begleiten. Und den Wahnsinn erlebt.
Aguirre, der Eroberer, muß mit seiner kleinen Armada den Strom herunterfahren. Hitze, Moskitos, blutiger Durchfall und Wassermangel dezimieren seine Mannschaft. Mit Giftpfeilen bringen Indios seine Männer um. Der einzig Überlebende ist Aguirre. Hungrige Affen sitzen auf seinen Schultern, tanzen auf seinem Kopf und beschmieren die Rüstung des einst so starken Mannes mit Kot. Diese Rolle ist Klaus Kinski auf den Leib geschrieben.
Bei der Arbeit kann man ihn nur bewundern. Er hat Ausstrahlung und Routine zugleich. Sonst ist er unerträglich, ständig aggressiv, beleidigend. Herzog behandelt ihn wie eine Mimose und teilt dem Erhabenen natürlich auch die beste Hütte zu. Die Behausung hat einen üblen Fehler: Sie liegt unglücklicherweise auf dem Weg zur Latrine. Jeder, der mal muß, muß an Kinski vorbei. Bald umflort den Weltstar ein dampfend schwüler Gestank.
„Wer jetzt noch einmal aufs Scheißhaus geht, dem spalte ich den Schädel!“
Eines Abends, als der aufkommende Wind ihm so richtig den Duft der kleinen Welt um die Nase weht, läuft Kinski Amok: „Ihr Scheißer! Warum scheißt ihr nicht in eure eigenen Hosen?!“ Seine Wut ist nicht zu stoppen, er verbeißt sich mehr und mehr in seinen Auftritt. „Wer jetzt noch einmal aufs Scheißhaus geht, dem spalte ich den Schädel.“ Mit verzückten Augen greift er nach einer Axt, schleift die Schnittfläche mit einem Fahrtenmesser. Wir reagieren betroffen. Er fuchtelt mit seiner Axt auf einen Beleuchter ein, der nichtsahnend auf das stille Örtchen zusteuert.
Die Schauspieler sind eingeschüchtert, zittern vor ihm. Wir alle machen aus der Not eine Tugend, ehe die Tugend in Not gerät. Und so wird der Urwaldboden rings um unser Lager kräftig gedüngt.
„Der ist wirklich bekloppt“
Am nächsten Morgen wecken mich lautes Gebrüll und dröhnende Schläge aus der Richtung des Wahnsinnigen. Ich jage durch das Dickicht, um den Weg abzukürzen. Hat er seine Drohung wahrgemacht und spaltet jemandem den Schädel? Nach fünfzig Metern bleibe ich stehen und sehe ihn: Kinski haut die Latrine wie ein Berserker in tausend Stücke, Geifer läuft über sein maskenhaftes Totenkopfgesicht. Er gackert irre und schaut triumphierend in die Runde, wobei er sich übertrieben in die Brust wirft. Ute, inzwischen neben mir, verteidigt ihn: „Er steigert sich in die Rolle des Aguirre, um sich mit ihm zu identifizieren.“ „Nein“, sage ich. Umgekehrt ist es. „Der Mann kann den Bekloppten so toll spielen, weil er bekloppt ist.“
„Ich will vollkommen frei und zügellos sein“, schreit er zu uns. „Nur deshalb bin ich hier im Urwald in eurer bekotzten Laienschar. Der einzige, vor dem ich bescheiden sein kann, bin ich selber. Ihr Totenvögel, ihr seid ja schon verwest. Riecht ihr den nicht, wie ihr stinkt?“