Während der EM gibt Holger Stanislawski den ZDF-Experten. Ohne Sprechtraining, dafür mit drei Kannen Kaffee am Tag.
Holger Stanislawski, nachdem Sie vor zwei Jahren einen Supermarkt in Hamburg übernommen hatten, sagten Sie: „Ich bin immer gern einkaufen gegangen.“ Haben Sie auch immer schon gern ferngesehen?
Ich bin jedenfalls seit jeher sehr sportinteressiert. Ich schaue mir gern Handball, Eishockey oder Olympia an. Ich habe selbst mal Kickboxen ausprobiert. Als mich das ZDF im Sommer 2015 fragte, ob ich Lust hätte, bei der ZDF-Sportreportage als Experte zu arbeiten, musste ich nicht lange überlegen. Die Sendung gehörte immer schon zu meinen Lieblingsformaten.
Ihre letzte Trainerstation liegt drei Jahre zurück. Jetzt werden Sie für das ZDF als Taktikexperte bei der EM arbeiten. Hatten Sie Sehnsucht nach Fußball?
Meine Zeit in Köln habe ich freiwillig beendet. Danach gab es immer mal wieder Anfragen. Aber ich bin nicht der Typ, der das erstbeste Angebot von einem neugegründeten Klub aus dem Sudan annimmt. Zumal ich mir etwas in meiner Heimatstadt aufbauen wollte. Eine Basis, zu der ich immer wieder zurückkehren kann. Das habe ich mit dem Supermarkt geschafft.
Gab es tatsächlich Angebote aus dem Sudan?
Nein, aber von Al Ahly Kairo, dem FC St. Gallen und auch ein paar aus Deutschland.
Trotzdem: Sind Sie nach drei Jahren ohne Trainerjob in Sachen Fußball noch auf dem aktuellen Stand?
Absolut. Ich verfolge regelmäßig die Spiele. Außerdem ist es durchaus spannend mit ein bisschen Abstand und aus einer neuen Perspektive auf den Fußball zu schauen. Nach über 20 Jahren im Profigeschäft kann man betriebsblind werden.
Wie war der erste Blick hinter die Kulissen?
Es war mir nicht klar, dass so viele Leute an einer Sportsendung arbeiten. Manchmal wuseln da 25 oder 30 herum. Man kann das mit einem Supermarkt vergleichen.
Inwiefern?
Wenn man zum Einkaufen geht, macht sich der Konsument auch keine Gedanken, woher die Produkte kommen. Die Lebensmittel sind einfach da. Wie viele Rädchen und Faktoren da ineinandergreifen – Einkauf, Logistik, Warenverfügbarkeit, Marketing – versteht man erst, wenn man in der Branche arbeitet.
Was fällt Ihnen durch Ihren neuen Blick von Außen noch auf?
Ich vermisse beim Fußball manchmal eine gewisse Lockerheit. Natürlich kann nicht jeder Spieler ein Thomas Müller sein, aber ich finde, gewisse Dinge hängt man viel zu hoch.
Sie haben in einem Interview mal Kevin McKenna zur Schnecke gemacht. Im Spaß wohlgemerkt.
Wir haben damals in einem Abendspiel gegen Union Berlin gewonnen. Danach gab ich gefühlte 100 Interviews. Um kurz vor Mitternacht, als kein Mensch mehr im Stadion war, fing mich das Team vom klubeigenen Sender ab, um ein weiteres Interview mit mir zu machen. Ich sagte: „Wirklich? Noch eins?“ Anstatt wieder von dem Sieg und der tollen Kollektivleistung zu berichten, habe ich von der miserablen Leistung Kevin McKennas erzählt.
Der so alt sei, dass er „staubt“.
Am nächsten Tag rief mich der Kollege vom „FC-TV“ an. Er war richtig aufgekratzt. „Stani“, sagte er, „so viele Klicks hatten wir noch nie.“ Tatsächlich hat das Video bis heute über 600.000 Aufrufe, den meisten gefällt es. Man darf also sein Publikum nicht unterschätzen, viele können jedenfalls mit Ironie oder Humor gut umgehen.