Der torgefährlichste Ibrahimović aller Zeiten? Natürlich, Sanel Ibrahimović aus Luxemburg. Ein Gespräch über eine faszinierende Torquote, fragwürdige Saisonziele und die Vorteile seines Nachnamens.
Zlatan ist mittlerweile 39 Jahre alt und trifft noch immer am laufenden Band. Sie sind 33 und spielen eine Ihrer besten Saisons. Wie lange wollen Sie noch spielen?
Rein körperlich könnte ich noch mindestens fünf Jahre spielen. Dafür habe ich viel gearbeitet und trainiert. Vor allem aber hatte ich das Glück, mich nie schwerer verletzt zu haben, davor hätte mich kein Training geschützt. Ob ich aber noch so lange spielen will, ist eine andere Sache. Meine Familie steht bei mir an vorderster Stelle und ob ich in Zukunft drei- bis viermal pro Woche zwei Stunden zum Training und zurückfahren will, anstatt mehr Zeit mit meiner Tochter zu verbringen, muss ich mir gut überlegen. Noch habe ich einen Vertrag über anderthalb Jahre, dann sehe ich weiter.
Arbeiten Sie in Luxemburg unter Profibedingungen oder müssen Sie nebenbei arbeiten?
Mittlerweile spiele ich wieder bei meiner ersten Station in Luxemburg, dem Erstligisten FC Wiltz, und gehe neben dem Fußball ganz normal zur Arbeit. Aber während meiner Zeit beim F91 Düdelingen war ich Vollprofi – mit allem drum und dran. Wir hatten zwei Mal am Tag Training, gemeinsames Mittagessen, Videoanalysen. Als Profi konnte ich mich fußballerisch sehr verbessern.
Sie sind vierfacher Meister, vierfacher Pokalsieger in Luxemburg. Gab es nie die Überlegung, den nächsten Schritt zu machen und ins Ausland zu wechseln?
Es gab sehr viele Anfragen, doch es war keine dabei, die mich ernsthaft interessiert hat. Für mich sind meine Familie und meine Freunde das Wichtigste und ich hab nie eingesehen, das aufzugeben, nur um in der dritten oder vierten Liga in Deutschland mein Glück zu versuchen. Ich habe hier doch alles. Zudem die Bezahlung in den luxemburgischen Top-Klubs so gut ist, dass es kein finanzielles Argument wäre, nach Deutschland oder Belgien zu wechseln. Bei einem Top-Klub wäre ich natürlich ins Grübeln gekommen, aber dass ich nicht von Düdelingen nach Mailand wechseln würde, war mir dann doch bewusst.
Also haben sie die Entscheidung nie bereut?
Nein, absolut nicht. Warum auch? Ich hatte bis jetzt eine wunderbare Karriere in Luxemburg, bin mittlerweile der zwölfterfolgreichste Torschütze des Landes, es könnte also bedeutend schlechter laufen. In meinem Heimatdorf in Bosnien sagten wir immer: Besser ein großer Fisch im kleinen Teich, als ein kleiner Fisch im großen Teich. Das sieht vielleicht nicht jeder so, ich aber schon.
In der Saison 2018/19 haben Sie sich mit F91 Düdelingen als erste Mannschaft aus Luxemburg für die Europa-League-Hauptrunde qualifiziert. Sie haben dort aber nicht gespielt, weil Sie nicht für den Kader nominiert wurden.
Das war eine sehr schwierige Zeit für mich. Ich hatte in den Spielzeiten davor immer regelmäßig getroffen, verhielt mich stets professionell und wenn ich auf dem Platz stand, gehörte ich meistens zu den Besten. Dann nicht berücksichtigt zu werden, war ein Schlag ins Gesicht. Ich habe Dino (Toppmöller, damaliger Trainer, d. Red.) direkt mitgeteilt, was ich davon halte und impulsiv einen Wechsel zur Winterpause gefordert. So weit kam es dann doch nie, weil der Trainer schnell gemerkt hat, dass er einen Fehler gemacht hat. Er hat sich entschuldigt. Ich bin nicht der Typ der Trübsal bläst, hab ich mich wieder ins Team gespielt und wir sind wieder Meister geworden. Dino wusste also doch, was er an mir hat.
Sie sprechen den Trainer an. Ihr Namensvetter gilt als schwieriger Charakter. Wie ist das bei Ihnen?
Ganz im Gegenteil. Mein Frust nach der Nicht-Nominierung war zwar groß, aber bis zum heutigen Tag verstehe ich mich super mit Dino Toppmöller. Und auch in meiner restlichen Karriere verhielt ich mich ähnlich. Ich bin ein sehr direkter Typ. Wenn ich mal mit einer Entscheidung des Trainers nicht einverstanden war, habe ich das mitgeteilt und dann auf dem Platz gezeigt, warum es die falsche Entscheidung war. Jammern hilft nicht. Mit dieser Einstellung hatte ich nie Probleme und stehe heute mit fast jedem meiner Ex-Trainer im Kontakt. Dino, zum Beispiel, schreibt mir immer mal wieder eine Nachricht, wenn ich getroffen habe.
Zlatan hat mal zu Pep Guardiola gesagt: „Ich bin ein Ferrari und du fährst mich wie einen Fiat.“ Was ist Sanel Ibrahimovic für ein Auto?
(Lacht.) Also wenn er ein Ferrari ist, dann bin ich wohl ein Mercedes: sehr verlässlich, aber im Vergleich nicht so teuer.
Zlatan wird oft vorgeworfen, er sei arrogant. Wie ist das bei Ihnen?
(Überlegt.) Ich bin selbstbewusst. Dass Arroganz schlecht sein soll, verstehe ich ohnehin nicht.
Wie meinen Sie das?
In manchen Situationen ist es hilfreich, ein gewisses Maß an Arroganz an den Tag zu legen, um die eigene Mannschaft zu motivieren. Nehmen wir mein aktuelles Team. Wir sind ein Aufsteiger, der jetzt oben mitspielt, haben eine gute Mischung aus jung und alt und ich bin einer der erfahrensten. Wenn wir gegen den Tabellenführer spielen, gehe ich arrogant an die Sache ran, weil ich den jungen Spielern vermitteln will, dass wir besser sind als die Gegner. Die Überzeugung spüren meine Jungs und das bekommt in der Konsequenz der Gegner zu spüren. Ich will verhindern, dass Respekt vor dem Spitzenreiter in Angst umschlägt. „Ach, schauen wir mal, was passiert“ – mit dieser Einstellung ist die Niederlage vorprogrammiert. Das ist für mich auch eines der größten Problem des luxemburgischen Nationalmannschaft.
Die luxemburgische Nationalmannschaft wäre besser, wenn sie etwas mehr Arroganz zeigen würde?
Luxemburg steckt seit zehn Jahren im Umbau und immer heißt es: „Wir haben Zeit.“ Wie viel Zeit will man denn haben? Luxemburg hat die beste Nationalmannschaft seit jeher. Wir haben Profis in allen Top-Ligen und könnten echt mal was reißen. Warum sagt niemand, dass wir jetzt mal gewinnen? Wenn wir die Sache mit bisschen mehr Selbstbewusstsein angehen würden, kämen die Resultate automatisch.
Wir ahnen, wenn wir Sie nach Ihren Saisonzielen fragen würden, käme bestimmt nicht „Klassenerhalt“, oder?
Nein, mit Sicherheit nicht. Ich hasse diese Aussage. Wenn es mein Ziel nicht wäre, jedes Spiel zu gewinnen, könnte ich gleich zu Hause bleiben. Mit meinem Herzensklub FC Wiltz einmal europäisch zu spielen, das wäre doch mal was. Da würde ich mir überlegen, noch ein paar Jahre dranzuhängen.
Das klingt schon ein bissen nach Zlatan. Wenn Sie abschließend eine Botschaft an ihn senden könnten, wie würde die lauten?
Ich bin kein Mann der großen Worte, aber so etwas wie: „Mach weiter so ‚Brate‘! Und lass meine Torquote in Ruhe.“ (Lacht.)
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