Werder Bremen ist das Überraschungsteam der Saison. Wie hat Trainer Florian Kohfeldt das hinbekommen? Fünf Gründe für den Höhenflug.
Als Florian Kohfeldt vor der Saison verkündete, Werder Bremens Saisonziel in dieser Saison sei die Qualifikation zur Europa League, dachten nicht wenige: Nun übertreibt er aber! Bremen? In der Europa League? Jene Mannschaft, die in den vergangenen Jahren stets nur knapp am Abstieg vorbeischrammte?
Nach acht Spieltagen sind die Kritiker verstummt. Fünf Siege, zwei Unentschieden, eine Niederlage: Kohfeldt hat Werder sogar vor den großen FC Bayern geführt. Wie konnte das gelingen? Warum sind die Bremer derzeit so stark? Fünf Gründe für den Bremer Höhenflug.
1. Sie dominieren ihre Spiele
In der Bundesliga hat sich in den vergangenen Jahren ein Mantra eingeschlichen: Kompakt stehen und schnell kontern – das ist der einfachste Weg zum Erfolg. Gerade Mittelklasse-Teams versuchten gar nicht erst, Ball und Gegner laufen zu lassen. Das Heil wurde im schnellen Umschaltspiel gesucht.
Bremen geht unter Kohfeldt einen anderen Weg. In sieben ihrer acht Saisonspiele hatten sie mehr Ballbesitz als ihr Gegner. Selbst beim 2:0‑Erfolg gegen Vizemeister Schalke setzten sie auf einen ruhigen Spielaufbau aus der Abwehr. Kohfeldt legt großen Wert darauf, dass seine Mannschaft die Kontrolle über ihre Partien übernimmt.
Dieser Weg mag für ein Team mit eingeschränkten finanziellen Ressourcen zunächst kontraintuitiv wirken. Der landläufigen Meinung nach benötige man für ein gutes Ballbesitzspiel schließlich Spieler auf Top-Niveau. Bremen kämpft gegen dieses Narrativ an – und feiert damit Erfolge. Kohfeldt steht damit in der Tradition von Julian Nagelsmann, der Hoffenheim auf ähnliche Weise vom Abstiegskandidaten zum Champions-League-Teilnehmer geformt hat.
2. Klare Abläufe im Ballbesitzspiel
Ballbesitzspiel bedeutet nicht automatisch Erfolg. Am Ende zählt, wie gut das eigene Ballbesitzspiel funktioniert. Werder überzeugt mit klaren Abläufen, welche die Spieler verinnerlicht haben. Kohfeldt stellt seine Mannschaft in einem 4 – 3‑3-System auf. Der Sechser soll mit den Innenverteidigern den Ball laufen lassen, bis sich die Möglichkeit zu einem Zuspiel nach vorne ergibt.
Beim Übergang von der eigenen in die gegnerische Hälfte sieht man immer wieder eingeübte Spielzüge. Die beiden Achter, Maximilian Eggestein und Davy Klaassen, sprinten auf die Flügel. Sie suchen das Zusammenspiel mit den Außenverteidigern, die ebenfalls aufrücken. Veredelt werden diese Spielzüge meist mit einem Pass zum eingerückten Außenstürmer. Werders Spieler beherrschen diese Spielzüge mittlerweile in Perfektion – simpel, aber effektiv.
3. Defensive Stabilität
Bei aller Dominanz und bei allen Versuchen, spielerisch den Gegner zu dominieren, wäre es falsch, Bremens Fußball als offensiv zu bezeichnen. Der große Vorteil ihrer eingeübten Spielzüge ist die Tatsache, dass alle Spieler nach Ballverlusten sofort wissen, was sie zu tun haben.
Bremens größte Stärke: Sie üben sofort Druck nach Ballverlusten aus. Erobern sie den Ball nicht, ziehen sie sich sofort in eine enge 4 – 1‑4 – 1‑Ordnung zurück. Möchten sie den Druck auf den Gegner hochhalten, schießen Klaassen oder Eggestein nach vorne. Auch im Spiel gegen den Ball überzeugt Bremen also mit klaren Abläufen. Mit gerade einmal acht Gegentoren nach acht Spielen befindet sich Werder auf dem Kurs, den Kohfeldt vorgegeben hat. Er möchte, dass die Mannschaft maximal 40 Gegentore in dieser Saison kassiert.
4. Neu gewonnene Flexibilität
Kohfeldt favorisiert zwar ein 4 – 3‑3-System. Gerade in den ersten Monaten seiner Amtszeit hielt er recht starr an diesem System fest. Doch mittlerweile beherrscht sein Team auch andere Varianten, beispielsweise eine Raute oder Formationen mit einer Fünferkette. Damit kann Kohfeldt auf Probleme innerhalb von Spielen schnell reagieren.
Der Sieg gegen Schalke war ein Paradebeispiel: Nachdem Schalkes Trainer Domenico Tedesco in der Pause auf eine Rautenformation umgestellt hatte, drohte Bremen die Partie zu entgleiten. Kohfeldt brachte mit Claudio Pizarro einen weiteren Stürmer sowie mit Sebastian Langkamp einen weiteren Verteidiger. Er stellte damit von einem 4 – 3‑3-System auf ein 5−3−2 um. Im neuen System bekam Bremen das Spiel in den Griff.
5. Maximilian Eggestein
Man sollte nicht den Fehler begehen, Bremen als Top-Team ohne Schwächen anzusehen. Bremen kann die eigene Dominanz noch zu selten in Torchancen umwandeln. Bei den abgegebenen Torschüssen und in der Expected-Goals-Statistik, die die Qualität von Torchancen misst, befindet sich Bremen nur im Mittelfeld der Liga. Doch Bremen macht derzeit aus wenigen Torchancen viele Tore. Knapp jeder siebte Schuss landet im Tor, das entspricht dem fünftbesten Wert der Liga.
Bremens Effizienz liegt nicht zuletzt an Maximilian Eggestein: Der Mittelfeldspieler avanciert dank seiner Distanzschüsse zum Top-Torjäger der Bremer. Seine Schüsse aus der zweiten Reihe sind auch deshalb so eine gefährliche Waffe, weil sie das größte Bremer Problem kaschieren. Gerade im letzten Drittel fehlt dem eigenen Ballbesitzspiel die Finesse, sodass Bremen zu selten in den Strafraum gelangt. Gegen Schalke gaben sie gerade einmal fünf Schüsse innerhalb des Strafraums ab. Und dennoch gewannen sie dank zweier Tore von Eggestein.
Der Bremer Traum, nach einer Saison des Abstiegskampfes im folgenden Jahr schon um die Europa League zu spielen – er klingt nach acht Spieltagen nicht mehr ganz so unrealistisch.