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Eines vorweg: Ich werde nicht nochmal mit Otto Reh­hagel und den Grie­chen mit­gehen. Katja Ebstein singt zwar Wunder gibt es immer wieder“, doch so ein Fuß­ball­wunder wie dieses, das gibt es nur einmal. Eigent­lich wollte ich gar nicht bei der Euro dabei sein, weil ich danach zu den Olym­pi­schen Spielen in Athen ein­ge­teilt war. Dann kam mein Sport­chef vom ZDF und meinte: Töppi, du musst da mit, überleg dir was.“ Pass auf“, habe ich gesagt, ich mache die Grie­chen, weil ich mit Otto am besten kann.“ Darauf er: Okay, dann machst du die eine Woche die Grie­chen.“

Die eine Woche … Das haben alle gedacht, ich inklu­sive. Ich gebe zu, ich habe ihnen keine Chance gegeben und ein­fach nur gehofft habe, dass sie sich achtbar aus der Affäre ziehen. Noch als sie das Auf­takt­spiel gegen Gast­geber Por­tugal gewonnen hatten, dachte ich: Wow, da können sie erho­benen Hauptes nach Hause fahren.“ Doch es ging immer weiter. 1:1 gegen Spa­nien, gibt’s doch nicht, jetzt können sie tat­säch­lich wei­ter­kommen. 0:2‑Zwischenstand gegen die Russen, das Ende ist nah, doch der Anschluss­treffer bringt sie in die nächste Runde. Danach Frank­reich im Vier­tel­fi­nale, das war’s ja wohl end­gültig, aber wieder: von wegen! Und plötz­lich waren sie alle abge­reist, meine Freunde und Kol­legen, die die Eng­länder und Spa­nier und Ita­liener und Fran­zosen beglei­teten. Nur ich war immer noch da.

Wie heißen Sie? Für wen schreiben Sie?“

Im Halb­fi­nale ging es gegen die Tsche­chen, die sich im Ver­laufe des Tur­niers zum Favo­riten gemau­sert hatten. Wir Live-Inter­viewer wurden von der UEFA eine Vier­tel­stunde vor Schluss der regu­lären Spiel­zeit in die Kata­komben geführt und an einer bestimmten Stelle fest­ge­ka­belt. Da stand ich nun, konnte nicht mehr weg und habe den Rest nur über den Monitor dort unten ver­folgen können: das Ende der regu­lären Spiel­zeit, die Ecke kurz vor dem Sei­ten­wechsel in der Ver­län­ge­rung, das Silver Goal von Dellas. Neben mir befand sich der grie­chi­sche Kol­lege, mit dem ich mich inzwi­schen ange­freundet hatte. Nor­ma­ler­weise hätte Reh­hagel erst zu ihm gehen müssen, doch die grie­chi­schen Medien haben sich kaum an ihn ran­ge­traut. Das war wie ein Film aus einem anderen Jahr­hun­dert, bei Pres­se­kon­fe­renzen ist Reh­hagel oft ein­fach auf­ge­standen und weg­ge­gangen, oder er hat die Leute abge­kan­zelt: Wie heißen Sie? Für wen schreiben Sie?“ Also haben die grie­chi­schen Kol­legen lieber Dellas oder Kara­gounis genommen, und ich bekam Otto. Als Erster von allen.

Beim End­spiel war diese Absprache nicht mehr mög­lich, weil die UEFA die Inter­view­partner direkt zu den lizen­zierten Sen­dern gebracht hat. Also lan­dete Otto auf einmal bei den Grie­chen und deu­tete mir mit einer hilf­losen Geste an, dass er leider auch nichts machen könne. Ich habe die Situa­tion beob­achtet und gesehen, wie der Grieche mit Reh­hagel über­haupt nichts anzu­fangen wusste. Also habe ich mich ein­fach abge­ka­belt, Reh­hagel am Arm genommen und zum UEFA-Mann gesagt: Der ist jetzt bei uns auf dem Sender!“ Otto live drauf, 26 Mil­lionen Zuschauer, es war, als hätte Deutsch­land gespielt und wir wären der Haus-Broad­caster gewesen! Als ich Reh­hagel gra­tu­lierte, hatte ich eine Gän­se­haut. Die ganze Zeit zwi­schen dem Abpfiff und den Inter­views ist mir eine For­mu­lie­rung im Kopf her­um­ge­spukt: Es gab das Wunder von Bern, jetzt gibt es das Wunder von Lis­sabon!“ Ich war nicht sicher, ob ich den Satz wirk­lich sagen sollte, weil ich dachte, den hauen mir die Kol­legen um die Ohren, von wegen Töp­per­wien und Reh­hagel wieder. Dann habe ich mich doch durch­ge­rungen und später viel Bestä­ti­gung erfahren, dass ich damit genau richtig lag.

Das Ver­hältnis zwi­schen Otto Reh­hagel und mir hat sich erst im Laufe der Jahre zu einem beson­deren ent­wi­ckelt. Das erste Mal bin ich ihm Ende der Sieb­ziger begegnet, als er Trainer in Dort­mund war. Ich habe kleine Film­chen für die ZDF-Dreh­scheibe“ gedreht, 800 Mark für drei Minuten 30, das war damals viel Geld. Reh­hagel war noch nicht so unzu­gäng­lich den Medien gegen­über, wir waren beide junge Wilde, und ich durfte mit meinem Kame­ra­team zu ihm in Essen aufs Sofa. Später habe ich für die Sen­dung Sport am Freitag“ von Frei­tags­spielen aus Bremen berichtet, wo Reh­hagel mich Jörg Won­torra von Radio Bremen, zu dem er ein pro­ble­ma­ti­sches Ver­hältnis hatte, oft vorzog. Aber es hat 15 Jahre gedauert, bis er mir in der Nacht des Euro­pa­po­kal­tri­um­phes von Werder im Mai 1992 das Du ange­boten hat.

At first he’s my friend, then he’s my coach“

Viele fragen sich, was das Geheimnis von Otto Reh­hagel ist. Nun, alles hängt davon ab, ob sein jewei­liger Vor­ge­setzter ihm ver­traut und ihn machen lässt. Das war bei Dr. Franz Böh­mert in Bremen so, bei Atze Fried­rich in Kai­sers­lau­tern und auch beim grie­chi­schen Ver­bands­prä­si­denten Gagatsis. Reh­hagel ist für seine Spieler eine Vater­figur. Gestan­dene Leute von Bratseth über Burg­s­müller bis Dellas haben Tränen in den Augen, wenn er sich von ihnen ver­ab­schiedet. Dellas hat nach dem End­spiel zu mir gesagt: At first he’s my friend, then he’s my coach.“ Aber natür­lich kann man mit einem Zusam­men­ge­hö­rig­keits­ge­fühl allein nicht die Fuß­ball­welt aus den Angeln heben. Hinzu kommt eine Taktik, von der viele sagen, sie sei ver­altet. Reh­hagel lässt immer noch wie in Bremen spielen: über die Flügel hoch in die Mitte, und hinten zwei baum­lange Kerls. Doch wie kann eine Taktik ver­altet sein, mit der man die angeb­lich so zau­ber­haften Por­tu­giesen zweimal in ihrem eigenen Land schlägt?

Eigent­lich hätte Otto direkt nach dem EM-Tri­umph auf­hören müssen, aber er ging lieber wieder den schweren Weg. Ich war mir sicher, dass Grie­chen­land nicht noch einmal so furios auf­spielen würde. Doch manchmal dachte ich, Otto Reh­hagel könnte sich auch mit den Fidschi-Inseln für die Welt­meis­ter­schaft qua­li­fi­zieren.