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Seite 2: „Nicht so viel gestikulieren!“

Spricht da schon der Sport­re­porter, der sich mehr Offen­heit von Inter­view­part­nern wünscht?
Heut­zu­tage ist es ja kaum mög­lich, am Mitt­woch noch Inter­views mit Profis zu bekommen. Es heißt dann, die Spieler müssten sich auf die anste­hende Partie fokus­sieren. Zum Ver­gleich: Bei der Formel1 stehen noch fünf Minuten vor Start Hun­derte Men­schen auf der Fahr­bahn, schießen Fotos oder halten Lewis Hamilton das Mikrofon unter die Nase. Neu­lich habe ich ein Inter­view mit Dirk Nowitzki gesehen, das er nach dem Duschen ober­kör­per­frei und nur mit einem Hand­tuch um die Hüften gab. Im Fuß­ball wäre das undenkbar.
 
Die Ver­eine machen sich Sorge, das Image der Spieler könnte Schaden nehmen könnte.
Viel­leicht auch zu Recht. Gerade in Zeiten der sozialen Medien ver­breiten sich Bilder rasant. Jeder kann seine Mei­nung sagen. Und wenn ein Fuß­baller nur mit Hand­tuch bekleidet ein Inter­view geben würde, dis­ku­tiert der Bou­le­vard nicht nur über seine Aus­sagen, son­dern auch dar­über, wo er rasiert ist und wo nicht.
 
Die Kabine war auch zu Ihrer aktiven Zeit ein Tabu für die Presse.
Gewisse Bereiche sollten auch intern bleiben. Selbst gele­gent­liche Trai­nings­ein­heiten unter Aus­schluss der Öffent­lich­keit finde ich okay – so lange wir keine eng­li­schen Ver­hält­nisse haben. Aber dieses her­me­ti­sche Abschotten finde ich frag­würdig. Wir konnten uns als Spieler beim FC St. Pauli auch auf das Spiel fokus­sieren, obwohl wir von der Kabine direkt durch das Ver­eins­heim gehen mussten, vorbei an Jour­na­listen und Fans, die schon vor dem Spiel fünf Bier getrunken hatten. So eine Stim­mung moti­vierte uns manchmal auch. Fuß­ball ist emo­tional.
 
Kri­tiker behaupten, der Fuß­ball­jour­na­lismus sei zu hys­te­risch geworden.
Früher trauten sich die Reporter tat­säch­lich wenig, sie blieben sach­lich und neu­tral…
 
…selbst wenn Deutsch­land in einem wich­tigen WM-Spiel ein Tor schoss, sagte Rolf Kramer nur: Tor für Deutsch­land.“
Die Zeiten haben sich geän­dert. Können Sie sich das heute noch vor­stellen? Mario Götze schießt in der Ver­län­ge­rung das 1:0 gegen Argen­ti­nien und der Kom­men­tator sagt nur: Deutsch­land ist Welt­meister. Ich wün­schen Ihnen einen ange­nehmen Abend.“ Etwas Emo­tio­na­lität tut jedem Reporter gut, man muss es ja nicht über­treiben.
 
Welche aktu­ellen Kom­men­ta­toren machen ihre Sache gut?
Das ist Geschmacks­sache. Viel hängt mit der Stimme zusammen, einige mögen ein eher rau­chiges Timbre, andere hohe Stimmen. Ich finde Wolff Fuss gut, auch wenn er es manchmal mit den Meta­phern über­treibt. Beim ZDF gefällt mir Bela Rethy, der hat so eine mar­kante und dumpfe Stimme.
 
Haben Sie vor dem ZDF-Enga­ge­ment noch mal spe­ziell auf die Arbeit anderer TV-Experten geschaut?
Nein. Aber ich finde, Mehmet Scholl und Oliver Kahn machen ihre Sache gut. Das Pro­blem ist, dass man die Teams Kahn/​Welke oder Scholl/​Opdenhövel oft mit dem Duo Günter Netzer und Ger­hard Del­ling ver­gleicht. Zumal ich beide anfangs auch sehr gewöh­nungs­be­dürftig fand, später passten sie zusammen wie Deckel auf Topf.
 
Mehmet Scholl sagte bei der EM 2012, nach dem Spiel gegen Por­tugal, Mario Gomez habe sich wund­ge­legen. Das Wort hängt Gomez heute noch nach. Wie hart darf ein TV-Experte kri­ti­sieren?
Man muss natür­lich immer auf­passen, wie die Dinge rüber­kommen. Mehmet meinte das nicht so, und ver­mut­lich hätte er das schnell in einem Gespräch mit Gomez klären können. Viel­leicht hat er das sogar. Aller­dings ist die Dynamik des Bou­le­vards nicht zu unter­schätzen. Plötz­lich hieß es: Scholl vs. Gomez. Krieg in Mün­chen. Danach war die Sache nicht mehr auf­zu­halten.
 
Werden Sie hart kri­ti­sieren?
Wenn Mesut Özil schlecht spielt, werde ich das anspre­chen – ohne per­sön­lich zu werden. Ich kann Ihnen jetzt auch sagen: Thomas Müller hat im Cham­pions-League-Rück­spiel gegen Atle­tico eines seiner schlech­teren Spiele gemacht.
 
Haben Sie Sprech­trai­ning genommen?
Nein. Ich habe vor 4000 Leuten auf Mit­glie­der­ver­samm­lungen gespro­chen, vor meinen Mann­schaften, in Inter­views. Nun spreche ich vor der Kamera.
 
Aber die Kame­ra­si­tua­tion ist eine andere.
Das emp­finde ich nicht so. Was nicht heißt, dass ich an diese Auf­gabe nicht mit Demut und Dank­bar­keit her­an­gehe.
 
Früher hat Ernst Huberty seinen Repor­t­erschü­lern eine Liste mit No-Go-Phrasen gegeben. Wie ist es heute?
Es gibt natür­lich Feed­back nach den Sen­dungen. Da wird einem auch gesagt: Nicht so viel ges­ti­ku­lieren!“ Oder die Kol­legen erklären, welche Red­un­danzen man ver­meiden kann. Die Kunst bei der EM wird sein, kom­plexe Inhalte attraktiv zu trans­por­tieren.
 
Was meinen Sie damit?
Ich bin ja der dritte Mann neben den beiden Oli­vers (Kahn und Welke, d. Red.) und werde vor allem bei tak­ti­schen Fragen hin­zu­ge­zogen. Bei einer WM oder EM schauen zahl­reiche Gele­gen­heits­fans Fuß­ball. Da kann ich mich nicht vor eine Video­wand stellen, lauter Pfeile und Punkte von A nach B ziehen und was von einer dia­me­tral abkip­penden Sechs erzählen. Ich muss mein Wissen run­ter­bre­chen und in popu­läre Sprache ver­pa­cken.
 
Trotzdem: Fuß­ball­taktik ist so populär wie noch nie. Woran liegt das?
Viel­leicht an den Begriff­lich­keiten. Früher haf­tete vielen Wör­tern ein wis­sen­schaft­li­cher Rat­ten­schwanz und der Duft von Turn­hallen an. Man sprach von Deu­ser­bänder oder Ent­mü­dungs­be­cken. Heute gibt es Leute wie Mark Ver­stegen, die Fit­ness­kon­zepte ent­wi­ckeln und populär prä­sen­tieren. Die Leute haben einen grö­ßeren Wis­sen­durst, was Fragen aus diesen Berei­chen angeht.