Nach 70 Jahren hat Atlas Guadalajara wieder die mexikanische Meisterschaft gewonnen. Ganz besonders freut das einen 91-jährigen Fan. Denn nun kann er in Ruhe sterben.
Wir schreiben das Jahr 1951: Der Korea-Krieg bestimmt die Weltpolitik, in Hamm erblickt ein gewisser Horst Hrubesch das Licht der Welt und in Mexiko feiert Atlas Guadalajara die erste Meisterschaft seiner Vereinsgeschichte. Mittendrin bei den Feierlichkeiten: der 21-jährige Edmundo Iñiguez.
70 Jahre später sitzt Iñiguez, mittlerweile 91 Jahre alt, vor dem Fernseher und kann seine Freudentränen nicht zurückhalten. Ein Video, das sein Enkel von ihm bei Twitter postet, geht um die Welt. Auch weil darin von einem besonderen Versprechen die Rede ist: Erst, wenn Atlas wieder eine Meisterschaft gewinne, so habe der Großvater immer gesagt, sei er dazu bereit, diese Erde zu verlassen. Nun am vergangenen Wochenende war es soweit: 70 Jahre nach der ersten Meisterschaft krönte sich Atlas zum zweiten Mal zum mexikanischen Champion. Und das auf dramatische Art und Weise.
Das Hinspiel im Finale um die Meisterschaft hatte der FC León im eigenen Stadion mit 3:2 für sich entschieden. Im Rückspiel spitzte sich die Lage dann zu. Aldo Rocha, Kapitän der Gastgeber, schoss in der 54. Minute das 1:0 für Atlas Guadalajara. Mit dem Ergebnis ging es bis ins Elfmeterschießen. In dem ausgerechnet jener Aldo Rocha den Ball erstmal an den Pfosten nagelte. Zu seinem Glück konnte Torhüter Camilo Vargas von den nächsten Elfmetern zwei parieren. Beim Stand von 4:3 war die Zeit von Julio Furch gekommen. Entschlossen stand der Stürmer mit der Nummer 9 im Strafraum, lief an, platzierte den Ball mit vollster Überzeugung unten links in der Ecke und drehte zum Jubeln ab. Das ganze Stadion tat es ihm gleich. Ab diesem Zeitpunkt war Ekstase angesagt.
Im Estadio Nou Camp in León feierten Fans und Spieler nach der Pokalübergabe gemeinsam in der Kurve. Bengalos brannten, Tränen flossen, alles andere wirkte egal. Atlas Guadalajara war Meister geworden! Die 70 Jahre währende Durststrecke endlich beendet. Und: Atlas Guadalajara war besser als der sportlich eigentlich enteilte Stadtrivale Deportivo.
Denn die Geschichte von Atlas lässt sich ohne die des großen Rivalen nicht erzählen. 1916 gründete eine Gruppe Jugendlicher, die sich nach dem Spiel sehnten, das sie während ihres Studiums in England lieben gelernt hatten, einen Fußballverein: Den Atlas Fútbol Club. Diese Gruppe entstammte der lokalen Oberschicht. Schnell wurde klar: Der zehn Jahre zuvor gegründete Club Deportivo Guadalajara, ein Sammelbecken der lokalen Arbeiterschaft, hatte einen Stadtrivalen bekommen. Bei Derbys kam es seitdem immer wieder zu Tumulten und Ausschreitungen. Die Stadt wurde zunehmend gespalten. Mittlerweile hat sich die Rivalität allerdings etwas gelegt. Vor allem, weil Atlas FC sportlich abreißen ließ, während Deportivo zwölf Meisterschaften und neun Pokale holte. Deportivo fand im Club América einen neuen, sportlichen Erzrivalen. Atlas Guadalajara verkam zum bemitleidenswerten Konkurrenten, der gar keiner mehr war. Am vergangenen Wochenende befreite sich der Verein aus der sportlichen Bedeutungslosigkeit.
Logisch, dass die Party auch am Tag danach noch nicht vorbei war. Für die Mannschaft ging es samt Trophäe mit einem Bus durch die Innenstadt. Die Menschenmassen drumherum begossen sich gegenseitig mit jeglicher Art von Getränken, feierten Schaumpartys. Für eine bessere Sicht kletterten einige Anhänger sogar auf Brückenpfeiler. Zwischenzeitlich musste die Tour der Mannschaft unterbrochen werden, weil zu viele Menschen auf der Straße waren. Ziel der Parade war der Glorieta de Los Niños Héroes. Dort, wo sich am Abend nach dem Spiel schon tausende Fans versammelt hatten, war eine Bühne für die Spieler aufgebaut. Schon lange vor der Ankunft der Mannschaft sangen und feierten die Fans im Konfetti-Regen.
Und dann war da ja noch Edmundo Iñiguez. Der feierte auf seine ganz eigene Art und Weise. Anders als die Anhänger im Stadion und auf den Straßen Guadalajaras saß der 91-Jährige von seinen Gefühlen überwältigt zu Hause. Um seine Schultern eine Fahne von seinem Verein, um ihn herum seine Familie. Die sich nun angesichts des Versprechens hinsichtlich seines Ablebens doch etwas um den 91-Jährigen sorgt. Sein Enkel schrieb nach dem Spiel auf Twitter: „Wir sollten uns nun wohl etwas besser um ihn kümmern, denn der Bann ist vorbei.“